Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Menschenliebe des Erlösers. auf dem Land aufzurichten und zu erquicken*). Jhmwäre es Wonne gewesen, wenn er allen Menschen eine große, beruhigende, moralische Gesinnung hätte einflös- sen können. Er hatte eine ganz ausserordentliche Fühl- barkeit. Er bemerkte, lobte, pries und vertheidigte auch die kleinste Wohlthat, die ihm ein gutes Herz schüchtern darbrachte. Man durfte der Frau, die ohne Zweifel aus Dankbarkeit für seine Reden und Wunder, und aus innerm Gefühl seiner Vortrefflichkeit den Augen- blick, wo er unter guten Freunden war, nicht vorbey las- sen konnte, ohne eine kostbare Salbe zu seiner Erquickung nach den Sitten des Landes auf ihn zu verwenden, in sei- ner Gegenwart keine Vorwürfe machen. (Matth. 26, 6 - 13.) Er wußte, daß das gute Herz, wenn es über- fließen will, nicht lang rechnet, und grübelt. Er wußte, daß für weiche Seelen nichts einschneidender ist, als der Anblick, daß etwas, das man vollkommen gut machen wollte, mißlungen ist. Daher wehrte er hier den Gro- ben, den Geizigen, die lieber das baare Geld, als ein Ehrengeschenk, in Beutel gestrichen hätten, als daß sie sich an der schnellen Entschließung dieser Frau, dem ge- liebten Wohlthäter die größte möglichste Ehre anzuthun, ergötzt hätten. Sah er irgendwo stille Tugend, die ohne Gepränge mehr handelt, als spricht, klein und unschein- bar, *) Omnis elegantia, sagt Quinctilian, circa opera vitae est. Ad se refert quisque quae audit, et id facillime ac- cipiunt animi, quod cognoscunt -- Jpsa illa apheleia simplex et inaffectata habet quendam purum, qualis et- iam in foeminis amatur, ornatum. s. Jnftitut. rhetor. L. VIII. c. 3. J 2
Menſchenliebe des Erlöſers. auf dem Land aufzurichten und zu erquicken*). Jhmwäre es Wonne geweſen, wenn er allen Menſchen eine große, beruhigende, moraliſche Geſinnung hätte einflöſ- ſen können. Er hatte eine ganz auſſerordentliche Fühl- barkeit. Er bemerkte, lobte, pries und vertheidigte auch die kleinſte Wohlthat, die ihm ein gutes Herz ſchüchtern darbrachte. Man durfte der Frau, die ohne Zweifel aus Dankbarkeit für ſeine Reden und Wunder, und aus innerm Gefühl ſeiner Vortrefflichkeit den Augen- blick, wo er unter guten Freunden war, nicht vorbey laſ- ſen konnte, ohne eine koſtbare Salbe zu ſeiner Erquickung nach den Sitten des Landes auf ihn zu verwenden, in ſei- ner Gegenwart keine Vorwürfe machen. (Matth. 26, 6 - 13.) Er wußte, daß das gute Herz, wenn es über- fließen will, nicht lang rechnet, und grübelt. Er wußte, daß für weiche Seelen nichts einſchneidender iſt, als der Anblick, daß etwas, das man vollkommen gut machen wollte, mißlungen iſt. Daher wehrte er hier den Gro- ben, den Geizigen, die lieber das baare Geld, als ein Ehrengeſchenk, in Beutel geſtrichen hätten, als daß ſie ſich an der ſchnellen Entſchließung dieſer Frau, dem ge- liebten Wohlthäter die größte möglichſte Ehre anzuthun, ergötzt hätten. Sah er irgendwo ſtille Tugend, die ohne Gepränge mehr handelt, als ſpricht, klein und unſchein- bar, *) Omnis elegantia, ſagt Quinctilian, circa opera vitae eſt. Ad ſe refert quisque quae audit, et id facillime ac- cipiunt animi, quod cognoſcunt — Jpſa illa αϕελεια ſimplex et inaffectata habet quendam purum, qualis et- iam in foeminis amatur, ornatum. ſ. Jnftitut. rhetor. L. VIII. c. 3. J 2
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Menſchenliebe des Erlöſers.
auf dem Land aufzurichten und zu erquicken *). Jhm
wäre es Wonne geweſen, wenn er allen Menſchen eine
große, beruhigende, moraliſche Geſinnung hätte einflöſ-
ſen können. Er hatte eine ganz auſſerordentliche Fühl-
barkeit. Er bemerkte, lobte, pries und vertheidigte
auch die kleinſte Wohlthat, die ihm ein gutes Herz
ſchüchtern darbrachte. Man durfte der Frau, die ohne
Zweifel aus Dankbarkeit für ſeine Reden und Wunder,
und aus innerm Gefühl ſeiner Vortrefflichkeit den Augen-
blick, wo er unter guten Freunden war, nicht vorbey laſ-
ſen konnte, ohne eine koſtbare Salbe zu ſeiner Erquickung
nach den Sitten des Landes auf ihn zu verwenden, in ſei-
ner Gegenwart keine Vorwürfe machen. (Matth. 26,
6 - 13.) Er wußte, daß das gute Herz, wenn es über-
fließen will, nicht lang rechnet, und grübelt. Er wußte,
daß für weiche Seelen nichts einſchneidender iſt, als der
Anblick, daß etwas, das man vollkommen gut machen
wollte, mißlungen iſt. Daher wehrte er hier den Gro-
ben, den Geizigen, die lieber das baare Geld, als ein
Ehrengeſchenk, in Beutel geſtrichen hätten, als daß ſie
ſich an der ſchnellen Entſchließung dieſer Frau, dem ge-
liebten Wohlthäter die größte möglichſte Ehre anzuthun,
ergötzt hätten. Sah er irgendwo ſtille Tugend, die ohne
Gepränge mehr handelt, als ſpricht, klein und unſchein-
bar,
*) Omnis elegantia, ſagt Quinctilian, circa opera vitae
eſt. Ad ſe refert quisque quae audit, et id facillime ac-
cipiunt animi, quod cognoſcunt — Jpſa illa αϕελεια
ſimplex et inaffectata habet quendam purum, qualis et-
iam in foeminis amatur, ornatum. ſ. Jnftitut. rhetor.
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