Sanders, Daniel: Brief an Karl Gutzkow. Altstrelitz, 25. Januar 1876.einen Dienst erweisen, sondern - wie Sie in Ihrem Brief ganz richtig hervor Doch schreibt man auch Substantive klein... in verbalen Ausdrücken, wie... Ginge so Etwas im Volk durch, so wäre die Abschaffung der gro- Über ein ähnliches Verhalten in Bezug auf die Dehnungsbuch- einen Dienst erweisen, sondern – wie Sie in Ihrem Brief ganz richtig hervor Doch schreibt man auch Substantive klein… in verbalen Ausdrücken, wie… Ginge so Etwas im Volk durch, so wäre die Abschaffung der gro- Über ein ähnliches Verhalten in Bezug auf die Dehnungsbuch- <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0002" n="[1v]"/> einen Dienst erweisen, sondern – wie Sie in Ihrem Brief ganz richtig hervor<lb/> heben – auch der deutschen „Volksseele“, für deren zarten Regungen und Empfindungen<lb/> grade die auf ihren gelehrten Zopf so dünkelhaft stolzen, plumpen „Phonetikern“ das<lb/> allerwenigste Verständnis haben. Zeuge dafür der Beschluß, wonach unsere deutschen<lb/> Lettern (die Frakturbuchstaben) auf den Aussterbe-Etat gesetzt sind. Ihnen sofort<lb/> ganz zu Leibe zu rücken, dazu freilich fehlt der offene Muth und man fürchtet<lb/> wohl mit sofortiger Enthüllung des letzten Ziels, einen unwiderstehlichen Sturm<lb/> im ganzen Volk heraufzubeschwören. So sucht man denn auch den großen An-<lb/> fangsbuchstaben möglichst versteckt und allmählich den Garaus zu machen. Zwar<lb/> sind sie noch belassen bei den Substantiven, aber was will für die Zukunft<lb/> das Zugeständnis heißen, weñ so <choice><sic>schwank</sic><corr>schwankende</corr></choice> und unbestim̃te Bemerkung<lb/> hinzutritt, wie:</p><lb/> <p>Doch schreibt man auch Substantive klein… in verbalen Ausdrücken, wie…<lb/><hi rendition="#u">t</hi>eilnehmen, er nim̃t <hi rendition="#u">t</hi>eil, zu <hi rendition="#u">t</hi>eil werden [das th in deutschen Wörtern soll<lb/> einmal für allemal getilgt werden], zu <hi rendition="#u">st</hi>ande bringen, vom <hi rendition="#u">st</hi>apel laufen,<lb/><hi rendition="#u">g</hi>ef<hi rendition="#u">a</hi>r laufen, <hi rendition="#u">w</hi>under nehmen, <hi rendition="#u">r</hi>echt (unrecht) haben, thun [wo das <choice><abbr>Obj.</abbr><expan>Objekt</expan></choice> des<lb/><choice><abbr>Subst.</abbr><expan>Substantives</expan></choice> vorliegt, <choice><abbr>vgl<supplied>.</supplied></abbr><expan>vergleiche</expan></choice> dagegen als <choice><abbr>Adv.</abbr><expan>Adverb</expan></choice>: <hi rendition="#u">r</hi>echt, <hi rendition="#u">u</hi>nrecht handeln], wahrscheinlich<lb/> auch,– obgleich bei der raschen oberflächlichen Behandlung nicht auf alle<lb/> erwähnten Ausdrücke und noch weniger auf nähere Einzelheiten eingegan-<lb/> gen werden koñte –: <hi rendition="#u">m</hi>aß halten, <hi rendition="#u">sch</hi>ul halten, <hi rendition="#u">st</hi>and halten, <hi rendition="#u">st</hi>eif halten,<lb/> zu <hi rendition="#u">r</hi>echt bestehen <choice><orig>p<supplied>.</supplied></orig><reg>pp.</reg></choice>, vielleicht auch: ans <hi rendition="#u">w</hi>erk setzen <choice><orig>p.</orig><reg>pp.</reg></choice></p><lb/> <p>Ginge so Etwas im Volk durch, so wäre die Abschaffung der gro-<lb/> ßen Buchstaben für die Hauptwörter natürlich nur noch eine Frage der<lb/> Zeit und es wäre ehrlicher, gleich offen das auszusprechen, als zu-<lb/> nächst die kleinen Anfangsbuchstaben und die <choice><abbr>latein.</abbr><expan>lateinischen</expan></choice> Lettern durch eine<lb/> Hinterthür (im Einverständnis mit den <choice><abbr>sogen.</abbr><expan>sogenannten</expan></choice> „Historikern“ d<supplied>.</supplied>h. Reaktio-<lb/> nären) einzuschmuggeln.</p><lb/> <p>Über ein ähnliches Verhalten in Bezug auf die Dehnungsbuch-<lb/> staben (die noch e und i zunächst noch beibehalten, aber nach <hi rendition="#u">a, ä<lb/> o, ö, u, ü</hi> fast ausnahmslos getilgt werden sollen, z.B. in <hi rendition="#u">A(a)l, A(h)le,<lb/> fa(h)l, ka(h)l, Sta(h)l, Sa(a)l, Sa(a)t, Sta(a)t</hi> <choice><orig>p<supplied>.</supplied></orig><reg>pp.</reg></choice>, aber doch bef<hi rendition="#u">ah</hi>l, st<hi rendition="#u">ah</hi>l,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [[1v]/0002]
einen Dienst erweisen, sondern – wie Sie in Ihrem Brief ganz richtig hervor
heben – auch der deutschen „Volksseele“, für deren zarten Regungen und Empfindungen
grade die auf ihren gelehrten Zopf so dünkelhaft stolzen, plumpen „Phonetikern“ das
allerwenigste Verständnis haben. Zeuge dafür der Beschluß, wonach unsere deutschen
Lettern (die Frakturbuchstaben) auf den Aussterbe-Etat gesetzt sind. Ihnen sofort
ganz zu Leibe zu rücken, dazu freilich fehlt der offene Muth und man fürchtet
wohl mit sofortiger Enthüllung des letzten Ziels, einen unwiderstehlichen Sturm
im ganzen Volk heraufzubeschwören. So sucht man denn auch den großen An-
fangsbuchstaben möglichst versteckt und allmählich den Garaus zu machen. Zwar
sind sie noch belassen bei den Substantiven, aber was will für die Zukunft
das Zugeständnis heißen, weñ so schwankende und unbestim̃te Bemerkung
hinzutritt, wie:
Doch schreibt man auch Substantive klein… in verbalen Ausdrücken, wie…
teilnehmen, er nim̃t teil, zu teil werden [das th in deutschen Wörtern soll
einmal für allemal getilgt werden], zu stande bringen, vom stapel laufen,
gefar laufen, wunder nehmen, recht (unrecht) haben, thun [wo das Obj. des
Subst. vorliegt, vgl. dagegen als Adv.: recht, unrecht handeln], wahrscheinlich
auch,– obgleich bei der raschen oberflächlichen Behandlung nicht auf alle
erwähnten Ausdrücke und noch weniger auf nähere Einzelheiten eingegan-
gen werden koñte –: maß halten, schul halten, stand halten, steif halten,
zu recht bestehen p., vielleicht auch: ans werk setzen p.
Ginge so Etwas im Volk durch, so wäre die Abschaffung der gro-
ßen Buchstaben für die Hauptwörter natürlich nur noch eine Frage der
Zeit und es wäre ehrlicher, gleich offen das auszusprechen, als zu-
nächst die kleinen Anfangsbuchstaben und die latein. Lettern durch eine
Hinterthür (im Einverständnis mit den sogen. „Historikern“ d.h. Reaktio-
nären) einzuschmuggeln.
Über ein ähnliches Verhalten in Bezug auf die Dehnungsbuch-
staben (die noch e und i zunächst noch beibehalten, aber nach a, ä
o, ö, u, ü fast ausnahmslos getilgt werden sollen, z.B. in A(a)l, A(h)le,
fa(h)l, ka(h)l, Sta(h)l, Sa(a)l, Sa(a)t, Sta(a)t p., aber doch befahl, stahl,
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