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Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

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Menschenliebe des Erlösers.
unwahrscheinliche Hülfsmittel und Erleichterungen, das
war eben die unglückliche Hülle, die die klägliche Zukunft
den Augen aller Juden verbarg. Unser Erlöser wünscht,
daß sie den Tag seiner Ankunst, den Tag, der durch seine
öffentlichen Thränen groß und feyerlich geworden war,
die Woche seines Leidens, die Zeit, da sie ihn noch sa-
hen und hörten, benutzen möchten. Wer noch mensch-
lich denkt und fühlt, dem darf man wohl nicht mehr sa-
gen, als dies: daß Jesus Christus selber das schreckliche
Vorurtheil der späten Bekehrung beklagt und beweint
hat. Wir hoffen alle darauf, daß uns die Langmuth
Gottes einst noch Zeit und Raum zur Buße gönnen
werde. Aber wie, wenn die Stimme schallt: Haue
ihn ab, den dürren Stamm, was hindert er das
Land?
(Lucä 13, 7.) Wird sie uns dann nicht ausschre-
cken, wie ein Donner, der um das Bette des Schlafen-
den kracht? Wissen wir dann nicht, daß unser Gott hei-
lig und gerecht ist, daß ein Feuer von ihm ausgehen kann,
das die Widerwärtigen verzehrt? (Ebr. 12, 29.) Die
Unschuld ist doch immer besser, als die aufrichtigste Reue.
Es ist immer ein peinigender Schmerz, sich an alte
Sünden zu erinnern. Und diesen betrübten Erinnerungen
auszuweichen -- o es ist dem vieljährigen Christen
schwer, oft unmöglich. Zwischen den Empfindungen
der Freude über Gott, und unsrer Liebe zu ihm drängen
sie sich hervor, und martern uns selber bey dem Bewußt-
seyn unsers seligen Zustandes. Die lange Reihe von
bösen Folgen, die unsre Fehltritte in der Welt hervorge-
bracht haben, erscheint immer wieder, und verwundet oft
nach langen Jahren unsre Seele. Freylich hat die Re-
ligion einen Balsam wider diesen Kummer. Die Liebe

des

Menſchenliebe des Erlöſers.
unwahrſcheinliche Hülfsmittel und Erleichterungen, das
war eben die unglückliche Hülle, die die klägliche Zukunft
den Augen aller Juden verbarg. Unſer Erlöſer wünſcht,
daß ſie den Tag ſeiner Ankunſt, den Tag, der durch ſeine
öffentlichen Thränen groß und feyerlich geworden war,
die Woche ſeines Leidens, die Zeit, da ſie ihn noch ſa-
hen und hörten, benutzen möchten. Wer noch menſch-
lich denkt und fühlt, dem darf man wohl nicht mehr ſa-
gen, als dies: daß Jeſus Chriſtus ſelber das ſchreckliche
Vorurtheil der ſpäten Bekehrung beklagt und beweint
hat. Wir hoffen alle darauf, daß uns die Langmuth
Gottes einſt noch Zeit und Raum zur Buße gönnen
werde. Aber wie, wenn die Stimme ſchallt: Haue
ihn ab, den dürren Stamm, was hindert er das
Land?
(Lucä 13, 7.) Wird ſie uns dann nicht auſſchre-
cken, wie ein Donner, der um das Bette des Schlafen-
den kracht? Wiſſen wir dann nicht, daß unſer Gott hei-
lig und gerecht iſt, daß ein Feuer von ihm ausgehen kann,
das die Widerwärtigen verzehrt? (Ebr. 12, 29.) Die
Unſchuld iſt doch immer beſſer, als die aufrichtigſte Reue.
Es iſt immer ein peinigender Schmerz, ſich an alte
Sünden zu erinnern. Und dieſen betrübten Erinnerungen
auszuweichen — o es iſt dem vieljährigen Chriſten
ſchwer, oft unmöglich. Zwiſchen den Empfindungen
der Freude über Gott, und unſrer Liebe zu ihm drängen
ſie ſich hervor, und martern uns ſelber bey dem Bewußt-
ſeyn unſers ſeligen Zuſtandes. Die lange Reihe von
böſen Folgen, die unſre Fehltritte in der Welt hervorge-
bracht haben, erſcheint immer wieder, und verwundet oft
nach langen Jahren unſre Seele. Freylich hat die Re-
ligion einen Balſam wider dieſen Kummer. Die Liebe

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[206/0212] Menſchenliebe des Erlöſers. unwahrſcheinliche Hülfsmittel und Erleichterungen, das war eben die unglückliche Hülle, die die klägliche Zukunft den Augen aller Juden verbarg. Unſer Erlöſer wünſcht, daß ſie den Tag ſeiner Ankunſt, den Tag, der durch ſeine öffentlichen Thränen groß und feyerlich geworden war, die Woche ſeines Leidens, die Zeit, da ſie ihn noch ſa- hen und hörten, benutzen möchten. Wer noch menſch- lich denkt und fühlt, dem darf man wohl nicht mehr ſa- gen, als dies: daß Jeſus Chriſtus ſelber das ſchreckliche Vorurtheil der ſpäten Bekehrung beklagt und beweint hat. Wir hoffen alle darauf, daß uns die Langmuth Gottes einſt noch Zeit und Raum zur Buße gönnen werde. Aber wie, wenn die Stimme ſchallt: Haue ihn ab, den dürren Stamm, was hindert er das Land? (Lucä 13, 7.) Wird ſie uns dann nicht auſſchre- cken, wie ein Donner, der um das Bette des Schlafen- den kracht? Wiſſen wir dann nicht, daß unſer Gott hei- lig und gerecht iſt, daß ein Feuer von ihm ausgehen kann, das die Widerwärtigen verzehrt? (Ebr. 12, 29.) Die Unſchuld iſt doch immer beſſer, als die aufrichtigſte Reue. Es iſt immer ein peinigender Schmerz, ſich an alte Sünden zu erinnern. Und dieſen betrübten Erinnerungen auszuweichen — o es iſt dem vieljährigen Chriſten ſchwer, oft unmöglich. Zwiſchen den Empfindungen der Freude über Gott, und unſrer Liebe zu ihm drängen ſie ſich hervor, und martern uns ſelber bey dem Bewußt- ſeyn unſers ſeligen Zuſtandes. Die lange Reihe von böſen Folgen, die unſre Fehltritte in der Welt hervorge- bracht haben, erſcheint immer wieder, und verwundet oft nach langen Jahren unſre Seele. Freylich hat die Re- ligion einen Balſam wider dieſen Kummer. Die Liebe des

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/212>, abgerufen am 21.11.2024.