Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 1,1. Nürnberg, 1675.Das VII Capitel. Vom Wohl-Mahlen. Innhalt.Die Zeichenkunst und Mahlerey/ vergleichen sich/ wie Leib und Seele; wie die Musik und Poesie. Zweyerley Process im Mahlen: mit freyer Hand/ und nach dem Vor-Riß. Unsrer Teutschen mühsames Sauber-Mahlen: das ist rühmlich/ wann Geist darbey ist/ und die Ferne nichts benimmet. Titians Rauh-Mahlen: dem wird übel nachgeahmet. Gute Mahlerey mus mühsam seyn/ und doch nicht also scheinen. Die Manier sauber zu mahlen/ die bäste. Vom Nähe= und Ferne-Mahlen. Die Schärfe/ ist zu vermeiden. Neue rechte Manier zu mahlen. Vom Wohl-coloriren; mit unterscheidung der Personen. Rienruß und Smalten/ sind böse Farben. Durch Abcopiren und Nachahmen/ gelanget man zur Vollkommenheit. Der Mahler soll/ in seinen Werken/ keinen Fehler dulten/ und nicht seinem/ sondern anderer Urtheil trauen. Wer eine Kunst üben will/ mus sie wissen und können. Er soll/ mehr bey der Natur/ als bey andern/ in die Schule gehen. Die Zeichenkunst und Mahlerey/ vergleichen sich/ wie Leib und Seele;ES ist/ zwischen der Zeichenkunst und Mahlerey/ eine Vergleichung/ wie zwischen Leib und Seele: weil/ durch die Farben/ die todte Striche der Zeichnung erst recht auferwecket/ rührend und lebendig gemacht werden. Also werden auch diese beyde Künste/ von den Poeten/ der Sing= und Reim-Kunst verglichen: wie die Musik und Poesy weil die Poesy der Musik/ wie das Mahlen der Zeichnung/ die Seele gibet/ und durch die Coloriten das Strichwerk/ ja so schön/ als der Gesang und Kunstklang durch geistige Reimgedichte/ gezieret und gleichsam belebet wird. Zweyerley Process im Mahlen: mit freyer Hand/ Es gibt wackere Geister/ welche/ als wol experimentirt und erfahren/ ihnen eine Ideam von jeder Sache gleich einbilden/ und dieselbe/ ohne fernere Mittel/ ausmachen können. Solches aber ist nicht eines jeden Thun/ sondern eine absonderliche Gabe von meisterhaftem Verstand: mag auch nur geschehen bey kleinen Werken von wenig Bildern oder stillstehenden Sachen/ daran nicht viel gelegen ist. und nach dem Vor-Riß.Andere sind/ die mit viel Arbeit und Bemühung sich setzen/ und ihre Meinung/ was sie in Gedanken gefasset/ mit Kreide oder Bleyweiß auf Papier zeichnen/ hernach auf ein mit einer ölichten Farb gegründtes Tuch/ den Umriß/ samt aller Zugehör/ auftragen/ folgends wol betrachten/ und mit todten Farben (welches man Untermahlen nennet) die noch-befindliche Fehler ausbässern/ heissen/ und endlich/ wann es wol trucken/ mit Fleiß übermahlen und ausmachen. Solchen Process halten auch die Italiäner/ sonderlich wann sie nicht in fresco arbeiten: davon ein mehrers in vorhergehenden Unsrer Teutschen mühsames Sauber-Mahlen: Capiteln erwehnet worden. Unsere Teutsche/ haben mit sonderbarer Arbeitsamkeit/ ihre Werke volbracht: wie zu sehen in den Stucken Albrecht Dürers/ Holbeins/ Lucas von Eych/ und anderer/ in welchen/ auch die geringste Haare ganz klar und rein ausgebildt erscheinen; das dann in der Nähe wol zu sehen ist. Diese Sauberkeit ist löblich/ und[Spaltenumbruch] macht sich dem Gesicht je länger je mehr gefällig: das ist rühmlich/ wann Geist dabey ist/ und die Ferne nichts benimmet. zumahl wann gute Manier/ Geist und Dapferkeit dabey/ und wann alles auch in der weite recht zu erkennen ist. Dann wann solche Stucke auf die Ferne nichts verlieren/ mögen sie wol vor sonders ruhmwürdig gehalten werden. Also beflisse sich/ in seiner Jugend und besten Zeit/ der berühmte Titian, alles sauber und also zu mahlen/ daß es sich so wol in Titians Rauh-Mahlen: die weite als nähe/ gefällig sehen ließe. Aber in seinen letzten Zeiten und Jahren/ mahlte er sehr rauh/ mit vielen Farben beschwert: welches in der Nähe nicht/ aber nur von weitem/ sehr wol gestanden. dem wird übel nachgeahmet. Solcher Manier/ haben sich auch andere bedienen und gebrauchen wollen: aber sie verderbten ihre Arbeit/ zu ihrem großen Schaden. Dann sie vermeinten/ daß sein Gemähl ohne viel nachsinnen und Arbeit leicht hinweg geschehe: da er doch die äuserste Kräften des Verstands weit mehr/ als andere urtheilen können/ daran gestrecket. Und diß ist Gute Mahlerey mus mühsam seyn/ und nicht also scheinen. die wahre und beste Manier/ ein vollkommenes Werk zu machen/ wann alles mit großer Mühe vollbracht wird/ und es gleichwol also in die Augen fället/ als ob es ohne Bemühung geschehen wäre: dann solche Stucke sind gemeinlich geistreich/ und lebendig. Diese beyde Manieren/ habe ich/ der Kunstliebenden Jugend zu gefallen/ also Exempel-weis erzehlen wollen: damit sie ihnen hievon/ nach ihrem Geist und Verlangen/ die angenehmste erwehlen können. Mein Raht aber ist/ daß man sich zu der Die Manier sauber zu mahlen/ die bäste.ersten saubern Manier gewöhne: weil/ mit zuwachsenden Jahren und Alter/ aus Mangel des Gesichts/ die Rauhigkeit ohne das selber sich nach und nach einfindet. Sonsten ist vorhin bewust/ daß Vom Nähe und Ferne-Mahlen. diß/ was klein und in der Nähe ist/ mehr Sauberkeit erfordere: hingegen was weit aus dem Gesicht stehen soll/ etwas rauher/ groß/ mit vielen Farben und mehrerm Geist kan gestaltet werden. Wann die Seiten oder Ecken der Bilder mit scharffen Die Schärfe ist zu vermeiden. Liechtern beschnitten/ stehet es hart und rundet sich nicht: welchen Fehler viele unter den Alten begangen. Das VII Capitel. Vom Wohl-Mahlen. Innhalt.Die Zeichenkunst und Mahlerey/ vergleichen sich/ wie Leib und Seele; wie die Musik und Poesie. Zweyerley Process im Mahlen: mit freyer Hand/ und nach dem Vor-Riß. Unsrer Teutschen mühsames Sauber-Mahlen: das ist rühmlich/ wann Geist darbey ist/ und die Ferne nichts benimmet. Titians Rauh-Mahlen: dem wird übel nachgeahmet. Gute Mahlerey mus mühsam seyn/ und doch nicht also scheinen. Die Manier sauber zu mahlen/ die bäste. Vom Nähe= und Ferne-Mahlen. Die Schärfe/ ist zu vermeiden. Neue rechte Manier zu mahlen. Vom Wohl-coloriren; mit unterscheidung der Personen. Rienruß und Smalten/ sind böse Farben. Durch Abcopiren und Nachahmen/ gelanget man zur Vollkommenheit. Der Mahler soll/ in seinen Werken/ keinen Fehler dulten/ und nicht seinem/ sondern anderer Urtheil trauen. Wer eine Kunst üben will/ mus sie wissen und können. Er soll/ mehr bey der Natur/ als bey andern/ in die Schule gehen. Die Zeichenkunst und Mahlerey/ vergleichen sich/ wie Leib und Seele;ES ist/ zwischen der Zeichenkunst und Mahlerey/ eine Vergleichung/ wie zwischen Leib und Seele: weil/ durch die Farben/ die todte Striche der Zeichnung erst recht auferwecket/ rührend und lebendig gemacht werden. Also werden auch diese beyde Künste/ von den Poeten/ der Sing= und Reim-Kunst verglichen: wie die Musik und Poesy weil die Poesy der Musik/ wie das Mahlen der Zeichnung/ die Seele gibet/ und durch die Coloriten das Strichwerk/ ja so schön/ als der Gesang und Kunstklang durch geistige Reimgedichte/ gezieret und gleichsam belebet wird. Zweyerley Process im Mahlen: mit freyer Hand/ Es gibt wackere Geister/ welche/ als wol experimentirt und erfahren/ ihnen eine Ideam von jeder Sache gleich einbilden/ und dieselbe/ ohne fernere Mittel/ ausmachen können. Solches aber ist nicht eines jeden Thun/ sondern eine absonderliche Gabe von meisterhaftem Verstand: mag auch nur geschehen bey kleinen Werken von wenig Bildern oder stillstehenden Sachen/ daran nicht viel gelegen ist. und nach dem Vor-Riß.Andere sind/ die mit viel Arbeit und Bemühung sich setzen/ und ihre Meinung/ was sie in Gedanken gefasset/ mit Kreide oder Bleyweiß auf Papier zeichnen/ hernach auf ein mit einer ölichten Farb gegründtes Tuch/ den Umriß/ samt aller Zugehör/ auftragen/ folgends wol betrachten/ und mit todten Farben (welches man Untermahlen nennet) die noch-befindliche Fehler ausbässern/ heissen/ und endlich/ wann es wol trucken/ mit Fleiß übermahlen und ausmachen. Solchen Process halten auch die Italiäner/ sonderlich wann sie nicht in fresco arbeiten: davon ein mehrers in vorhergehenden Unsrer Teutschen mühsames Sauber-Mahlen: Capiteln erwehnet worden. Unsere Teutsche/ haben mit sonderbarer Arbeitsamkeit/ ihre Werke volbracht: wie zu sehen in den Stucken Albrecht Dürers/ Holbeins/ Lucas von Eych/ und anderer/ in welchen/ auch die geringste Haare ganz klar und rein ausgebildt erscheinen; das dann in der Nähe wol zu sehen ist. Diese Sauberkeit ist löblich/ und[Spaltenumbruch] macht sich dem Gesicht je länger je mehr gefällig: das ist rühmlich/ wann Geist dabey ist/ und die Ferne nichts benimmet. zumahl wann gute Manier/ Geist und Dapferkeit dabey/ und wann alles auch in der weite recht zu erkennen ist. Dann wann solche Stucke auf die Ferne nichts verlieren/ mögen sie wol vor sonders ruhmwürdig gehalten werden. Also beflisse sich/ in seiner Jugend und besten Zeit/ der berühmte Titian, alles sauber und also zu mahlen/ daß es sich so wol in Titians Rauh-Mahlen: die weite als nähe/ gefällig sehen ließe. Aber in seinen letzten Zeiten und Jahren/ mahlte er sehr rauh/ mit vielen Farben beschwert: welches in der Nähe nicht/ aber nur von weitem/ sehr wol gestanden. dem wird übel nachgeahmet. Solcher Manier/ haben sich auch andere bedienen und gebrauchen wollen: aber sie verderbten ihre Arbeit/ zu ihrem großen Schaden. Dann sie vermeinten/ daß sein Gemähl ohne viel nachsinnen und Arbeit leicht hinweg geschehe: da er doch die äuserste Kräften des Verstands weit mehr/ als andere urtheilen können/ daran gestrecket. Und diß ist Gute Mahlerey mus mühsam seyn/ und nicht also scheinen. die wahre und beste Manier/ ein vollkommenes Werk zu machen/ wann alles mit großer Mühe vollbracht wird/ und es gleichwol also in die Augen fället/ als ob es ohne Bemühung geschehen wäre: dann solche Stucke sind gemeinlich geistreich/ und lebendig. Diese beyde Manieren/ habe ich/ der Kunstliebenden Jugend zu gefallen/ also Exempel-weis erzehlen wollen: damit sie ihnen hievon/ nach ihrem Geist und Verlangen/ die angenehmste erwehlen können. Mein Raht aber ist/ daß man sich zu der Die Manier sauber zu mahlen/ die bäste.ersten saubern Manier gewöhne: weil/ mit zuwachsenden Jahren und Alter/ aus Mangel des Gesichts/ die Rauhigkeit ohne das selber sich nach und nach einfindet. Sonsten ist vorhin bewust/ daß Vom Nähe und Ferne-Mahlen. diß/ was klein und in der Nähe ist/ mehr Sauberkeit erfordere: hingegen was weit aus dem Gesicht stehen soll/ etwas rauher/ groß/ mit vielen Farben und mehrerm Geist kan gestaltet werden. Wann die Seiten oder Ecken der Bilder mit scharffen Die Schärfe ist zu vermeiden. 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Und diß ist <note place="right">Gute Mahlerey mus mühsam seyn/ und nicht also scheinen.</note> die wahre und beste Manier/ ein vollkommenes Werk zu machen/ wann alles mit großer Mühe vollbracht wird/ und es gleichwol also in die Augen fället/ als ob es ohne Bemühung geschehen wäre: dann solche Stucke sind gemeinlich geistreich/ und lebendig.</p> <p xml:id="p159.5">Diese beyde Manieren/ habe <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-836">ich</persName>/ der Kunstliebenden Jugend zu gefallen/ also Exempel-weis erzehlen wollen: damit sie ihnen hievon/ nach ihrem Geist und Verlangen/ die angenehmste erwehlen können. Mein Raht aber ist/ daß man sich zu der <note place="right">Die Manier sauber zu mahlen/ die bäste.</note>ersten saubern Manier gewöhne: weil/ mit zuwachsenden Jahren und Alter/ aus Mangel des Gesichts/ die Rauhigkeit ohne das selber sich nach und nach einfindet. 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Das VII Capitel.
Vom Wohl-Mahlen.
Innhalt.
Die Zeichenkunst und Mahlerey/ vergleichen sich/ wie Leib und Seele; wie die Musik und Poesie. Zweyerley Process im Mahlen: mit freyer Hand/ und nach dem Vor-Riß. Unsrer Teutschen mühsames Sauber-Mahlen: das ist rühmlich/ wann Geist darbey ist/ und die Ferne nichts benimmet. Titians Rauh-Mahlen: dem wird übel nachgeahmet. Gute Mahlerey mus mühsam seyn/ und doch nicht also scheinen. Die Manier sauber zu mahlen/ die bäste. Vom Nähe= und Ferne-Mahlen. Die Schärfe/ ist zu vermeiden. Neue rechte Manier zu mahlen. Vom Wohl-coloriren; mit unterscheidung der Personen. Rienruß und Smalten/ sind böse Farben. Durch Abcopiren und Nachahmen/ gelanget man zur Vollkommenheit. Der Mahler soll/ in seinen Werken/ keinen Fehler dulten/ und nicht seinem/ sondern anderer Urtheil trauen. Wer eine Kunst üben will/ mus sie wissen und können. Er soll/ mehr bey der Natur/ als bey andern/ in die Schule gehen.
ES ist/ zwischen der Zeichenkunst und Mahlerey/ eine Vergleichung/ wie zwischen Leib und Seele: weil/ durch die Farben/ die todte Striche der Zeichnung erst recht auferwecket/ rührend und lebendig gemacht werden. Also werden auch diese beyde Künste/ von den Poeten/ der Sing= und Reim-Kunst verglichen: weil die Poesy der Musik/ wie das Mahlen der Zeichnung/ die Seele gibet/ und durch die Coloriten das Strichwerk/ ja so schön/ als der Gesang und Kunstklang durch geistige Reimgedichte/ gezieret und gleichsam belebet wird.
Die Zeichenkunst und Mahlerey/ vergleichen sich/ wie Leib und Seele;
wie die Musik und Poesy Es gibt wackere Geister/ welche/ als wol experimentirt und erfahren/ ihnen eine Ideam von jeder Sache gleich einbilden/ und dieselbe/ ohne fernere Mittel/ ausmachen können. Solches aber ist nicht eines jeden Thun/ sondern eine absonderliche Gabe von meisterhaftem Verstand: mag auch nur geschehen bey kleinen Werken von wenig Bildern oder stillstehenden Sachen/ daran nicht viel gelegen ist.
Zweyerley Process im Mahlen: mit freyer Hand/Andere sind/ die mit viel Arbeit und Bemühung sich setzen/ und ihre Meinung/ was sie in Gedanken gefasset/ mit Kreide oder Bleyweiß auf Papier zeichnen/ hernach auf ein mit einer ölichten Farb gegründtes Tuch/ den Umriß/ samt aller Zugehör/ auftragen/ folgends wol betrachten/ und mit todten Farben (welches man Untermahlen nennet) die noch-befindliche Fehler ausbässern/ heissen/ und endlich/ wann es wol trucken/ mit Fleiß übermahlen und ausmachen. Solchen Process halten auch die Italiäner/ sonderlich wann sie nicht in fresco arbeiten: davon ein mehrers in vorhergehenden Capiteln erwehnet worden. Unsere Teutsche/ haben mit sonderbarer Arbeitsamkeit/ ihre Werke volbracht: wie zu sehen in den Stucken Albrecht Dürers/ Holbeins/ Lucas von Eych/ und anderer/ in welchen/ auch die geringste Haare ganz klar und rein ausgebildt erscheinen; das dann in der Nähe wol zu sehen ist. Diese Sauberkeit ist löblich/ und
macht sich dem Gesicht je länger je mehr gefällig: zumahl wann gute Manier/ Geist und Dapferkeit dabey/ und wann alles auch in der weite recht zu erkennen ist. Dann wann solche Stucke auf die Ferne nichts verlieren/ mögen sie wol vor sonders ruhmwürdig gehalten werden. Also beflisse sich/ in seiner Jugend und besten Zeit/ der berühmte Titian, alles sauber und also zu mahlen/ daß es sich so wol in die weite als nähe/ gefällig sehen ließe. Aber in seinen letzten Zeiten und Jahren/ mahlte er sehr rauh/ mit vielen Farben beschwert: welches in der Nähe nicht/ aber nur von weitem/ sehr wol gestanden. Solcher Manier/ haben sich auch andere bedienen und gebrauchen wollen: aber sie verderbten ihre Arbeit/ zu ihrem großen Schaden. Dann sie vermeinten/ daß sein Gemähl ohne viel nachsinnen und Arbeit leicht hinweg geschehe: da er doch die äuserste Kräften des Verstands weit mehr/ als andere urtheilen können/ daran gestrecket. Und diß ist die wahre und beste Manier/ ein vollkommenes Werk zu machen/ wann alles mit großer Mühe vollbracht wird/ und es gleichwol also in die Augen fället/ als ob es ohne Bemühung geschehen wäre: dann solche Stucke sind gemeinlich geistreich/ und lebendig.
und nach dem Vor-Riß.
Unsrer Teutschen mühsames Sauber-Mahlen:
das ist rühmlich/ wann Geist dabey ist/ und die Ferne nichts benimmet.
Titians Rauh-Mahlen:
dem wird übel nachgeahmet.
Gute Mahlerey mus mühsam seyn/ und nicht also scheinen.Diese beyde Manieren/ habe ich/ der Kunstliebenden Jugend zu gefallen/ also Exempel-weis erzehlen wollen: damit sie ihnen hievon/ nach ihrem Geist und Verlangen/ die angenehmste erwehlen können. Mein Raht aber ist/ daß man sich zu der ersten saubern Manier gewöhne: weil/ mit zuwachsenden Jahren und Alter/ aus Mangel des Gesichts/ die Rauhigkeit ohne das selber sich nach und nach einfindet. Sonsten ist vorhin bewust/ daß diß/ was klein und in der Nähe ist/ mehr Sauberkeit erfordere: hingegen was weit aus dem Gesicht stehen soll/ etwas rauher/ groß/ mit vielen Farben und mehrerm Geist kan gestaltet werden. Wann die Seiten oder Ecken der Bilder mit scharffen Liechtern beschnitten/ stehet es hart und rundet sich nicht: welchen Fehler viele unter den Alten begangen.
Die Manier sauber zu mahlen/ die bäste.
Vom Nähe und Ferne-Mahlen.
Die Schärfe ist zu vermeiden.
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Zitationshilfe: | Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 1,1. Nürnberg, 1675, S. [I, Buch 3 (Malerei), S. 72]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sandrart_academie0101_1675/251>, abgerufen am 16.02.2025. |