daß er die Abwechselungen der Witterung nicht so leicht, wie am Ende des Sommers ausstehen kan.
Zwar bereitete sich jetzt freilich die Natur zum Gra- be, und legte ihren Schmuck ab. Sie gab von den Bäu- men ihre letzte Geschenke her, die Traube schwoll auf, und rief dem Winzer, die Winterfrucht sproßte schon wieder aus den braunen Feldern hervor, und erwartete den Schnee, der sie decken sollte. In vielen Gegenden sang kein Vogel mehr. Hie und da kündigte sich ein Rabe durch sein Geschrei an. Mit der sanften Farbe der Wie- sen wechselte das Grün der Tannen ab, und zwischen den Tangeln der Fichten hingen die gelben, rothen, fle- ckichten, und schon halb verdorrten Blätter der Laubbäu- me, wovon oft viele durch eine losgerissene Frucht nieder- geschlagen und vom Stiel gerissen wurden. Doch mach- te die unsägliche Menge des Obsts, besonders der Zwet- schen und der Aepfel, einen angenehmen Eindruck auf mich. Auch noch an alten und verdorrten Stämmen, die fast ganz Holz zu seyn schienen, sah man den Segen der Natur. Ueber Nacht drang die Zeitlose, (Col- chicum autumnale L.) aus dem Schooße der Erde hervor, und verschönerte mit ihrem rothen und silbernen Stoff meine Lieblinge, die Wiesen.
Von Pforzheim nach Vayhingen geht der Weg gröstentheils an der Enz hin. Man hat immer auf der einen Seite Wiesen, auf der andern Berge, die mit vie- ler Mühe Terrassenweise gebaut, mit steinernen Mauern vorne an der Strasse eingesaßt, und ganz mit Rebstöcken bedeckt sind. So müssen etwa die Berge in Palästina ausgesehen haben, die jetzt unter der Türkischen Regie-
rung
daß er die Abwechſelungen der Witterung nicht ſo leicht, wie am Ende des Sommers ausſtehen kan.
Zwar bereitete ſich jetzt freilich die Natur zum Gra- be, und legte ihren Schmuck ab. Sie gab von den Baͤu- men ihre letzte Geſchenke her, die Traube ſchwoll auf, und rief dem Winzer, die Winterfrucht ſproßte ſchon wieder aus den braunen Feldern hervor, und erwartete den Schnee, der ſie decken ſollte. In vielen Gegenden ſang kein Vogel mehr. Hie und da kuͤndigte ſich ein Rabe durch ſein Geſchrei an. Mit der ſanften Farbe der Wie- ſen wechſelte das Gruͤn der Tannen ab, und zwiſchen den Tangeln der Fichten hingen die gelben, rothen, fle- ckichten, und ſchon halb verdorrten Blaͤtter der Laubbaͤu- me, wovon oft viele durch eine losgeriſſene Frucht nieder- geſchlagen und vom Stiel geriſſen wurden. Doch mach- te die unſaͤgliche Menge des Obſts, beſonders der Zwet- ſchen und der Aepfel, einen angenehmen Eindruck auf mich. Auch noch an alten und verdorrten Staͤmmen, die faſt ganz Holz zu ſeyn ſchienen, ſah man den Segen der Natur. Ueber Nacht drang die Zeitloſe, (Col- chicum autumnale L.) aus dem Schooße der Erde hervor, und verſchoͤnerte mit ihrem rothen und ſilbernen Stoff meine Lieblinge, die Wieſen.
Von Pforzheim nach Vayhingen geht der Weg groͤſtentheils an der Enz hin. Man hat immer auf der einen Seite Wieſen, auf der andern Berge, die mit vie- ler Muͤhe Terraſſenweiſe gebaut, mit ſteinernen Mauern vorne an der Straſſe eingeſaßt, und ganz mit Rebſtoͤcken bedeckt ſind. So muͤſſen etwa die Berge in Palaͤſtina ausgeſehen haben, die jetzt unter der Tuͤrkiſchen Regie-
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daß er die Abwechſelungen der Witterung nicht ſo leicht,
wie am Ende des Sommers ausſtehen kan.
Zwar bereitete ſich jetzt freilich die Natur zum Gra-
be, und legte ihren Schmuck ab. Sie gab von den Baͤu-
men ihre letzte Geſchenke her, die Traube ſchwoll auf, und
rief dem Winzer, die Winterfrucht ſproßte ſchon wieder
aus den braunen Feldern hervor, und erwartete den
Schnee, der ſie decken ſollte. In vielen Gegenden ſang
kein Vogel mehr. Hie und da kuͤndigte ſich ein Rabe
durch ſein Geſchrei an. Mit der ſanften Farbe der Wie-
ſen wechſelte das Gruͤn der Tannen ab, und zwiſchen
den Tangeln der Fichten hingen die gelben, rothen, fle-
ckichten, und ſchon halb verdorrten Blaͤtter der Laubbaͤu-
me, wovon oft viele durch eine losgeriſſene Frucht nieder-
geſchlagen und vom Stiel geriſſen wurden. Doch mach-
te die unſaͤgliche Menge des Obſts, beſonders der Zwet-
ſchen und der Aepfel, einen angenehmen Eindruck auf
mich. Auch noch an alten und verdorrten Staͤmmen,
die faſt ganz Holz zu ſeyn ſchienen, ſah man den Segen
der Natur. Ueber Nacht drang die Zeitloſe, (Col-
chicum autumnale L.) aus dem Schooße der Erde
hervor, und verſchoͤnerte mit ihrem rothen und ſilbernen
Stoff meine Lieblinge, die Wieſen.
Von Pforzheim nach Vayhingen geht der Weg
groͤſtentheils an der Enz hin. Man hat immer auf der
einen Seite Wieſen, auf der andern Berge, die mit vie-
ler Muͤhe Terraſſenweiſe gebaut, mit ſteinernen Mauern
vorne an der Straſſe eingeſaßt, und ganz mit Rebſtoͤcken
bedeckt ſind. So muͤſſen etwa die Berge in Palaͤſtina
ausgeſehen haben, die jetzt unter der Tuͤrkiſchen Regie-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/44>, abgerufen am 21.11.2024.
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