Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Frömmigkeit des Erlösers.
den ersten Anfang der Sünde verbot, (Matth. 5, 28.)
man nennt das Kleinigkeiten, wo er schon Unkeuschheit
und Unreinigkeit sieht; aber, o liebenswürdiger Erlöser!
wie muß sich doch deine große Weisheit von unsrer Kurz-
sichtigkeit meistern lassen! vergieb, daß wir deine väter-
liche Sorgfalt für uns nicht einmal genug erkennen, und
zu schätzen wissen! Es sind Kleinigkeiten, sagt ihr --
aber wißt ihr dann auch, daß in unsrer Welt, von der
Milchstraße am Himmel, bis zum Sandkorn herab, das
im Wind herum fliegt, nichts klein, nichts ohne Folgen
ist? daß an Kleinigkeiten die Verschlimmerung der Sit-
ten anfängt? daß ihr alsdann der Kugel gleicht, die vom
Berge rollt, und immer geschwinder herabstürzt? Wißt
ihr auch, daß es der Gipfel der Weisheit ist, nie von
der Grenzlinie des Schönen und Guten, weder herüber,
noch hinüber abzuweichen? daß schon oft Menschen mit
überherrlichen Talenten sich mit unerhörter Schande be-
fleckt haben? daß manche im Verborgenen Gottes schwere
Hand an ihren mißhandelten Gebeinen fühlen, die auch
bey kleinen Spielen, bey Dreistigkeit, bey ungebundenen
Grundsätzen, bey üppigen Sitten anfiengen, erst alles
mit der feinen Artigkeit entschuldigten, die Natur, die
freylich auch da am sichersten leitet, aber nur ihren folg-
samen und mäßigen Freund, erhitzten, unvermerkt in die
Trunkenheit sinnlicher Lüste hineinstürzten, sich bald nach-
her wilde schwärmende Liebe erlaubten, und endlich im
unmäßigen Genuß der gröbsten Wollüste schwelgten?
Willkommen muß uns also die Religion Jesu Christi
seyn, die uns vor dem Pfeil verwahrt, den wir, wenn er
uns einmal verwundet hat, nicht mehr herausreissen kön-
nen! "Gott wird uns nicht über kleine Ergötzun-

"gen

Frömmigkeit des Erlöſers.
den erſten Anfang der Sünde verbot, (Matth. 5, 28.)
man nennt das Kleinigkeiten, wo er ſchon Unkeuſchheit
und Unreinigkeit ſieht; aber, o liebenswürdiger Erlöſer!
wie muß ſich doch deine große Weisheit von unſrer Kurz-
ſichtigkeit meiſtern laſſen! vergieb, daß wir deine väter-
liche Sorgfalt für uns nicht einmal genug erkennen, und
zu ſchätzen wiſſen! Es ſind Kleinigkeiten, ſagt ihr —
aber wißt ihr dann auch, daß in unſrer Welt, von der
Milchſtraße am Himmel, bis zum Sandkorn herab, das
im Wind herum fliegt, nichts klein, nichts ohne Folgen
iſt? daß an Kleinigkeiten die Verſchlimmerung der Sit-
ten anfängt? daß ihr alsdann der Kugel gleicht, die vom
Berge rollt, und immer geſchwinder herabſtürzt? Wißt
ihr auch, daß es der Gipfel der Weisheit iſt, nie von
der Grenzlinie des Schönen und Guten, weder herüber,
noch hinüber abzuweichen? daß ſchon oft Menſchen mit
überherrlichen Talenten ſich mit unerhörter Schande be-
fleckt haben? daß manche im Verborgenen Gottes ſchwere
Hand an ihren mißhandelten Gebeinen fühlen, die auch
bey kleinen Spielen, bey Dreiſtigkeit, bey ungebundenen
Grundſätzen, bey üppigen Sitten anfiengen, erſt alles
mit der feinen Artigkeit entſchuldigten, die Natur, die
freylich auch da am ſicherſten leitet, aber nur ihren folg-
ſamen und mäßigen Freund, erhitzten, unvermerkt in die
Trunkenheit ſinnlicher Lüſte hineinſtürzten, ſich bald nach-
her wilde ſchwärmende Liebe erlaubten, und endlich im
unmäßigen Genuß der gröbſten Wollüſte ſchwelgten?
Willkommen muß uns alſo die Religion Jeſu Chriſti
ſeyn, die uns vor dem Pfeil verwahrt, den wir, wenn er
uns einmal verwundet hat, nicht mehr herausreiſſen kön-
nen! „Gott wird uns nicht über kleine Ergötzun-

„gen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0132" n="126"/><fw place="top" type="header">Frömmigkeit des Erlö&#x017F;ers.</fw><lb/>
den <hi rendition="#fr">er&#x017F;ten Anfang der Sünde</hi> verbot, (Matth. 5, 28.)<lb/>
man nennt das Kleinigkeiten, wo er &#x017F;chon Unkeu&#x017F;chheit<lb/>
und Unreinigkeit &#x017F;ieht; aber, o liebenswürdiger Erlö&#x017F;er!<lb/>
wie muß &#x017F;ich doch deine große Weisheit von un&#x017F;rer Kurz-<lb/>
&#x017F;ichtigkeit mei&#x017F;tern la&#x017F;&#x017F;en! vergieb, daß wir deine väter-<lb/>
liche Sorgfalt für uns nicht einmal genug erkennen, und<lb/>
zu &#x017F;chätzen wi&#x017F;&#x017F;en! <hi rendition="#fr">Es &#x017F;ind Kleinigkeiten,</hi> &#x017F;agt ihr &#x2014;<lb/>
aber wißt ihr dann auch, daß in un&#x017F;rer Welt, von der<lb/>
Milch&#x017F;traße am Himmel, bis zum Sandkorn herab, das<lb/>
im Wind herum fliegt, nichts klein, nichts ohne Folgen<lb/>
i&#x017F;t? daß an Kleinigkeiten die Ver&#x017F;chlimmerung der Sit-<lb/>
ten anfängt? daß ihr alsdann der Kugel gleicht, die vom<lb/>
Berge rollt, und immer ge&#x017F;chwinder herab&#x017F;türzt? Wißt<lb/>
ihr auch, daß es der Gipfel der Weisheit i&#x017F;t, nie von<lb/>
der Grenzlinie des Schönen und Guten, weder herüber,<lb/>
noch hinüber abzuweichen? daß &#x017F;chon oft Men&#x017F;chen mit<lb/>
überherrlichen Talenten &#x017F;ich mit unerhörter Schande be-<lb/>
fleckt haben? daß manche im Verborgenen Gottes &#x017F;chwere<lb/>
Hand an ihren mißhandelten Gebeinen fühlen, die auch<lb/>
bey kleinen Spielen, bey Drei&#x017F;tigkeit, bey ungebundenen<lb/>
Grund&#x017F;ätzen, bey üppigen Sitten anfiengen, er&#x017F;t alles<lb/>
mit der feinen Artigkeit ent&#x017F;chuldigten, die Natur, die<lb/>
freylich auch da am &#x017F;icher&#x017F;ten leitet, aber nur ihren folg-<lb/>
&#x017F;amen und mäßigen Freund, erhitzten, unvermerkt in die<lb/>
Trunkenheit &#x017F;innlicher Lü&#x017F;te hinein&#x017F;türzten, &#x017F;ich bald nach-<lb/>
her wilde &#x017F;chwärmende Liebe erlaubten, und endlich im<lb/>
unmäßigen Genuß der gröb&#x017F;ten Wollü&#x017F;te &#x017F;chwelgten?<lb/>
Willkommen muß uns al&#x017F;o die Religion Je&#x017F;u Chri&#x017F;ti<lb/>
&#x017F;eyn, die uns vor dem Pfeil verwahrt, den wir, wenn er<lb/>
uns einmal verwundet hat, nicht mehr herausrei&#x017F;&#x017F;en kön-<lb/>
nen! <hi rendition="#fr">&#x201E;Gott wird uns nicht über kleine Ergötzun-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">&#x201E;gen</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0132] Frömmigkeit des Erlöſers. den erſten Anfang der Sünde verbot, (Matth. 5, 28.) man nennt das Kleinigkeiten, wo er ſchon Unkeuſchheit und Unreinigkeit ſieht; aber, o liebenswürdiger Erlöſer! wie muß ſich doch deine große Weisheit von unſrer Kurz- ſichtigkeit meiſtern laſſen! vergieb, daß wir deine väter- liche Sorgfalt für uns nicht einmal genug erkennen, und zu ſchätzen wiſſen! Es ſind Kleinigkeiten, ſagt ihr — aber wißt ihr dann auch, daß in unſrer Welt, von der Milchſtraße am Himmel, bis zum Sandkorn herab, das im Wind herum fliegt, nichts klein, nichts ohne Folgen iſt? daß an Kleinigkeiten die Verſchlimmerung der Sit- ten anfängt? daß ihr alsdann der Kugel gleicht, die vom Berge rollt, und immer geſchwinder herabſtürzt? Wißt ihr auch, daß es der Gipfel der Weisheit iſt, nie von der Grenzlinie des Schönen und Guten, weder herüber, noch hinüber abzuweichen? daß ſchon oft Menſchen mit überherrlichen Talenten ſich mit unerhörter Schande be- fleckt haben? daß manche im Verborgenen Gottes ſchwere Hand an ihren mißhandelten Gebeinen fühlen, die auch bey kleinen Spielen, bey Dreiſtigkeit, bey ungebundenen Grundſätzen, bey üppigen Sitten anfiengen, erſt alles mit der feinen Artigkeit entſchuldigten, die Natur, die freylich auch da am ſicherſten leitet, aber nur ihren folg- ſamen und mäßigen Freund, erhitzten, unvermerkt in die Trunkenheit ſinnlicher Lüſte hineinſtürzten, ſich bald nach- her wilde ſchwärmende Liebe erlaubten, und endlich im unmäßigen Genuß der gröbſten Wollüſte ſchwelgten? Willkommen muß uns alſo die Religion Jeſu Chriſti ſeyn, die uns vor dem Pfeil verwahrt, den wir, wenn er uns einmal verwundet hat, nicht mehr herausreiſſen kön- nen! „Gott wird uns nicht über kleine Ergötzun- „gen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/132
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/132>, abgerufen am 21.11.2024.