Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

erst in Jahrhunderten wieder gesammelt werden kan;
denn was Hr. von Wangenheim bei Gelegenheit der
amerikanischen Wälder sagt, daß die meisten Eingebohr-
nen die Gewohnheit hätten, blos für das gegenwärtige zu
sorgen, das gilt wahrhaftig auch von den deutschen Bauern.
Die letzten Baadischen Dörfer, die wir auf diesem We-
ge fanden, sind Gerspach, und der kleine Ort Fezen-
bach.
In diesen Waldorten haben die Leute lauter Dä-
cher von Stroh, oder von angenagelten Schindeln. Sie
müssen solche haben, weil der Wind, der auf diesen Hö-
hen gar stark weht, alle Ziegel herabwerfen würde, und
weil es gewis ist, daß sie unter diesen Dächern viel mehr
Wärme haben, als unter andern. Freilich ist die Feu-
ersgefahr dabei grösser, und wir spüren diese Dächer alle
Jahre in den Rechnungen der Brandassekurationskasse.
Allein, was ist zu thun? Man muß sich nach den Um-
ständen richten, man kan die Natur nicht überall zwin-
gen; die allgemeinen Regeln, die viele Oekonomen und
Kameralisten geben, leiden gar manche Ausnahme,
wenn sie sollen angew[e]nde[t] werden. Glauben Sie in-
dessen nicht, daß hier lauter arme Leute wohnen. Die
Waldbauern sind in Schwaben fast immer die reichsten.
Sie handeln mit Vieh und Holz, und sammeln unver-
merkt Geld. Im Hause dieser Bauern merkt man es
nicht, daß der Besitzer reich ist. Man hat schon oft den
Fall gehabt, daß ein Mann, oder eine reiche Wittwe
plötzlich gestorben ist, und die Frau, oder die erwachse-
nen und verheiratheten Kinder haben nicht einmahl den
Ort gewußt, wo der Vater sein Geld aufgehoben hat.
Zuweilen verstecken sie es in einen Balken, der an der
Decke durch die Wohnstube läuft. Im Sommer
stecken sie oft ganze Säcke voll Geld in das Kamin, in

den

erſt in Jahrhunderten wieder geſammelt werden kan;
denn was Hr. von Wangenheim bei Gelegenheit der
amerikaniſchen Waͤlder ſagt, daß die meiſten Eingebohr-
nen die Gewohnheit haͤtten, blos fuͤr das gegenwaͤrtige zu
ſorgen, das gilt wahrhaftig auch von den deutſchen Bauern.
Die letzten Baadiſchen Doͤrfer, die wir auf dieſem We-
ge fanden, ſind Gerſpach, und der kleine Ort Fezen-
bach.
In dieſen Waldorten haben die Leute lauter Daͤ-
cher von Stroh, oder von angenagelten Schindeln. Sie
muͤſſen ſolche haben, weil der Wind, der auf dieſen Hoͤ-
hen gar ſtark weht, alle Ziegel herabwerfen wuͤrde, und
weil es gewis iſt, daß ſie unter dieſen Daͤchern viel mehr
Waͤrme haben, als unter andern. Freilich iſt die Feu-
ersgefahr dabei groͤſſer, und wir ſpuͤren dieſe Daͤcher alle
Jahre in den Rechnungen der Brandaſſekurationskaſſe.
Allein, was iſt zu thun? Man muß ſich nach den Um-
ſtaͤnden richten, man kan die Natur nicht uͤberall zwin-
gen; die allgemeinen Regeln, die viele Oekonomen und
Kameraliſten geben, leiden gar manche Ausnahme,
wenn ſie ſollen angew[e]nde[t] werden. Glauben Sie in-
deſſen nicht, daß hier lauter arme Leute wohnen. Die
Waldbauern ſind in Schwaben faſt immer die reichſten.
Sie handeln mit Vieh und Holz, und ſammeln unver-
merkt Geld. Im Hauſe dieſer Bauern merkt man es
nicht, daß der Beſitzer reich iſt. Man hat ſchon oft den
Fall gehabt, daß ein Mann, oder eine reiche Wittwe
ploͤtzlich geſtorben iſt, und die Frau, oder die erwachſe-
nen und verheiratheten Kinder haben nicht einmahl den
Ort gewußt, wo der Vater ſein Geld aufgehoben hat.
Zuweilen verſtecken ſie es in einen Balken, der an der
Decke durch die Wohnſtube laͤuft. Im Sommer
ſtecken ſie oft ganze Saͤcke voll Geld in das Kamin, in

den
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0424" n="386"/>
er&#x017F;t in Jahrhunderten wieder ge&#x017F;ammelt werden kan;<lb/>
denn was Hr. von <hi rendition="#fr">Wangenheim</hi> bei Gelegenheit der<lb/><hi rendition="#fr">amerika</hi>ni&#x017F;chen Wa&#x0364;lder &#x017F;agt, daß die mei&#x017F;ten Eingebohr-<lb/>
nen die Gewohnheit ha&#x0364;tten, blos fu&#x0364;r das gegenwa&#x0364;rtige zu<lb/>
&#x017F;orgen, das gilt wahrhaftig auch von den deut&#x017F;chen Bauern.<lb/>
Die letzten <hi rendition="#fr">Baad</hi>i&#x017F;chen Do&#x0364;rfer, die wir auf die&#x017F;em We-<lb/>
ge fanden, &#x017F;ind <hi rendition="#fr">Ger&#x017F;pach,</hi> und der kleine Ort <hi rendition="#fr">Fezen-<lb/>
bach.</hi> In die&#x017F;en Waldorten haben die Leute lauter Da&#x0364;-<lb/>
cher von Stroh, oder von angenagelten Schindeln. Sie<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;olche haben, weil der Wind, der auf die&#x017F;en Ho&#x0364;-<lb/>
hen gar &#x017F;tark weht, alle Ziegel herabwerfen wu&#x0364;rde, und<lb/>
weil es gewis i&#x017F;t, daß &#x017F;ie unter die&#x017F;en Da&#x0364;chern viel mehr<lb/>
Wa&#x0364;rme haben, als unter andern. Freilich i&#x017F;t die Feu-<lb/>
ersgefahr dabei gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er, und wir &#x017F;pu&#x0364;ren die&#x017F;e Da&#x0364;cher alle<lb/>
Jahre in den Rechnungen der Branda&#x017F;&#x017F;ekurationska&#x017F;&#x017F;e.<lb/>
Allein, was i&#x017F;t zu thun? Man muß &#x017F;ich nach den Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nden richten, man kan die Natur nicht u&#x0364;berall zwin-<lb/>
gen; die allgemeinen Regeln, die viele Oekonomen und<lb/>
Kamerali&#x017F;ten geben, leiden gar manche Ausnahme,<lb/>
wenn &#x017F;ie &#x017F;ollen angew<supplied>e</supplied>nde<supplied>t</supplied> werden. Glauben Sie in-<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en nicht, daß hier lauter arme Leute wohnen. Die<lb/>
Waldbauern &#x017F;ind in <hi rendition="#fr">Schwaben</hi> fa&#x017F;t immer die reich&#x017F;ten.<lb/>
Sie handeln mit Vieh und Holz, und &#x017F;ammeln unver-<lb/>
merkt Geld. Im Hau&#x017F;e die&#x017F;er Bauern merkt man es<lb/>
nicht, daß der Be&#x017F;itzer reich i&#x017F;t. Man hat &#x017F;chon oft den<lb/>
Fall gehabt, daß ein Mann, oder eine reiche Wittwe<lb/>
plo&#x0364;tzlich ge&#x017F;torben i&#x017F;t, und die Frau, oder die erwach&#x017F;e-<lb/>
nen und verheiratheten Kinder haben nicht einmahl den<lb/>
Ort gewußt, wo der Vater &#x017F;ein Geld aufgehoben hat.<lb/>
Zuweilen ver&#x017F;tecken &#x017F;ie es in einen Balken, der an der<lb/>
Decke durch die Wohn&#x017F;tube la&#x0364;uft. Im Sommer<lb/>
&#x017F;tecken &#x017F;ie oft ganze Sa&#x0364;cke voll Geld in das Kamin, in<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[386/0424] erſt in Jahrhunderten wieder geſammelt werden kan; denn was Hr. von Wangenheim bei Gelegenheit der amerikaniſchen Waͤlder ſagt, daß die meiſten Eingebohr- nen die Gewohnheit haͤtten, blos fuͤr das gegenwaͤrtige zu ſorgen, das gilt wahrhaftig auch von den deutſchen Bauern. Die letzten Baadiſchen Doͤrfer, die wir auf dieſem We- ge fanden, ſind Gerſpach, und der kleine Ort Fezen- bach. In dieſen Waldorten haben die Leute lauter Daͤ- cher von Stroh, oder von angenagelten Schindeln. Sie muͤſſen ſolche haben, weil der Wind, der auf dieſen Hoͤ- hen gar ſtark weht, alle Ziegel herabwerfen wuͤrde, und weil es gewis iſt, daß ſie unter dieſen Daͤchern viel mehr Waͤrme haben, als unter andern. Freilich iſt die Feu- ersgefahr dabei groͤſſer, und wir ſpuͤren dieſe Daͤcher alle Jahre in den Rechnungen der Brandaſſekurationskaſſe. Allein, was iſt zu thun? Man muß ſich nach den Um- ſtaͤnden richten, man kan die Natur nicht uͤberall zwin- gen; die allgemeinen Regeln, die viele Oekonomen und Kameraliſten geben, leiden gar manche Ausnahme, wenn ſie ſollen angewendet werden. Glauben Sie in- deſſen nicht, daß hier lauter arme Leute wohnen. Die Waldbauern ſind in Schwaben faſt immer die reichſten. Sie handeln mit Vieh und Holz, und ſammeln unver- merkt Geld. Im Hauſe dieſer Bauern merkt man es nicht, daß der Beſitzer reich iſt. Man hat ſchon oft den Fall gehabt, daß ein Mann, oder eine reiche Wittwe ploͤtzlich geſtorben iſt, und die Frau, oder die erwachſe- nen und verheiratheten Kinder haben nicht einmahl den Ort gewußt, wo der Vater ſein Geld aufgehoben hat. Zuweilen verſtecken ſie es in einen Balken, der an der Decke durch die Wohnſtube laͤuft. Im Sommer ſtecken ſie oft ganze Saͤcke voll Geld in das Kamin, in den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/424
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/424>, abgerufen am 25.11.2024.