Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sanders, Daniel: Aus der Werkstatt eines Wörterbuchschreibers. Plaudereien. Berlin, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite
Doch schäme dich nicht der Gebrechen,
Vollende schnell das kleine Buch;
Die Welt ist voller Widerspruch:
Und sollte sich's nicht widersprechen?

Sehen wir uns nun das Gedicht in Bezug auf
die daraus für das Wörterbuch zu gewinnende Aus-
beute recht sorgfältig an, so drängt sich uns gleich bei
der Überschrift die Frage auf: warum hat der Dichter
diese Überschrift gewählt? und in welchem Sinne ist
das Wort "Vorklage" hier zu fassen? Lassen wir zu-
nächst die Antwort auf sich beruhen und schreiben wir
auf einen Zettel:

Vorklage. G. 1, 10 (d. h. so viel wie: Goethe,
Band 1, Seite 10).

Davon, dass das mittlere Versgebinde in seiner
Reimstellung mit den beiden anderen nicht überein-
stimmt, sehen wir hier natürlich ab, als ohne Belang
für das Wörterbuch, und machen uns zunächst den
Gedankengang des Dichters klar.

Er ist zu dem Entschluss gekommen, seine bisher
zerstreuten Lieder zu sammeln; aber nun kommt ihm
ein Bedenken: er fühlt, seine bei den verschiedensten
Gelegenheiten entstandenen Lieder waren der ungesucht
hervorbrechende Ausdruck seiner jedesmaligen augen-
blicklichen Stimmung, er hat darin nicht seine Ge-

4*
Doch ſchäme dich nicht der Gebrechen,
Vollende ſchnell das kleine Buch;
Die Welt iſt voller Widerſpruch:
Und ſollte ſich’s nicht widerſprechen?

Sehen wir uns nun das Gedicht in Bezug auf
die daraus für das Wörterbuch zu gewinnende Aus-
beute recht ſorgfältig an, ſo drängt ſich uns gleich bei
der Überſchrift die Frage auf: warum hat der Dichter
dieſe Überſchrift gewählt? und in welchem Sinne iſt
das Wort „Vorklage“ hier zu faſſen? Laſſen wir zu-
nächſt die Antwort auf ſich beruhen und ſchreiben wir
auf einen Zettel:

Vorklage. G. 1, 10 (d. h. ſo viel wie: Goethe,
Band 1, Seite 10).

Davon, daſs das mittlere Versgebinde in ſeiner
Reimſtellung mit den beiden anderen nicht überein-
ſtimmt, ſehen wir hier natürlich ab, als ohne Belang
für das Wörterbuch, und machen uns zunächſt den
Gedankengang des Dichters klar.

Er iſt zu dem Entſchluſs gekommen, ſeine bisher
zerſtreuten Lieder zu ſammeln; aber nun kommt ihm
ein Bedenken: er fühlt, ſeine bei den verſchiedenſten
Gelegenheiten entſtandenen Lieder waren der ungeſucht
hervorbrechende Ausdruck ſeiner jedesmaligen augen-
blicklichen Stimmung, er hat darin nicht ſeine Ge-

4*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0059" n="31"/>
          <lg n="3">
            <l>Doch &#x017F;chäme dich nicht der Gebrechen,</l><lb/>
            <l>Vollende &#x017F;chnell das kleine Buch;</l><lb/>
            <l>Die Welt i&#x017F;t voller Wider&#x017F;pruch:</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;ollte &#x017F;ich&#x2019;s nicht wider&#x017F;prechen?</l>
          </lg>
        </lg><lb/>
        <p>Sehen wir uns nun das Gedicht in Bezug auf<lb/>
die daraus für das Wörterbuch zu gewinnende Aus-<lb/>
beute recht &#x017F;orgfältig an, &#x017F;o drängt &#x017F;ich uns gleich bei<lb/>
der Über&#x017F;chrift die Frage auf: warum hat der Dichter<lb/>
die&#x017F;e Über&#x017F;chrift gewählt? und in welchem Sinne i&#x017F;t<lb/>
das Wort &#x201E;Vorklage&#x201C; hier zu fa&#x017F;&#x017F;en? La&#x017F;&#x017F;en wir zu-<lb/>
näch&#x017F;t die Antwort auf &#x017F;ich beruhen und &#x017F;chreiben wir<lb/>
auf einen Zettel:</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Vorklage</hi>. G. 1, 10 (d. h. &#x017F;o viel wie: Goethe,<lb/>
Band 1, Seite 10).</p><lb/>
        <p>Davon, da&#x017F;s das mittlere Versgebinde in &#x017F;einer<lb/>
Reim&#x017F;tellung mit den beiden anderen nicht überein-<lb/>
&#x017F;timmt, &#x017F;ehen wir hier natürlich ab, als ohne Belang<lb/>
für das Wörterbuch, und machen uns zunäch&#x017F;t den<lb/>
Gedankengang des Dichters klar.</p><lb/>
        <p>Er i&#x017F;t zu dem Ent&#x017F;chlu&#x017F;s gekommen, &#x017F;eine bisher<lb/>
zer&#x017F;treuten Lieder zu &#x017F;ammeln; aber nun kommt ihm<lb/>
ein Bedenken: er fühlt, &#x017F;eine bei den ver&#x017F;chieden&#x017F;ten<lb/>
Gelegenheiten ent&#x017F;tandenen Lieder waren der unge&#x017F;ucht<lb/>
hervorbrechende Ausdruck &#x017F;einer jedesmaligen augen-<lb/>
blicklichen Stimmung, er hat darin nicht &#x017F;eine Ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">4*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0059] Doch ſchäme dich nicht der Gebrechen, Vollende ſchnell das kleine Buch; Die Welt iſt voller Widerſpruch: Und ſollte ſich’s nicht widerſprechen? Sehen wir uns nun das Gedicht in Bezug auf die daraus für das Wörterbuch zu gewinnende Aus- beute recht ſorgfältig an, ſo drängt ſich uns gleich bei der Überſchrift die Frage auf: warum hat der Dichter dieſe Überſchrift gewählt? und in welchem Sinne iſt das Wort „Vorklage“ hier zu faſſen? Laſſen wir zu- nächſt die Antwort auf ſich beruhen und ſchreiben wir auf einen Zettel: Vorklage. G. 1, 10 (d. h. ſo viel wie: Goethe, Band 1, Seite 10). Davon, daſs das mittlere Versgebinde in ſeiner Reimſtellung mit den beiden anderen nicht überein- ſtimmt, ſehen wir hier natürlich ab, als ohne Belang für das Wörterbuch, und machen uns zunächſt den Gedankengang des Dichters klar. Er iſt zu dem Entſchluſs gekommen, ſeine bisher zerſtreuten Lieder zu ſammeln; aber nun kommt ihm ein Bedenken: er fühlt, ſeine bei den verſchiedenſten Gelegenheiten entſtandenen Lieder waren der ungeſucht hervorbrechende Ausdruck ſeiner jedesmaligen augen- blicklichen Stimmung, er hat darin nicht ſeine Ge- 4*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sanders_woerterbuchschreiber_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sanders_woerterbuchschreiber_1889/59
Zitationshilfe: Sanders, Daniel: Aus der Werkstatt eines Wörterbuchschreibers. Plaudereien. Berlin, 1889, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sanders_woerterbuchschreiber_1889/59>, abgerufen am 21.11.2024.