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Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

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Seine Vorschriften zur Liebe.
aufrichtig wünscht, mit allen guten Menschen bey ihm zu
seyn! Ja Heil und unsterblich Glück dem Menschen,
der Lauterkeit und Wahrheit im Herzen trägt, jeden Un-
glücklichen mit Erbarmung ansieht, zu ihm eilt, und die
Schwäche der Natur an jedem Verirrten kennen lernt!
Zuletzt gehen wir alle zu Gott! Was uns Menschen nicht
seyn können, wird er uns. Die Gerechten werden
deinem Namen danken, die Frommen werden
bleiben vor deinem Angesicht.
(Pf. 140, 14.) Uns
alle ruft er, uns alle kennt er, jede Stunde des Lebens,
jede schöne That, die, wie verborgene Blühten auf ein-
samen Felsen, dem Auge nicht sichtbar wird, weiß er.
O ihm empfohlen, mit ihm verbunden, an ihn gewöhnt,
zu seinem Umgang bestimmt, vor ihm entfaltet, nach
ihm gebildet seyn -- das ist Seligkeit, das ist die Lehre
und das Muster Jesu Christi!

Eben dieser Freund der Menschen befahl uns auch
daß wir die Strenge des Tadels mehr auf uns sel-
ber, als auf andre richten,
und uns sorgfältig hüten
sollten, durch bittern Spott, durch beleidigende Vor-
würfe andre irrende Brüder zu kränken, oder zu beschä-
men. Ein Blinder, sagt er, kann dem andern den
Weg nicht zeigen. Was siehst du den Splitter in
deines Bruders Auge, und wirst den Balken in
deinem Auge nicht gewahr?
(Lucä 6, 39-42.) Wür-
den wir nicht ein allgemeines Vergnügen in unsre Ge-
sellschaft einführen, wenn wir nach dieser unverbesser-
lichen Vorschrift erst an uns selber dächten, ehe wir mit
dem Vergrößerungsglas in der Hand an andern Men-
schen Flecken finden wollen? Jesus vergleicht die groben

Laster

Seine Vorſchriften zur Liebe.
aufrichtig wünſcht, mit allen guten Menſchen bey ihm zu
ſeyn! Ja Heil und unſterblich Glück dem Menſchen,
der Lauterkeit und Wahrheit im Herzen trägt, jeden Un-
glücklichen mit Erbarmung anſieht, zu ihm eilt, und die
Schwäche der Natur an jedem Verirrten kennen lernt!
Zuletzt gehen wir alle zu Gott! Was uns Menſchen nicht
ſeyn können, wird er uns. Die Gerechten werden
deinem Namen danken, die Frommen werden
bleiben vor deinem Angeſicht.
(Pf. 140, 14.) Uns
alle ruft er, uns alle kennt er, jede Stunde des Lebens,
jede ſchöne That, die, wie verborgene Blühten auf ein-
ſamen Felſen, dem Auge nicht ſichtbar wird, weiß er.
O ihm empfohlen, mit ihm verbunden, an ihn gewöhnt,
zu ſeinem Umgang beſtimmt, vor ihm entfaltet, nach
ihm gebildet ſeyn — das iſt Seligkeit, das iſt die Lehre
und das Muſter Jeſu Chriſti!

Eben dieſer Freund der Menſchen befahl uns auch
daß wir die Strenge des Tadels mehr auf uns ſel-
ber, als auf andre richten,
und uns ſorgfältig hüten
ſollten, durch bittern Spott, durch beleidigende Vor-
würfe andre irrende Brüder zu kränken, oder zu beſchä-
men. Ein Blinder, ſagt er, kann dem andern den
Weg nicht zeigen. Was ſiehſt du den Splitter in
deines Bruders Auge, und wirſt den Balken in
deinem Auge nicht gewahr?
(Lucä 6, 39-42.) Wür-
den wir nicht ein allgemeines Vergnügen in unſre Ge-
ſellſchaft einführen, wenn wir nach dieſer unverbeſſer-
lichen Vorſchrift erſt an uns ſelber dächten, ehe wir mit
dem Vergrößerungsglas in der Hand an andern Men-
ſchen Flecken finden wollen? Jeſus vergleicht die groben

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[157/0163] Seine Vorſchriften zur Liebe. aufrichtig wünſcht, mit allen guten Menſchen bey ihm zu ſeyn! Ja Heil und unſterblich Glück dem Menſchen, der Lauterkeit und Wahrheit im Herzen trägt, jeden Un- glücklichen mit Erbarmung anſieht, zu ihm eilt, und die Schwäche der Natur an jedem Verirrten kennen lernt! Zuletzt gehen wir alle zu Gott! Was uns Menſchen nicht ſeyn können, wird er uns. Die Gerechten werden deinem Namen danken, die Frommen werden bleiben vor deinem Angeſicht. (Pf. 140, 14.) Uns alle ruft er, uns alle kennt er, jede Stunde des Lebens, jede ſchöne That, die, wie verborgene Blühten auf ein- ſamen Felſen, dem Auge nicht ſichtbar wird, weiß er. O ihm empfohlen, mit ihm verbunden, an ihn gewöhnt, zu ſeinem Umgang beſtimmt, vor ihm entfaltet, nach ihm gebildet ſeyn — das iſt Seligkeit, das iſt die Lehre und das Muſter Jeſu Chriſti! Eben dieſer Freund der Menſchen befahl uns auch daß wir die Strenge des Tadels mehr auf uns ſel- ber, als auf andre richten, und uns ſorgfältig hüten ſollten, durch bittern Spott, durch beleidigende Vor- würfe andre irrende Brüder zu kränken, oder zu beſchä- men. Ein Blinder, ſagt er, kann dem andern den Weg nicht zeigen. Was ſiehſt du den Splitter in deines Bruders Auge, und wirſt den Balken in deinem Auge nicht gewahr? (Lucä 6, 39-42.) Wür- den wir nicht ein allgemeines Vergnügen in unſre Ge- ſellſchaft einführen, wenn wir nach dieſer unverbeſſer- lichen Vorſchrift erſt an uns ſelber dächten, ehe wir mit dem Vergrößerungsglas in der Hand an andern Men- ſchen Flecken finden wollen? Jeſus vergleicht die groben Laſter

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/163>, abgerufen am 21.11.2024.