Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Vorurtheile in der Religion. nicht deswegen, weil wir sehen, daß nur wenige Restevom Ebenbild Gottes in uns übrig sind, die verlohren gehen, sobald wir den Zögling ohne Wehr und Waffen in diese Welt voll Jrrgänge, Klippen, bodenlose Tiefen, und Strudel hineinstürzen? Doch einige berufen sich im- mer darauf, daß die christliche Religion selber so viel Böses gestiftet habe in der Welt. Aber wir sind wahrlich! ungerecht, indem wir uns selber Recht spre- chen wollen. Wir gebens zu, und es macht uns oft selber, wenn wir die Geschichte lesen, eine traurige Stun- de -- sie hat Verfolgungen, Kriege, Uneinigkeiten, Re- bellionen, Blutvergießen, Thorheiten und Ausschweifun- gen ohne Namen und Zahl veranlaßt. Der Sifter der Religion wußte es auch vorher. (Matth. 10, 21.) Allein das ist der Fehler der Menschen, die sie miß- braucht haben. Der Vorwurf trifft die Lehre Jesu in ihrer liebenswürdigen Gestalt nicht, mit ihr sollte der Friede auf die Erde kommen; er trifft die schwärmerischen, erhitzten Köpfe, die glaubten, Gott einen Dienst zu thun, wenn sie bey der Predigt des Evangeliums das Schwerdt brauchten, und Feuer vom Himmel fallen ließen. Er trifft die schwachen, blödsinnigen, in Wollüsten begrabenen Regenten, die sich die Zügel der Regierung aus den Händen winden ließen, und ruhig zusahen, wenn Leute, die gehorchen sollten, mit Hülfe der Religion sich zu Monarchen aufschwangen. Er trifft die ruhelosen, ehr- süchtigen, stolzen Tyrannen des Menschengeschlechts, die zu allen Zeiten in der Welt waren, und bald den Aber- glauben, bald die Weisheit, bald die Gesetzgebung, bald die Kunde der Natur, bald den Eingang unter dem Volk, bald die vorgeblichen Besuche von Engeln mißbraucht haben
Vorurtheile in der Religion. nicht deswegen, weil wir ſehen, daß nur wenige Reſtevom Ebenbild Gottes in uns übrig ſind, die verlohren gehen, ſobald wir den Zögling ohne Wehr und Waffen in dieſe Welt voll Jrrgänge, Klippen, bodenloſe Tiefen, und Strudel hineinſtürzen? Doch einige berufen ſich im- mer darauf, daß die chriſtliche Religion ſelber ſo viel Böſes geſtiftet habe in der Welt. Aber wir ſind wahrlich! ungerecht, indem wir uns ſelber Recht ſpre- chen wollen. Wir gebens zu, und es macht uns oft ſelber, wenn wir die Geſchichte leſen, eine traurige Stun- de — ſie hat Verfolgungen, Kriege, Uneinigkeiten, Re- bellionen, Blutvergießen, Thorheiten und Ausſchweifun- gen ohne Namen und Zahl veranlaßt. Der Sifter der Religion wußte es auch vorher. (Matth. 10, 21.) Allein das iſt der Fehler der Menſchen, die ſie miß- braucht haben. Der Vorwurf trifft die Lehre Jeſu in ihrer liebenswürdigen Geſtalt nicht, mit ihr ſollte der Friede auf die Erde kommen; er trifft die ſchwärmeriſchen, erhitzten Köpfe, die glaubten, Gott einen Dienſt zu thun, wenn ſie bey der Predigt des Evangeliums das Schwerdt brauchten, und Feuer vom Himmel fallen ließen. Er trifft die ſchwachen, blödſinnigen, in Wollüſten begrabenen Regenten, die ſich die Zügel der Regierung aus den Händen winden ließen, und ruhig zuſahen, wenn Leute, die gehorchen ſollten, mit Hülfe der Religion ſich zu Monarchen aufſchwangen. Er trifft die ruheloſen, ehr- ſüchtigen, ſtolzen Tyrannen des Menſchengeſchlechts, die zu allen Zeiten in der Welt waren, und bald den Aber- glauben, bald die Weisheit, bald die Geſetzgebung, bald die Kunde der Natur, bald den Eingang unter dem Volk, bald die vorgeblichen Beſuche von Engeln mißbraucht haben
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Vorurtheile in der Religion.
nicht deswegen, weil wir ſehen, daß nur wenige Reſte
vom Ebenbild Gottes in uns übrig ſind, die verlohren
gehen, ſobald wir den Zögling ohne Wehr und Waffen
in dieſe Welt voll Jrrgänge, Klippen, bodenloſe Tiefen,
und Strudel hineinſtürzen? Doch einige berufen ſich im-
mer darauf, daß die chriſtliche Religion ſelber ſo viel
Böſes geſtiftet habe in der Welt. Aber wir ſind
wahrlich! ungerecht, indem wir uns ſelber Recht ſpre-
chen wollen. Wir gebens zu, und es macht uns oft
ſelber, wenn wir die Geſchichte leſen, eine traurige Stun-
de — ſie hat Verfolgungen, Kriege, Uneinigkeiten, Re-
bellionen, Blutvergießen, Thorheiten und Ausſchweifun-
gen ohne Namen und Zahl veranlaßt. Der Sifter
der Religion wußte es auch vorher. (Matth. 10, 21.)
Allein das iſt der Fehler der Menſchen, die ſie miß-
braucht haben. Der Vorwurf trifft die Lehre Jeſu in
ihrer liebenswürdigen Geſtalt nicht, mit ihr ſollte der
Friede auf die Erde kommen; er trifft die ſchwärmeriſchen,
erhitzten Köpfe, die glaubten, Gott einen Dienſt zu thun,
wenn ſie bey der Predigt des Evangeliums das Schwerdt
brauchten, und Feuer vom Himmel fallen ließen. Er
trifft die ſchwachen, blödſinnigen, in Wollüſten begrabenen
Regenten, die ſich die Zügel der Regierung aus den
Händen winden ließen, und ruhig zuſahen, wenn Leute,
die gehorchen ſollten, mit Hülfe der Religion ſich zu
Monarchen aufſchwangen. Er trifft die ruheloſen, ehr-
ſüchtigen, ſtolzen Tyrannen des Menſchengeſchlechts, die
zu allen Zeiten in der Welt waren, und bald den Aber-
glauben, bald die Weisheit, bald die Geſetzgebung, bald
die Kunde der Natur, bald den Eingang unter dem Volk,
bald die vorgeblichen Beſuche von Engeln mißbraucht
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