Schön ist die Welt, die Gott gemacht, Wenn sie sein Licht umfließt!
Geißlingen ist das Städtchen, dem wir jetzt am nächsten sind, und da hielt ich mich gerne einige Stun- den auf. Geißlinger Arbeit haben Sie gewis schon oft gesehen. Sie geht mit dem Nürnberger Tand in der halben Welt herum. Der Ort ist ein Beweis von der Richtigkeit der Anmerkung: daß in rauhen und unfrucht- baren Gegenden die Industrie der Menschen erweckt und geschärft wird. Ganz in einem Kessel, auf allen Seiten von den greulichsten Bergen umgeben, liegt das Städt- chen, das übrigens nicht schlecht gebaut, und heitrer ist, als Ulm. Man gräbt überall Bausteine aus der Erde. Auch die Plätze, die etwa noch für Ackerfeld angesehen werden könnten, sind ganz mit Steinen angefüllt, welche die Farbe des Pariser Bausteins haben, aber viel fester und härter sind. Die Leute wissen ihre Künsteleien dem Fremden mit vieler Beredsamkeit anzuschwatzen. Ich war kaum abgestiegen, so war ich schon von Weibern und Kindern umringt, die alle einen Korb voll Sachen hat- ten, und jede Frau rühmte ihre Waare mehr, als die andre. Man kan für einen halben Gulden vielerlei kau- fen, und man muß es thun, will man Ruhe haben. Das war mir aber nicht hinreichend. Ich lies mich zu einem Beindrechsler führen, und sah selbst der Arbeit zu. Sie erhalten die Knochen von Strasburg, Schafhau- sen, München. Die Knochen der Ochsen, die man oft durch unser Vaterland Heerdenweise aus der Schweiz nach Strasburg treibt, werden in Geißlingen verar- beitet. Man kauft sie nicht dem Gewichte nach, sondern Tausendweise. Sie bekommen sie ungebleicht, und um das thierische Fett herauszubringen, werden die Gebeine
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Schoͤn iſt die Welt, die Gott gemacht, Wenn ſie ſein Licht umfließt!
Geißlingen iſt das Staͤdtchen, dem wir jetzt am naͤchſten ſind, und da hielt ich mich gerne einige Stun- den auf. Geißlinger Arbeit haben Sie gewis ſchon oft geſehen. Sie geht mit dem Nuͤrnberger Tand in der halben Welt herum. Der Ort iſt ein Beweis von der Richtigkeit der Anmerkung: daß in rauhen und unfrucht- baren Gegenden die Induſtrie der Menſchen erweckt und geſchaͤrft wird. Ganz in einem Keſſel, auf allen Seiten von den greulichſten Bergen umgeben, liegt das Staͤdt- chen, das uͤbrigens nicht ſchlecht gebaut, und heitrer iſt, als Ulm. Man graͤbt uͤberall Bauſteine aus der Erde. Auch die Plaͤtze, die etwa noch fuͤr Ackerfeld angeſehen werden koͤnnten, ſind ganz mit Steinen angefuͤllt, welche die Farbe des Pariſer Bauſteins haben, aber viel feſter und haͤrter ſind. Die Leute wiſſen ihre Kuͤnſteleien dem Fremden mit vieler Beredſamkeit anzuſchwatzen. Ich war kaum abgeſtiegen, ſo war ich ſchon von Weibern und Kindern umringt, die alle einen Korb voll Sachen hat- ten, und jede Frau ruͤhmte ihre Waare mehr, als die andre. Man kan fuͤr einen halben Gulden vielerlei kau- fen, und man muß es thun, will man Ruhe haben. Das war mir aber nicht hinreichend. Ich lies mich zu einem Beindrechsler fuͤhren, und ſah ſelbſt der Arbeit zu. Sie erhalten die Knochen von Strasburg, Schafhau- ſen, Muͤnchen. Die Knochen der Ochſen, die man oft durch unſer Vaterland Heerdenweiſe aus der Schweiz nach Strasburg treibt, werden in Geißlingen verar- beitet. Man kauft ſie nicht dem Gewichte nach, ſondern Tauſendweiſe. Sie bekommen ſie ungebleicht, und um das thieriſche Fett herauszubringen, werden die Gebeine
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Schoͤn iſt die Welt, die Gott gemacht,
Wenn ſie ſein Licht umfließt!
Geißlingen iſt das Staͤdtchen, dem wir jetzt am
naͤchſten ſind, und da hielt ich mich gerne einige Stun-
den auf. Geißlinger Arbeit haben Sie gewis ſchon oft
geſehen. Sie geht mit dem Nuͤrnberger Tand in der
halben Welt herum. Der Ort iſt ein Beweis von der
Richtigkeit der Anmerkung: daß in rauhen und unfrucht-
baren Gegenden die Induſtrie der Menſchen erweckt und
geſchaͤrft wird. Ganz in einem Keſſel, auf allen Seiten
von den greulichſten Bergen umgeben, liegt das Staͤdt-
chen, das uͤbrigens nicht ſchlecht gebaut, und heitrer iſt,
als Ulm. Man graͤbt uͤberall Bauſteine aus der Erde.
Auch die Plaͤtze, die etwa noch fuͤr Ackerfeld angeſehen
werden koͤnnten, ſind ganz mit Steinen angefuͤllt, welche
die Farbe des Pariſer Bauſteins haben, aber viel feſter
und haͤrter ſind. Die Leute wiſſen ihre Kuͤnſteleien dem
Fremden mit vieler Beredſamkeit anzuſchwatzen. Ich
war kaum abgeſtiegen, ſo war ich ſchon von Weibern und
Kindern umringt, die alle einen Korb voll Sachen hat-
ten, und jede Frau ruͤhmte ihre Waare mehr, als die
andre. Man kan fuͤr einen halben Gulden vielerlei kau-
fen, und man muß es thun, will man Ruhe haben.
Das war mir aber nicht hinreichend. Ich lies mich zu
einem Beindrechsler fuͤhren, und ſah ſelbſt der Arbeit zu.
Sie erhalten die Knochen von Strasburg, Schafhau-
ſen, Muͤnchen. Die Knochen der Ochſen, die man
oft durch unſer Vaterland Heerdenweiſe aus der Schweiz
nach Strasburg treibt, werden in Geißlingen verar-
beitet. Man kauft ſie nicht dem Gewichte nach, ſondern
Tauſendweiſe. Sie bekommen ſie ungebleicht, und um
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/48>, abgerufen am 23.11.2024.
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