Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Ueber den Charakter Jesu Christi. aber Herodes wußte nicht, welche Person, welchen Namener ihm geben sollte. Wollten viele aufrichtig reden, so würden sie ihren Stand, ihre Tafel, ihr Vermögen, ihr kostbares Gewand, ihren Rang und Vorzug mit dem geschäftigen, mäßigen, dunkeln, wohlgeordneten, sanst wie ein Bach zwischen Gebüschen, hingleitenden Leben des Erlösers nicht vertauschen. Wir halten immer Ar- muth, und beständige Arbeitsamkeit für Schande. Weil viele schlechte Regenten sich durch Faulheit und Schwel- gerey Ländern ist man herzhaft über alle Vorurtheile eingedrun- gen, und nun singt man mit wahrer Erbauung die from- men Gesänge unsers verewigten Gellert, und andrer würdigen Männer. Wer auf irgend eine Art dem Fort- gang solcher nützlichen, und mit dem Geist des Christen- thums vollkommen übereinstimmenden Anstalten Hinder- nisse in den Weg legt -- nun, der sehe zu, ob er es einst vor dem Richterstuhl Jesu Christi wird verantwor- ten können. Denn jeder, der Gott und seine Mitmen- schen liebt, muß unwillig werden, wenn er sieht, wie traurig, wie unzweckmäßig, wie mangelhaft, wie seicht gerade die wenigen Bücher sind, an die sich der gemeine Mann durchgängig hält, nämlich Catechismus und Ge- sangbuch. Gerade so, wie er sie braucht, sind sie bis- her nicht gewesen, und so lange man nicht einmal ihre Feh- ler laut aufdecken darf, so ist auch noch keine Hoffnung da, daß man sich des gemeinen Mannes bald erbarmen wird. Eins darf ich doch wohl sagen? Wäre nicht das Papier, das jezt im Catechismus von der Beicht, vom Bind- und Löseschlüssel voll ist, nützlicher angewendet, wenn man die wichtige Lehre von der Vorsehung nicht so mager, wie bisher, abhandelte? O die ehemaligen Wortstreitigkeiten in der Kirche haben unsäglich viel Bö- ses gestiftet, und haben noch betrübte Folgen! D 2
Ueber den Charakter Jeſu Chriſti. aber Herodes wußte nicht, welche Perſon, welchen Namener ihm geben ſollte. Wollten viele aufrichtig reden, ſo würden ſie ihren Stand, ihre Tafel, ihr Vermögen, ihr koſtbares Gewand, ihren Rang und Vorzug mit dem geſchäftigen, mäßigen, dunkeln, wohlgeordneten, ſanſt wie ein Bach zwiſchen Gebüſchen, hingleitenden Leben des Erlöſers nicht vertauſchen. Wir halten immer Ar- muth, und beſtändige Arbeitſamkeit für Schande. Weil viele ſchlechte Regenten ſich durch Faulheit und Schwel- gerey Ländern iſt man herzhaft über alle Vorurtheile eingedrun- gen, und nun ſingt man mit wahrer Erbauung die from- men Geſänge unſers verewigten Gellert, und andrer würdigen Männer. Wer auf irgend eine Art dem Fort- gang ſolcher nützlichen, und mit dem Geiſt des Chriſten- thums vollkommen übereinſtimmenden Anſtalten Hinder- niſſe in den Weg legt — nun, der ſehe zu, ob er es einſt vor dem Richterſtuhl Jeſu Chriſti wird verantwor- ten können. Denn jeder, der Gott und ſeine Mitmen- ſchen liebt, muß unwillig werden, wenn er ſieht, wie traurig, wie unzweckmäßig, wie mangelhaft, wie ſeicht gerade die wenigen Bücher ſind, an die ſich der gemeine Mann durchgängig hält, nämlich Catechismus und Ge- ſangbuch. Gerade ſo, wie er ſie braucht, ſind ſie bis- her nicht geweſen, und ſo lange man nicht einmal ihre Feh- ler laut aufdecken darf, ſo iſt auch noch keine Hoffnung da, daß man ſich des gemeinen Mannes bald erbarmen wird. Eins darf ich doch wohl ſagen? Wäre nicht das Papier, das jezt im Catechismus von der Beicht, vom Bind- und Löſeſchlüſſel voll iſt, nützlicher angewendet, wenn man die wichtige Lehre von der Vorſehung nicht ſo mager, wie bisher, abhandelte? O die ehemaligen Wortſtreitigkeiten in der Kirche haben unſäglich viel Bö- ſes geſtiftet, und haben noch betrübte Folgen! D 2
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Ueber den Charakter Jeſu Chriſti.
aber Herodes wußte nicht, welche Perſon, welchen Namen
er ihm geben ſollte. Wollten viele aufrichtig reden, ſo
würden ſie ihren Stand, ihre Tafel, ihr Vermögen, ihr
koſtbares Gewand, ihren Rang und Vorzug mit dem
geſchäftigen, mäßigen, dunkeln, wohlgeordneten, ſanſt
wie ein Bach zwiſchen Gebüſchen, hingleitenden Leben
des Erlöſers nicht vertauſchen. Wir halten immer Ar-
muth, und beſtändige Arbeitſamkeit für Schande. Weil
viele ſchlechte Regenten ſich durch Faulheit und Schwel-
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*) Ländern iſt man herzhaft über alle Vorurtheile eingedrun-
gen, und nun ſingt man mit wahrer Erbauung die from-
men Geſänge unſers verewigten Gellert, und andrer
würdigen Männer. Wer auf irgend eine Art dem Fort-
gang ſolcher nützlichen, und mit dem Geiſt des Chriſten-
thums vollkommen übereinſtimmenden Anſtalten Hinder-
niſſe in den Weg legt — nun, der ſehe zu, ob er es
einſt vor dem Richterſtuhl Jeſu Chriſti wird verantwor-
ten können. Denn jeder, der Gott und ſeine Mitmen-
ſchen liebt, muß unwillig werden, wenn er ſieht, wie
traurig, wie unzweckmäßig, wie mangelhaft, wie ſeicht
gerade die wenigen Bücher ſind, an die ſich der gemeine
Mann durchgängig hält, nämlich Catechismus und Ge-
ſangbuch. Gerade ſo, wie er ſie braucht, ſind ſie bis-
her nicht geweſen, und ſo lange man nicht einmal ihre Feh-
ler laut aufdecken darf, ſo iſt auch noch keine Hoffnung
da, daß man ſich des gemeinen Mannes bald erbarmen
wird. Eins darf ich doch wohl ſagen? Wäre nicht das
Papier, das jezt im Catechismus von der Beicht, vom
Bind- und Löſeſchlüſſel voll iſt, nützlicher angewendet,
wenn man die wichtige Lehre von der Vorſehung nicht
ſo mager, wie bisher, abhandelte? O die ehemaligen
Wortſtreitigkeiten in der Kirche haben unſäglich viel Bö-
ſes geſtiftet, und haben noch betrübte Folgen!
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