chen sie eine Schuhsohle unter den Fuß binden, gleich den Mönchen, ohne Strümpfe, so fahren sie ins Feld.
Auch kleine Mädchen tragen Stiefeln mit Pelz gefüttert, bis an die Knie.
Die Weibspersonen haben bei der Arbeit im Felde das Gesicht der Länge und der Queere nach ver- bunden, und anders geht man gar nicht aus.
Schön sind die zahlreichen Heerden von Vieh aller Art, die man hie und da sieht, und die dem Reisenden begegnen, indem sie von einem Weideplatze getrieben wer- den. Mehr als tausend Stück sind oft beisammen. Man sieht Heerden von ganz weißgrauen Ochsen und Kühen, und das sind die meisten, auch wieder ganze Heerden von schwarzem Rindvieh, beide sind sehr hochbeinicht, kurz- stämmig oder gedrungen am Leibe, und haben die schön- sten Mondförmigen Hörner. Ein Ungarischer Stier ist ein wahres Prachtstück in der Natur. Noch zahlrei- cher sind die Schaafheerden, die, wenn der ganze Schwarm zu laufen anfing, kein Ende zu haben schie- nen. Auch Pferdeheerden sah ich; die Ungarischen Pferde sind alle klein, und werden schlecht gefüttert, sind aber dauerhaft.
Die Ungarischen Dörfer sehen gut aus. Man bauet die Häuser alle in einer geraden Linie, und die vordere Seite muß schneeweis mit Kalk beworfen seyn. Die Dächer sind alle der Wärme wegen mit dicken Bü- scheln von Rohr bedeckt, das man aus dem Neusiedler See bekömmt *). Ich fuhr auch an vielen grossen und
kleinen
*) Dieses Dachrohr ist Typha latifolia und Arundo frachnites L.
chen ſie eine Schuhſohle unter den Fuß binden, gleich den Moͤnchen, ohne Struͤmpfe, ſo fahren ſie ins Feld.
Auch kleine Maͤdchen tragen Stiefeln mit Pelz gefuͤttert, bis an die Knie.
Die Weibsperſonen haben bei der Arbeit im Felde das Geſicht der Laͤnge und der Queere nach ver- bunden, und anders geht man gar nicht aus.
Schoͤn ſind die zahlreichen Heerden von Vieh aller Art, die man hie und da ſieht, und die dem Reiſenden begegnen, indem ſie von einem Weideplatze getrieben wer- den. Mehr als tauſend Stuͤck ſind oft beiſammen. Man ſieht Heerden von ganz weißgrauen Ochſen und Kuͤhen, und das ſind die meiſten, auch wieder ganze Heerden von ſchwarzem Rindvieh, beide ſind ſehr hochbeinicht, kurz- ſtaͤmmig oder gedrungen am Leibe, und haben die ſchoͤn- ſten Mondfoͤrmigen Hoͤrner. Ein Ungariſcher Stier iſt ein wahres Prachtſtuͤck in der Natur. Noch zahlrei- cher ſind die Schaafheerden, die, wenn der ganze Schwarm zu laufen anfing, kein Ende zu haben ſchie- nen. Auch Pferdeheerden ſah ich; die Ungariſchen Pferde ſind alle klein, und werden ſchlecht gefuͤttert, ſind aber dauerhaft.
Die Ungariſchen Doͤrfer ſehen gut aus. Man bauet die Haͤuſer alle in einer geraden Linie, und die vordere Seite muß ſchneeweis mit Kalk beworfen ſeyn. Die Daͤcher ſind alle der Waͤrme wegen mit dicken Buͤ- ſcheln von Rohr bedeckt, das man aus dem Neuſiedler See bekoͤmmt *). Ich fuhr auch an vielen groſſen und
kleinen
*) Dieſes Dachrohr iſt Typha latifolia und Arundo frachnites L.
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chen ſie eine Schuhſohle unter den Fuß binden, gleich
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Auch kleine Maͤdchen tragen Stiefeln mit Pelz
gefuͤttert, bis an die Knie.
Die Weibsperſonen haben bei der Arbeit im
Felde das Geſicht der Laͤnge und der Queere nach ver-
bunden, und anders geht man gar nicht aus.
Schoͤn ſind die zahlreichen Heerden von Vieh aller
Art, die man hie und da ſieht, und die dem Reiſenden
begegnen, indem ſie von einem Weideplatze getrieben wer-
den. Mehr als tauſend Stuͤck ſind oft beiſammen. Man
ſieht Heerden von ganz weißgrauen Ochſen und Kuͤhen,
und das ſind die meiſten, auch wieder ganze Heerden von
ſchwarzem Rindvieh, beide ſind ſehr hochbeinicht, kurz-
ſtaͤmmig oder gedrungen am Leibe, und haben die ſchoͤn-
ſten Mondfoͤrmigen Hoͤrner. Ein Ungariſcher Stier
iſt ein wahres Prachtſtuͤck in der Natur. Noch zahlrei-
cher ſind die Schaafheerden, die, wenn der ganze
Schwarm zu laufen anfing, kein Ende zu haben ſchie-
nen. Auch Pferdeheerden ſah ich; die Ungariſchen
Pferde ſind alle klein, und werden ſchlecht gefuͤttert, ſind
aber dauerhaft.
Die Ungariſchen Doͤrfer ſehen gut aus. Man
bauet die Haͤuſer alle in einer geraden Linie, und die
vordere Seite muß ſchneeweis mit Kalk beworfen ſeyn.
Die Daͤcher ſind alle der Waͤrme wegen mit dicken Buͤ-
ſcheln von Rohr bedeckt, das man aus dem Neuſiedler
See bekoͤmmt *). Ich fuhr auch an vielen groſſen und
kleinen
*) Dieſes Dachrohr iſt Typha latifolia und Arundo
frachnites L.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 560. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/598>, abgerufen am 28.11.2024.
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