folgt der Gesang und ein kurzes Gebet. Er predigte über 1. Tim. IV. 17. Uebe dich etc. und handelte von den Folgen der Lehre, daß unser Leben nur Vorbereitung sei etc. Seine Stimme schien mir schwach zu seyn, auch hatte er eben nicht viel Deklamation. Sie war etwas weinerlich, aber doch nicht unangenehm. Die meisten seiner Zuhörer sind Lutheraner. Einige nennen die Be- suchung dieses Gottesdienstes Galanterie, und verbieten den Ihrigen hinein zu gehen, sehen es für Syncretis- mus an, und halten sich lieber an ihre Priester. Mich dünkt doch, dieser sonst so vortrefliche Prediger versieht es offenbar darin, daß er den Text nicht berührt, und sonst im Verlauf des Vortrags keinen einzigen Spruch aus der Bibel anführt, auch nicht von der evangelischen Verpflichtung des Christen, nicht von der Liebe Gottes und Jesu Christi die Beweggründe zu seiner Tugend her- nimmt. Es gefällt und verfliegt. --
Mittags war ich beim ältern Hrn. Jakobäer zu Gaste. Nachmittags wollt' ich den Löhrischen Garten besehen, und auf dem Wege dahin ging ich einen Augen- blick aufs
Richtersche Kaffeehaus. Warlich eins, wie's weder in Paris, noch viel weniger in Amsterdam gibt. Das Haus übertrift manches Schlos. Man trift eine ganze Enfilade von schönen Zimmern darin an, wo in einigen gespeist, in andern Toback geraucht wird. Von da ging ich in den
Löhrschen Garten spazieren. Da der Apelsche und Grosbosische in Verfall kommen; so dient dieser Leipzig zu neuer Zierde. Vorne steht ein ungemein geschmack-
volles
folgt der Geſang und ein kurzes Gebet. Er predigte uͤber 1. Tim. IV. 17. Uebe dich ꝛc. und handelte von den Folgen der Lehre, daß unſer Leben nur Vorbereitung ſei ꝛc. Seine Stimme ſchien mir ſchwach zu ſeyn, auch hatte er eben nicht viel Deklamation. Sie war etwas weinerlich, aber doch nicht unangenehm. Die meiſten ſeiner Zuhoͤrer ſind Lutheraner. Einige nennen die Be- ſuchung dieſes Gottesdienſtes Galanterie, und verbieten den Ihrigen hinein zu gehen, ſehen es fuͤr Syncretis- mus an, und halten ſich lieber an ihre Prieſter. Mich duͤnkt doch, dieſer ſonſt ſo vortrefliche Prediger verſieht es offenbar darin, daß er den Text nicht beruͤhrt, und ſonſt im Verlauf des Vortrags keinen einzigen Spruch aus der Bibel anfuͤhrt, auch nicht von der evangeliſchen Verpflichtung des Chriſten, nicht von der Liebe Gottes und Jeſu Chriſti die Beweggruͤnde zu ſeiner Tugend her- nimmt. Es gefaͤllt und verfliegt. —
Mittags war ich beim aͤltern Hrn. Jakobaͤer zu Gaſte. Nachmittags wollt’ ich den Loͤhriſchen Garten beſehen, und auf dem Wege dahin ging ich einen Augen- blick aufs
Richterſche Kaffeehaus. Warlich eins, wie’s weder in Paris, noch viel weniger in Amſterdam gibt. Das Haus uͤbertrift manches Schlos. Man trift eine ganze Enfilade von ſchoͤnen Zimmern darin an, wo in einigen geſpeiſt, in andern Toback geraucht wird. Von da ging ich in den
Loͤhrſchen Garten ſpazieren. Da der Apelſche und Grosboſiſche in Verfall kommen; ſo dient dieſer Leipzig zu neuer Zierde. Vorne ſteht ein ungemein geſchmack-
volles
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0174"n="136"/>
folgt der Geſang und ein kurzes Gebet. Er predigte<lb/>
uͤber 1. <hirendition="#aq">Tim. IV.</hi> 17. Uebe dich ꝛc. und handelte von<lb/>
den Folgen der Lehre, daß unſer Leben nur Vorbereitung<lb/>ſei ꝛc. Seine Stimme ſchien mir ſchwach zu ſeyn, auch<lb/>
hatte er eben nicht viel Deklamation. Sie war etwas<lb/>
weinerlich, aber doch nicht unangenehm. Die meiſten<lb/>ſeiner Zuhoͤrer ſind Lutheraner. Einige nennen die Be-<lb/>ſuchung dieſes Gottesdienſtes Galanterie, und verbieten<lb/>
den Ihrigen hinein zu gehen, ſehen es fuͤr <hirendition="#aq">Syncretis-<lb/>
mus</hi> an, und halten ſich lieber an ihre Prieſter. Mich<lb/>
duͤnkt doch, dieſer ſonſt ſo vortrefliche Prediger verſieht<lb/>
es offenbar darin, daß er den Text nicht beruͤhrt, und<lb/>ſonſt im Verlauf des Vortrags keinen einzigen Spruch<lb/>
aus der Bibel anfuͤhrt, auch nicht von der evangeliſchen<lb/>
Verpflichtung des Chriſten, nicht von der Liebe Gottes<lb/>
und Jeſu Chriſti die Beweggruͤnde zu ſeiner Tugend her-<lb/>
nimmt. Es gefaͤllt und verfliegt. —</p><lb/><p>Mittags war ich beim <hirendition="#fr">aͤltern</hi> Hrn. <hirendition="#fr">Jakobaͤer</hi> zu<lb/>
Gaſte. Nachmittags wollt’ ich den <hirendition="#fr">Loͤhr</hi>iſchen Garten<lb/>
beſehen, und auf dem Wege dahin ging ich einen Augen-<lb/>
blick aufs</p><lb/><p><hirendition="#fr">Richter</hi>ſche <hirendition="#fr">Kaffeehaus.</hi> Warlich eins, wie’s<lb/>
weder in <hirendition="#fr">Paris,</hi> noch viel weniger in <hirendition="#fr">Amſterdam</hi> gibt.<lb/>
Das Haus uͤbertrift manches Schlos. Man trift eine<lb/>
ganze <hirendition="#aq">Enfilade</hi> von ſchoͤnen Zimmern darin an, wo in<lb/>
einigen geſpeiſt, in andern Toback geraucht wird. Von<lb/>
da ging ich in den</p><lb/><p><hirendition="#fr">Loͤhr</hi>ſchen Garten ſpazieren. Da der <hirendition="#fr">Apel</hi>ſche und<lb/><hirendition="#fr">Grosboſi</hi>ſche in Verfall kommen; ſo dient dieſer <hirendition="#fr">Leipzig</hi><lb/>
zu neuer Zierde. Vorne ſteht ein ungemein geſchmack-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">volles</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[136/0174]
folgt der Geſang und ein kurzes Gebet. Er predigte
uͤber 1. Tim. IV. 17. Uebe dich ꝛc. und handelte von
den Folgen der Lehre, daß unſer Leben nur Vorbereitung
ſei ꝛc. Seine Stimme ſchien mir ſchwach zu ſeyn, auch
hatte er eben nicht viel Deklamation. Sie war etwas
weinerlich, aber doch nicht unangenehm. Die meiſten
ſeiner Zuhoͤrer ſind Lutheraner. Einige nennen die Be-
ſuchung dieſes Gottesdienſtes Galanterie, und verbieten
den Ihrigen hinein zu gehen, ſehen es fuͤr Syncretis-
mus an, und halten ſich lieber an ihre Prieſter. Mich
duͤnkt doch, dieſer ſonſt ſo vortrefliche Prediger verſieht
es offenbar darin, daß er den Text nicht beruͤhrt, und
ſonſt im Verlauf des Vortrags keinen einzigen Spruch
aus der Bibel anfuͤhrt, auch nicht von der evangeliſchen
Verpflichtung des Chriſten, nicht von der Liebe Gottes
und Jeſu Chriſti die Beweggruͤnde zu ſeiner Tugend her-
nimmt. Es gefaͤllt und verfliegt. —
Mittags war ich beim aͤltern Hrn. Jakobaͤer zu
Gaſte. Nachmittags wollt’ ich den Loͤhriſchen Garten
beſehen, und auf dem Wege dahin ging ich einen Augen-
blick aufs
Richterſche Kaffeehaus. Warlich eins, wie’s
weder in Paris, noch viel weniger in Amſterdam gibt.
Das Haus uͤbertrift manches Schlos. Man trift eine
ganze Enfilade von ſchoͤnen Zimmern darin an, wo in
einigen geſpeiſt, in andern Toback geraucht wird. Von
da ging ich in den
Loͤhrſchen Garten ſpazieren. Da der Apelſche und
Grosboſiſche in Verfall kommen; ſo dient dieſer Leipzig
zu neuer Zierde. Vorne ſteht ein ungemein geſchmack-
volles
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/174>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.