die, so zweifelten, hieltens doch für einen süssen Irrthum, den sie behalten wollten. -- Die Wilden in Amertka glaubens selber. Die ganze Anwendung war in sechs Worten, daß also die Christen, die es nicht glauben, entweder blödsinniger oder lasterhafter als die Heiden wä- ren! -- So eine Predigt, wie Baer auch eine in Pa- ris (s. S. 65. des 1ten Th.) hielt, sagt man, ist in so grossen Städten, wo Libertinage und Freigeisterei herrscht, nöthig. -- Aber die, welche ein solch System haben, gehen nicht hinein; es fassen lauter Handwerks- bursche, Professionisten, Soldaten, Bediente, Bür- ger und Bürgersfrauen, und etwa junge unverständige Fräulein von einigen Gesandten und Agenten da. Für die Kommunikanten sagte er nun vollends kein Wort. Leicht ist so eine Predigt, viel leichter, als alle dogmatische und moralische, denn das alles ist vorgearbeitet in so vie- len Systemen, Kompendien, Wahrheiten der christli- chen Religion, von Lardner, Abbadie, Leß etc. Nach der Predigt ward gar kein allgemein umfassendes Gebet gesprochen, der Prediger ging mit dem V. U. und dem Segen weg. Man sang noch ein Lied, wiewohl viele schon hinausliefen. -- Betrübter Anblick von einer Menge Protestanten, die sich eng zusammenziehen muß, um Gottes Wort zu hören, in einer Stadt, die so viele Palläste, so viele leere Plätze hat!
Hierauf bekam ich einen Besuch von Hrn. Vo- gel auf dem Baron Friesschen Comtoir. Der gute Mann beschwerte sich, daß er keinen Tag frei habe, als den Sonntag. Er sei schon 24. Jahr hier, und doch noch wie fremd, weil er nicht immer essen, trinken, spielen wolle, und andre Unterhal-
tung
die, ſo zweifelten, hieltens doch fuͤr einen ſuͤſſen Irrthum, den ſie behalten wollten. — Die Wilden in Amertka glaubens ſelber. Die ganze Anwendung war in ſechs Worten, daß alſo die Chriſten, die es nicht glauben, entweder bloͤdſinniger oder laſterhafter als die Heiden waͤ- ren! — So eine Predigt, wie Baer auch eine in Pa- ris (ſ. S. 65. des 1ten Th.) hielt, ſagt man, iſt in ſo groſſen Staͤdten, wo Libertinage und Freigeiſterei herrſcht, noͤthig. — Aber die, welche ein ſolch Syſtem haben, gehen nicht hinein; es faſſen lauter Handwerks- burſche, Profeſſioniſten, Soldaten, Bediente, Buͤr- ger und Buͤrgersfrauen, und etwa junge unverſtaͤndige Fraͤulein von einigen Geſandten und Agenten da. Fuͤr die Kommunikanten ſagte er nun vollends kein Wort. Leicht iſt ſo eine Predigt, viel leichter, als alle dogmatiſche und moraliſche, denn das alles iſt vorgearbeitet in ſo vie- len Syſtemen, Kompendien, Wahrheiten der chriſtli- chen Religion, von Lardner, Abbadie, Leß ꝛc. Nach der Predigt ward gar kein allgemein umfaſſendes Gebet geſprochen, der Prediger ging mit dem V. U. und dem Segen weg. Man ſang noch ein Lied, wiewohl viele ſchon hinausliefen. — Betruͤbter Anblick von einer Menge Proteſtanten, die ſich eng zuſammenziehen muß, um Gottes Wort zu hoͤren, in einer Stadt, die ſo viele Pallaͤſte, ſo viele leere Plaͤtze hat!
Hierauf bekam ich einen Beſuch von Hrn. Vo- gel auf dem Baron Friesſchen Comtoir. Der gute Mann beſchwerte ſich, daß er keinen Tag frei habe, als den Sonntag. Er ſei ſchon 24. Jahr hier, und doch noch wie fremd, weil er nicht immer eſſen, trinken, ſpielen wolle, und andre Unterhal-
tung
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0524"n="486"/>
die, ſo zweifelten, hieltens doch fuͤr einen ſuͤſſen Irrthum,<lb/>
den ſie behalten wollten. — Die Wilden in <hirendition="#fr">Amertka</hi><lb/>
glaubens ſelber. Die ganze <hirendition="#fr">Anwendung</hi> war in ſechs<lb/>
Worten, daß alſo die Chriſten, die es nicht glauben,<lb/>
entweder bloͤdſinniger oder laſterhafter als die Heiden waͤ-<lb/>
ren! — So eine Predigt, wie <hirendition="#fr">Baer</hi> auch eine in <hirendition="#fr">Pa-<lb/>
ris</hi> (ſ. S. 65. des 1ten Th.) hielt, ſagt man, iſt in ſo<lb/>
groſſen Staͤdten, wo <hirendition="#aq">Libertinage</hi> und Freigeiſterei<lb/>
herrſcht, noͤthig. — Aber die, welche ein ſolch Syſtem<lb/>
haben, gehen nicht hinein; es faſſen lauter Handwerks-<lb/>
burſche, Profeſſioniſten, Soldaten, Bediente, Buͤr-<lb/>
ger und Buͤrgersfrauen, und etwa junge unverſtaͤndige<lb/>
Fraͤulein von einigen Geſandten und Agenten da. Fuͤr<lb/>
die Kommunikanten ſagte er nun vollends kein Wort.<lb/>
Leicht iſt ſo eine Predigt, viel leichter, als alle dogmatiſche<lb/>
und moraliſche, denn das alles iſt vorgearbeitet in ſo vie-<lb/>
len Syſtemen, Kompendien, Wahrheiten der chriſtli-<lb/>
chen Religion, von <hirendition="#fr">Lardner, Abbadie, Leß</hi>ꝛc. Nach<lb/>
der Predigt ward gar kein allgemein umfaſſendes Gebet<lb/>
geſprochen, der Prediger ging mit dem V. U. und dem<lb/>
Segen weg. Man ſang noch ein Lied, wiewohl viele<lb/>ſchon hinausliefen. — Betruͤbter Anblick von einer<lb/>
Menge Proteſtanten, die ſich eng zuſammenziehen muß,<lb/>
um Gottes Wort zu hoͤren, in einer Stadt, die ſo viele<lb/>
Pallaͤſte, ſo viele leere Plaͤtze hat!</p><lb/><p>Hierauf bekam ich einen Beſuch von Hrn. <hirendition="#fr">Vo-<lb/>
gel</hi> auf dem Baron <hirendition="#fr">Fries</hi>ſchen Comtoir. Der<lb/>
gute Mann beſchwerte ſich, daß er keinen Tag frei<lb/>
habe, als den Sonntag. Er ſei ſchon 24. Jahr<lb/>
hier, und doch noch wie fremd, weil er nicht immer<lb/>
eſſen, trinken, ſpielen wolle, und andre Unterhal-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">tung</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[486/0524]
die, ſo zweifelten, hieltens doch fuͤr einen ſuͤſſen Irrthum,
den ſie behalten wollten. — Die Wilden in Amertka
glaubens ſelber. Die ganze Anwendung war in ſechs
Worten, daß alſo die Chriſten, die es nicht glauben,
entweder bloͤdſinniger oder laſterhafter als die Heiden waͤ-
ren! — So eine Predigt, wie Baer auch eine in Pa-
ris (ſ. S. 65. des 1ten Th.) hielt, ſagt man, iſt in ſo
groſſen Staͤdten, wo Libertinage und Freigeiſterei
herrſcht, noͤthig. — Aber die, welche ein ſolch Syſtem
haben, gehen nicht hinein; es faſſen lauter Handwerks-
burſche, Profeſſioniſten, Soldaten, Bediente, Buͤr-
ger und Buͤrgersfrauen, und etwa junge unverſtaͤndige
Fraͤulein von einigen Geſandten und Agenten da. Fuͤr
die Kommunikanten ſagte er nun vollends kein Wort.
Leicht iſt ſo eine Predigt, viel leichter, als alle dogmatiſche
und moraliſche, denn das alles iſt vorgearbeitet in ſo vie-
len Syſtemen, Kompendien, Wahrheiten der chriſtli-
chen Religion, von Lardner, Abbadie, Leß ꝛc. Nach
der Predigt ward gar kein allgemein umfaſſendes Gebet
geſprochen, der Prediger ging mit dem V. U. und dem
Segen weg. Man ſang noch ein Lied, wiewohl viele
ſchon hinausliefen. — Betruͤbter Anblick von einer
Menge Proteſtanten, die ſich eng zuſammenziehen muß,
um Gottes Wort zu hoͤren, in einer Stadt, die ſo viele
Pallaͤſte, ſo viele leere Plaͤtze hat!
Hierauf bekam ich einen Beſuch von Hrn. Vo-
gel auf dem Baron Friesſchen Comtoir. Der
gute Mann beſchwerte ſich, daß er keinen Tag frei
habe, als den Sonntag. Er ſei ſchon 24. Jahr
hier, und doch noch wie fremd, weil er nicht immer
eſſen, trinken, ſpielen wolle, und andre Unterhal-
tung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/524>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.