Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Menschenliebe des Erlösers. war er in der Stadt, so schenkte er noch seine letzten Tagedem Volk, das Unterricht und Belehrung bedurfte, und gieng nach seines Vaters Hause, auch um sich selber zu den schweren Martern, die ihm einige schon bereiteten, zu stärken. Er kam da auch in der freudigen Begleitung, die ihn eben zum Erstaunen der ganzen Stadt mit so vie- ler Pracht eingeholt hatte; aber welch ein betrübter An- blick für seine schon geschmolzene Seele! Wie viele Ur- sachen, die seine Thränen wieder rege machen, und seinen Eifer entzünden konnten! Da, wo eine heilige Stille al- les decken sollte, war ein Marktplatz, da, wo man nur die Stimme des Betens und des Dankens hören sollte, bot man Opferthiere feil, da sammleten sich immer viele müßige Leute, da verwechselten einige das Geld, das al- lein im Tempel bezahlt werden durfte, und unter diese Verkäufer, deren Dienste den Fremden aus den Provin- zen freylich unentbehrlich waren, die sich aber eben so leicht an jedem andern Ort hätten anbieten können, mischten sich viele andre, die an diesem der Religionslehre bestimm- ten Platz ihre Geldbegierde, ihre ungerechte Gewinn- sucht zu vergnügen suchten. Da Salomo den Tem- pel bauen mußte, hatte Gott mit ausserordentlicher Sorg- falt befohlen, daß unter den vielen Nebengebäuden, die den Tempel vorne umgaben, eins insbesondre den Hei- den, die etwa Lust bezeigten, der Abgötterey zu entsa- gen, und den wahren Gott anzubeten, überlassen werden sollte. (1 Buch der Kön. 8, 41-43.) Die verehrungs- würdige Absicht des Gesetzgebers war ohne Zweifel diese, daß solche vernünftigere, freyere Köpfe, die Denker und Untersucher unter den Götzendienern Gelegenheit haben sollten, bey ihrem Handel, bey ihren Reisen, bey ihrem Aufent-
Menſchenliebe des Erlöſers. war er in der Stadt, ſo ſchenkte er noch ſeine letzten Tagedem Volk, das Unterricht und Belehrung bedurfte, und gieng nach ſeines Vaters Hauſe, auch um ſich ſelber zu den ſchweren Martern, die ihm einige ſchon bereiteten, zu ſtärken. Er kam da auch in der freudigen Begleitung, die ihn eben zum Erſtaunen der ganzen Stadt mit ſo vie- ler Pracht eingeholt hatte; aber welch ein betrübter An- blick für ſeine ſchon geſchmolzene Seele! Wie viele Ur- ſachen, die ſeine Thränen wieder rege machen, und ſeinen Eifer entzünden konnten! Da, wo eine heilige Stille al- les decken ſollte, war ein Marktplatz, da, wo man nur die Stimme des Betens und des Dankens hören ſollte, bot man Opferthiere feil, da ſammleten ſich immer viele müßige Leute, da verwechſelten einige das Geld, das al- lein im Tempel bezahlt werden durfte, und unter dieſe Verkäufer, deren Dienſte den Fremden aus den Provin- zen freylich unentbehrlich waren, die ſich aber eben ſo leicht an jedem andern Ort hätten anbieten können, miſchten ſich viele andre, die an dieſem der Religionslehre beſtimm- ten Platz ihre Geldbegierde, ihre ungerechte Gewinn- ſucht zu vergnügen ſuchten. Da Salomo den Tem- pel bauen mußte, hatte Gott mit auſſerordentlicher Sorg- falt befohlen, daß unter den vielen Nebengebäuden, die den Tempel vorne umgaben, eins insbeſondre den Hei- den, die etwa Luſt bezeigten, der Abgötterey zu entſa- gen, und den wahren Gott anzubeten, überlaſſen werden ſollte. (1 Buch der Kön. 8, 41-43.) Die verehrungs- würdige Abſicht des Geſetzgebers war ohne Zweifel dieſe, daß ſolche vernünftigere, freyere Köpfe, die Denker und Unterſucher unter den Götzendienern Gelegenheit haben ſollten, bey ihrem Handel, bey ihren Reiſen, bey ihrem Aufent-
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Menſchenliebe des Erlöſers.
war er in der Stadt, ſo ſchenkte er noch ſeine letzten Tage
dem Volk, das Unterricht und Belehrung bedurfte, und
gieng nach ſeines Vaters Hauſe, auch um ſich ſelber zu
den ſchweren Martern, die ihm einige ſchon bereiteten,
zu ſtärken. Er kam da auch in der freudigen Begleitung,
die ihn eben zum Erſtaunen der ganzen Stadt mit ſo vie-
ler Pracht eingeholt hatte; aber welch ein betrübter An-
blick für ſeine ſchon geſchmolzene Seele! Wie viele Ur-
ſachen, die ſeine Thränen wieder rege machen, und ſeinen
Eifer entzünden konnten! Da, wo eine heilige Stille al-
les decken ſollte, war ein Marktplatz, da, wo man nur
die Stimme des Betens und des Dankens hören ſollte,
bot man Opferthiere feil, da ſammleten ſich immer viele
müßige Leute, da verwechſelten einige das Geld, das al-
lein im Tempel bezahlt werden durfte, und unter dieſe
Verkäufer, deren Dienſte den Fremden aus den Provin-
zen freylich unentbehrlich waren, die ſich aber eben ſo
leicht an jedem andern Ort hätten anbieten können, miſchten
ſich viele andre, die an dieſem der Religionslehre beſtimm-
ten Platz ihre Geldbegierde, ihre ungerechte Gewinn-
ſucht zu vergnügen ſuchten. Da Salomo den Tem-
pel bauen mußte, hatte Gott mit auſſerordentlicher Sorg-
falt befohlen, daß unter den vielen Nebengebäuden, die
den Tempel vorne umgaben, eins insbeſondre den Hei-
den, die etwa Luſt bezeigten, der Abgötterey zu entſa-
gen, und den wahren Gott anzubeten, überlaſſen werden
ſollte. (1 Buch der Kön. 8, 41-43.) Die verehrungs-
würdige Abſicht des Geſetzgebers war ohne Zweifel dieſe,
daß ſolche vernünftigere, freyere Köpfe, die Denker und
Unterſucher unter den Götzendienern Gelegenheit haben
ſollten, bey ihrem Handel, bey ihren Reiſen, bey ihrem
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