Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Unterredungen mit Gott.
äußersten Rand der Welt seine Hand bieten wird? Ach,
erhalt in der schwellenden Brust diese heilige Ahndung,
diese Hoffnung zu dir, und erfülle sie bald.

Gott! die Erde ist wonnevoll und schön, aber mein
Vaterland ist sie nicht. Sterbliche sind meine Brüder,
aber der Geist, der Hauch von dir, fliegt der Unsterb-
lichkeit entgegen.

Milder und unerschöpflicher Gott! laß niemand un-
ter uns deine Wohlthaten verkennen, oder verachten. Be-
wahre uns vor dem Undank, und dem Mißbrauch, der
gen Himmel schreyt. Laß auch niemanden unter uns im
Jammer versinken, und an deiner Fürsorge zweifeln.
Baue du selber deine Stadt unter uns; unsre Väter sind
Menschen, wie wir, und geben uns doch gute Gaben --
Du, unser wahrer, ewiger Vater, gieb uns die beste Gabe,
schenk uns Weisheit zum Leben, und Kraft zum Sterben.

Vor dir, o Gott, und sonst nirgends freut sich meine
Seele. Zu dir steigt der verborgenste Gedanke meines
Herzens hinauf, deine Güte begleitet mich durch das Le-
ben, meine Tage sind in deiner Hand, du hauchst den
Odem in die Brust, du nimmst ihn weg, und russt mich
zum Grabe, deinen Sohn und mit ihm alle Rechte des
Himmels schenkest du mir -- ach, lehre mich selber das
Loblied, das dir gefallen kann.

Als dein Sohn zu deinem liebenden Vater hingehen
sollte, sprach er voll Ruhe und Freude: Jch fahre auf zu
meinem Gott, und zu eurem Gott, zu meinem Vater,
und zu eurem Vater -- O du Gott, voll Barmherzig-
keit und Gnade! laß es mir einfallen, wenn die Natur
den Tod stärker, als sonst merkt, wenn das schon taubge-

wordene

Unterredungen mit Gott.
äußerſten Rand der Welt ſeine Hand bieten wird? Ach,
erhalt in der ſchwellenden Bruſt dieſe heilige Ahndung,
dieſe Hoffnung zu dir, und erfülle ſie bald.

Gott! die Erde iſt wonnevoll und ſchön, aber mein
Vaterland iſt ſie nicht. Sterbliche ſind meine Brüder,
aber der Geiſt, der Hauch von dir, fliegt der Unſterb-
lichkeit entgegen.

Milder und unerſchöpflicher Gott! laß niemand un-
ter uns deine Wohlthaten verkennen, oder verachten. Be-
wahre uns vor dem Undank, und dem Mißbrauch, der
gen Himmel ſchreyt. Laß auch niemanden unter uns im
Jammer verſinken, und an deiner Fürſorge zweifeln.
Baue du ſelber deine Stadt unter uns; unſre Väter ſind
Menſchen, wie wir, und geben uns doch gute Gaben —
Du, unſer wahrer, ewiger Vater, gieb uns die beſte Gabe,
ſchenk uns Weisheit zum Leben, und Kraft zum Sterben.

Vor dir, o Gott, und ſonſt nirgends freut ſich meine
Seele. Zu dir ſteigt der verborgenſte Gedanke meines
Herzens hinauf, deine Güte begleitet mich durch das Le-
ben, meine Tage ſind in deiner Hand, du hauchſt den
Odem in die Bruſt, du nimmſt ihn weg, und ruſſt mich
zum Grabe, deinen Sohn und mit ihm alle Rechte des
Himmels ſchenkeſt du mir — ach, lehre mich ſelber das
Loblied, das dir gefallen kann.

Als dein Sohn zu deinem liebenden Vater hingehen
ſollte, ſprach er voll Ruhe und Freude: Jch fahre auf zu
meinem Gott, und zu eurem Gott, zu meinem Vater,
und zu eurem Vater — O du Gott, voll Barmherzig-
keit und Gnade! laß es mir einfallen, wenn die Natur
den Tod ſtärker, als ſonſt merkt, wenn das ſchon taubge-

wordene
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0048" n="42"/><fw place="top" type="header">Unterredungen mit Gott.</fw><lb/>
äußer&#x017F;ten Rand der Welt &#x017F;eine Hand bieten wird? Ach,<lb/>
erhalt in der &#x017F;chwellenden Bru&#x017F;t die&#x017F;e heilige Ahndung,<lb/>
die&#x017F;e Hoffnung zu dir, und erfülle &#x017F;ie bald.</p><lb/>
        <p>Gott! die Erde i&#x017F;t wonnevoll und &#x017F;chön, aber mein<lb/>
Vaterland i&#x017F;t &#x017F;ie nicht. Sterbliche &#x017F;ind meine Brüder,<lb/>
aber der Gei&#x017F;t, der Hauch von dir, fliegt der Un&#x017F;terb-<lb/>
lichkeit entgegen.</p><lb/>
        <p>Milder und uner&#x017F;chöpflicher Gott! laß niemand un-<lb/>
ter uns deine Wohlthaten verkennen, oder verachten. Be-<lb/>
wahre uns vor dem Undank, und dem Mißbrauch, der<lb/>
gen Himmel &#x017F;chreyt. Laß auch niemanden unter uns im<lb/>
Jammer ver&#x017F;inken, und an deiner Für&#x017F;orge zweifeln.<lb/>
Baue du &#x017F;elber deine Stadt unter uns; un&#x017F;re Väter &#x017F;ind<lb/>
Men&#x017F;chen, wie wir, und geben uns doch gute Gaben &#x2014;<lb/>
Du, un&#x017F;er wahrer, ewiger Vater, gieb uns die be&#x017F;te Gabe,<lb/>
&#x017F;chenk uns Weisheit zum Leben, und Kraft zum Sterben.</p><lb/>
        <p>Vor dir, o Gott, und &#x017F;on&#x017F;t nirgends freut &#x017F;ich meine<lb/>
Seele. Zu dir &#x017F;teigt der verborgen&#x017F;te Gedanke meines<lb/>
Herzens hinauf, deine Güte begleitet mich durch das Le-<lb/>
ben, meine Tage &#x017F;ind in deiner Hand, du hauch&#x017F;t den<lb/>
Odem in die Bru&#x017F;t, du nimm&#x017F;t ihn weg, und ru&#x017F;&#x017F;t mich<lb/>
zum Grabe, deinen Sohn und mit ihm alle Rechte des<lb/>
Himmels &#x017F;chenke&#x017F;t du mir &#x2014; ach, lehre mich &#x017F;elber das<lb/>
Loblied, das dir gefallen kann.</p><lb/>
        <p>Als dein Sohn zu deinem liebenden Vater hingehen<lb/>
&#x017F;ollte, &#x017F;prach er voll Ruhe und Freude: Jch fahre auf zu<lb/>
meinem Gott, und zu eurem Gott, zu meinem Vater,<lb/>
und zu eurem Vater &#x2014; O du Gott, voll Barmherzig-<lb/>
keit und Gnade! laß es mir einfallen, wenn die Natur<lb/>
den Tod &#x017F;tärker, als &#x017F;on&#x017F;t merkt, wenn das &#x017F;chon taubge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wordene</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0048] Unterredungen mit Gott. äußerſten Rand der Welt ſeine Hand bieten wird? Ach, erhalt in der ſchwellenden Bruſt dieſe heilige Ahndung, dieſe Hoffnung zu dir, und erfülle ſie bald. Gott! die Erde iſt wonnevoll und ſchön, aber mein Vaterland iſt ſie nicht. Sterbliche ſind meine Brüder, aber der Geiſt, der Hauch von dir, fliegt der Unſterb- lichkeit entgegen. Milder und unerſchöpflicher Gott! laß niemand un- ter uns deine Wohlthaten verkennen, oder verachten. Be- wahre uns vor dem Undank, und dem Mißbrauch, der gen Himmel ſchreyt. Laß auch niemanden unter uns im Jammer verſinken, und an deiner Fürſorge zweifeln. Baue du ſelber deine Stadt unter uns; unſre Väter ſind Menſchen, wie wir, und geben uns doch gute Gaben — Du, unſer wahrer, ewiger Vater, gieb uns die beſte Gabe, ſchenk uns Weisheit zum Leben, und Kraft zum Sterben. Vor dir, o Gott, und ſonſt nirgends freut ſich meine Seele. Zu dir ſteigt der verborgenſte Gedanke meines Herzens hinauf, deine Güte begleitet mich durch das Le- ben, meine Tage ſind in deiner Hand, du hauchſt den Odem in die Bruſt, du nimmſt ihn weg, und ruſſt mich zum Grabe, deinen Sohn und mit ihm alle Rechte des Himmels ſchenkeſt du mir — ach, lehre mich ſelber das Loblied, das dir gefallen kann. Als dein Sohn zu deinem liebenden Vater hingehen ſollte, ſprach er voll Ruhe und Freude: Jch fahre auf zu meinem Gott, und zu eurem Gott, zu meinem Vater, und zu eurem Vater — O du Gott, voll Barmherzig- keit und Gnade! laß es mir einfallen, wenn die Natur den Tod ſtärker, als ſonſt merkt, wenn das ſchon taubge- wordene

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/48
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/48>, abgerufen am 15.06.2024.