Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 1,1. Nürnberg, 1675.[Spaltenumbruch] aber an diese und andere Regeln nicht allerdings gebunden/ sondern man kan es nach Vernunft und Notdurft verändern. Hat man auszubilden arbeitende Leute oder Bauren/ die an einem schweren Stuck stossen oder ziehen/ und wegen solcher Schwere mit Händen und Füßen müßen einseitig gehen/ oder Hände und Füße mit Kräften zusammen spannen/ da dann die Die vornemste Glieder/ sollen möglichst sichtbar und unverdeckt bleiben. Glieder ausgestreckt werden/ und schöne Theile Menschlichen Leibes sich praesentiren: alsdann soll man achtung geben/ daß solche/ wann es möglich/ durch die Falten des Gewands/ oder durch etwas anders/ nicht bedecket/ sondern wol sichtbar gelassen/ damit der beste Affect im anschauen nicht verhintert/ werde. Vielfältiges Verkürzen der Bilder/ ist zu meiden. Das vielfältige Verkürzen der Bilder/ sonderlich an Armen/ stehet nicht allezeit wol/ und haben es alle fürnehmste Künstler vermieden/ sonderlich wann Platz genug vorhanden ist. Es zeiget sich auch sehr übel/ wann ein sitzendes Regeln/ von Kniehen und Füßen/ Bild die Füße auswarts/ und die Kniehe hingegen einwarts gegen einander/ kehret. Wann aber die Kniehe auswarts gehen/ und die Füße zusammen kreutzen/ so giebt es bässern Wolstand. Der Weibs-Bilder von Beinen und Schenkeln/ Beine/ es seyen gleich sitzende oder stehende Bilder/ sollen erbarlich/ und nicht zuweit von einander/ stehen. Es kommet auch sehr übel an sitzenden Manns-Bildern/ noch schlimmer aber an Weibs-Bildern/ sie seyen nackend oder gekleidt/ wann man gerad zwischen beede Kniehe hinein sihet: und ist löblicher/ wann solche links- oder rechtseits gekehret werden. von den Achseln und Hüften/Viel berühmte Meister haben diesen Ubelstand an stehenden/ auch ligend- und sitzenden Bildern eingeführet/ daß sie/ wann die rechte oder linke Hüfte auswanket/ die Achsel selbiger Seiten erhoben: da doch hingegen ingemein die Achsel der Seiten/ wo die Hüfte ausweichet/ niedriger/ als die andere/ seyn soll. von den Armen/ Wiederum irren auch etliche/ wann sie von der niedrigen Achsel den Arm/ um etwas zu verrichten/ über sich reichen lassen: welches ganz unrecht ist/ und doch oft geschiehet. Zu verhütung dieser Unzierde/ soll allezeit beobachtet werden/ daß/ der Arm/ von der höchsten Achsel/ auch am höchsten über sich reiche/ nemlich aus der andern Seite/ wo die Hüfte meist erhebt kommet. Es soll auch jederzeit das Haupt/ wann es müglich/ sich nach der höchsten Achsel wenden. Händen und Füßen.Wann zierliche fürnehme Bilder/ und nicht grobe Arbeiter/ zu mahlen sind/ sollen sie nicht beede Arme oder Hände zu einer Verrichtung zugleich ausheben oder anwenden/ (es wäre dann/ daß das Bild Arbeit thäte) sondern damit abwechslen: und also soll es auch mit den Füßen gehalten werden. Es sind auch etliche so frech/ daß sie/ an einer Verdrehte Bilder/ sind wild und unformlich. Figur/ Brust und sal. hon. Hinterbacken zugleich sehen lassen/ und vermeinen noch/ sie haben viel Wunder verrichtet: welches ein schändlicher Ubelstand ist. Es sind auch/ unter uns Teutschen/ welche die Arme/ Beine und alles wild und kreuzweis durch einander verdrehen/ die Kniehe biegen/ und die Füße contrahiren und verwicklen. Diese unbesonnene Freyheit/ ist billich für einen Unverstand[Spaltenumbruch] zu halten: sintemal die Vollkommenheit solches wilden Gebrauchs nicht bedürftig ist. Darum soll man/ im wenden und biegen der Glieder/ ehrbarlich bey der Natur-Zierde bleiben. Im übersich-sehen eines Bildes/ mus man das Wie ein Bild aussehen und sich neigen soll? Angesicht nicht ruckwarts niederer hangen lassen/ also daß die Augen gerad hinauf gen Himmel sehen. Man mus auch dasselbe nicht allzutief für sich neigen Wie weil man des Bildes Haupt umwenden mag?/ also daß die Achsel dem Nabel in der Höhe gleich kommet. Das Haupt/ mus man nicht weiter umkehren/ als bis das Kien auf den Achslen stehet. Hingegen ist/ bey Händen und Füßen/ mehrere Freyheit erlaubet. Gleichwol soll man den Arm Wie hoch ein Arm zu heben? nicht zu hoch heben/ sondern nur/ bis der Elnbogen der Achsel gleich komme. Es ist aber allezeit/ die Natur/ für eine sichere und wahre Richtschnur zu halten. Regeln/ von Last-tragenden/ Wann ein Bild etwas schweres aufhebt/ so lehret die Natur/ das Gewicht zu bewegen/ mit mehrerer Vorsetzung des einen Fußes: hingegen der andere Fuß/ auf welchem der Last ruhet/ spielet nicht/ sondern stehet fest/ zu seiner Sicherheit. Gleichfalls/ wann die Achsel eine Last träget/ so kan der Fuß auf der Seite/ wo die Last liget/ nicht spielen. von stehend- und gehenden Bildern. Die gehende Bilder/ sollen nicht weiter schreiten/ als eines Fußes Länge von einem zum andern. Die perfecte Antichen/ haben allezeit ihre stehende Bilder/ als wolten sie gehen/ auch etwas wankend/ sehr rühmlich und angenehm gestellet.Die Zierlichkeit der Füße im auf- und niederheben/ ist hierbey/ sonderlich im danzen/ mit geradem Leib/ zu beobachten. Der Bilder Natur-artige und wol-sittige action ist allenthalben genau zu beobachten. Man hat kürzlich/ in dergleichen Gemählen/ auf der Bilder Natur-artige und wohl-sittliche action und Arbeit scharff abzusehen: daß die Hände und Finger correct und wol-anständig wirkend/ als bey Harpfen- Instrument- und Lautenspielen/ bey werffen/ hauen/ schleiffen/ tragen/ graben/ laufen/ schnaufen und springen/ praesentiret werden/ also daß die andere Glieder auch ernstlich Von Weibs-Bildern. mit gemeinschaft haben. Die Nymphen/ Schäferinnen/ Göttinen und Concubinen/ sollen reitzend und schön von Gliedern/ lebhaft/ mit frechen Bewegungen/ auch sowol in action, als sonst ingemein/ liebreich und angenehm/ mit sonderbarer Zierlichkeit der Farben/ vorgestellet werden. Die Alter/ complexion und Naturen/ sind zu observiren. Ebenmäßig soll der Künstler/ in den Bildern/ die Alter/ Complexion und Naturen/ wol unterscheiden. Die einfältige Jugend/ mus zur Frölichkeit geneigt/ auch lieblich/ angenehm und frech von Art/ erscheinen. Den Erbaren Frauen/ welche Von erbaren Frauen-Bildern; der Arbeit ungewohnt/ mus man keine kühne Mannliche Tritte und action, und nur/ wo es anständig/ eine züchtige/ keusche und demütige Gestalt/ im stehen/ gehen und sitzen/ zueignen/ auch sie/ mit Angesicht und Gebärden/ bewegliche Zeichen der Erbarkeit geben machen. von Starken/ Hingegen erfordert die Wissenschaft/ in den starken Männern/ einen keckern und fästen Stand/ weil sie schwere Verrichtungen haben: wie uns Jungen und Alten Manns-Bildern. dann in allem diesem die Natur/ als wahre Lehrmeisterin/ herrlich vorgehet. Jüngere Manns-Bilder/ zeigen sich/ ohne Schwermütigkeit/ wacker/ [Spaltenumbruch] aber an diese und andere Regeln nicht allerdings gebunden/ sondern man kan es nach Vernunft und Notdurft verändern. Hat man auszubilden arbeitende Leute oder Bauren/ die an einem schweren Stuck stossen oder ziehen/ und wegen solcher Schwere mit Händen und Füßen müßen einseitig gehen/ oder Hände und Füße mit Kräften zusammen spannen/ da dann die Die vornemste Glieder/ sollen möglichst sichtbar und unverdeckt bleiben. Glieder ausgestreckt werden/ und schöne Theile Menschlichen Leibes sich praesentiren: alsdann soll man achtung geben/ daß solche/ wann es möglich/ durch die Falten des Gewands/ oder durch etwas anders/ nicht bedecket/ sondern wol sichtbar gelassen/ damit der beste Affect im anschauen nicht verhintert/ werde. Vielfältiges Verkürzen der Bilder/ ist zu meiden. Das vielfältige Verkürzen der Bilder/ sonderlich an Armen/ stehet nicht allezeit wol/ und haben es alle fürnehmste Künstler vermieden/ sonderlich wann Platz genug vorhanden ist. Es zeiget sich auch sehr übel/ wann ein sitzendes Regeln/ von Kniehen und Füßen/ Bild die Füße auswarts/ und die Kniehe hingegen einwarts gegen einander/ kehret. Wann aber die Kniehe auswarts gehen/ und die Füße zusammen kreutzen/ so giebt es bässern Wolstand. Der Weibs-Bilder von Beinen und Schenkeln/ Beine/ es seyen gleich sitzende oder stehende Bilder/ sollen erbarlich/ und nicht zuweit von einander/ stehen. Es kommet auch sehr übel an sitzenden Manns-Bildern/ noch schlimmer aber an Weibs-Bildern/ sie seyen nackend oder gekleidt/ wann man gerad zwischen beede Kniehe hinein sihet: und ist löblicher/ wann solche links- oder rechtseits gekehret werden. von den Achseln und Hüften/Viel berühmte Meister haben diesen Ubelstand an stehenden/ auch ligend- und sitzenden Bildern eingeführet/ daß sie/ wann die rechte oder linke Hüfte auswanket/ die Achsel selbiger Seiten erhoben: da doch hingegen ingemein die Achsel der Seiten/ wo die Hüfte ausweichet/ niedriger/ als die andere/ seyn soll. von den Armen/ Wiederum irren auch etliche/ wann sie von der niedrigen Achsel den Arm/ um etwas zu verrichten/ über sich reichen lassen: welches ganz unrecht ist/ und doch oft geschiehet. Zu verhütung dieser Unzierde/ soll allezeit beobachtet werden/ daß/ der Arm/ von der höchsten Achsel/ auch am höchsten über sich reiche/ nemlich aus der andern Seite/ wo die Hüfte meist erhebt kommet. Es soll auch jederzeit das Haupt/ wann es müglich/ sich nach der höchsten Achsel wenden. Händen und Füßen.Wann zierliche fürnehme Bilder/ und nicht grobe Arbeiter/ zu mahlen sind/ sollen sie nicht beede Arme oder Hände zu einer Verrichtung zugleich ausheben oder anwenden/ (es wäre dann/ daß das Bild Arbeit thäte) sondern damit abwechslen: und also soll es auch mit den Füßen gehalten werden. Es sind auch etliche so frech/ daß sie/ an einer Verdrehte Bilder/ sind wild und unformlich. Figur/ Brust und sal. hon. Hinterbacken zugleich sehen lassen/ und vermeinen noch/ sie haben viel Wunder verrichtet: welches ein schändlicher Ubelstand ist. Es sind auch/ unter uns Teutschen/ welche die Arme/ Beine und alles wild und kreuzweis durch einander verdrehen/ die Kniehe biegen/ und die Füße contrahiren und verwicklen. Diese unbesonnene Freyheit/ ist billich für einen Unverstand[Spaltenumbruch] zu halten: sintemal die Vollkommenheit solches wilden Gebrauchs nicht bedürftig ist. Darum soll man/ im wenden und biegen der Glieder/ ehrbarlich bey der Natur-Zierde bleiben. Im übersich-sehen eines Bildes/ mus man das Wie ein Bild aussehen und sich neigen soll? Angesicht nicht ruckwarts niederer hangen lassen/ also daß die Augen gerad hinauf gen Himmel sehen. Man mus auch dasselbe nicht allzutief für sich neigen Wie weil man des Bildes Haupt umwenden mag?/ also daß die Achsel dem Nabel in der Höhe gleich kommet. Das Haupt/ mus man nicht weiter umkehren/ als bis das Kien auf den Achslen stehet. Hingegen ist/ bey Händen und Füßen/ mehrere Freyheit erlaubet. Gleichwol soll man den Arm Wie hoch ein Arm zu heben? nicht zu hoch heben/ sondern nur/ bis der Elnbogen der Achsel gleich komme. Es ist aber allezeit/ die Natur/ für eine sichere und wahre Richtschnur zu halten. Regeln/ von Last-tragenden/ Wann ein Bild etwas schweres aufhebt/ so lehret die Natur/ das Gewicht zu bewegen/ mit mehrerer Vorsetzung des einen Fußes: hingegen der andere Fuß/ auf welchem der Last ruhet/ spielet nicht/ sondern stehet fest/ zu seiner Sicherheit. Gleichfalls/ wann die Achsel eine Last träget/ so kan der Fuß auf der Seite/ wo die Last liget/ nicht spielen. von stehend- und gehenden Bildern. Die gehende Bilder/ sollen nicht weiter schreiten/ als eines Fußes Länge von einem zum andern. Die perfecte Antichen/ haben allezeit ihre stehende Bilder/ als wolten sie gehen/ auch etwas wankend/ sehr rühmlich und angenehm gestellet.Die Zierlichkeit der Füße im auf- und niederheben/ ist hierbey/ sonderlich im danzen/ mit geradem Leib/ zu beobachten. Der Bilder Natur-artige und wol-sittige action ist allenthalben genau zu beobachten. Man hat kürzlich/ in dergleichen Gemählen/ auf der Bilder Natur-artige und wohl-sittliche action und Arbeit scharff abzusehen: daß die Hände und Finger correct und wol-anständig wirkend/ als bey Harpfen- Instrument- und Lautenspielen/ bey werffen/ hauen/ schleiffen/ tragen/ graben/ laufen/ schnaufen und springen/ praesentiret werden/ also daß die andere Glieder auch ernstlich Von Weibs-Bildern. mit gemeinschaft haben. Die Nymphen/ Schäferinnen/ Göttinen und Concubinen/ sollen reitzend und schön von Gliedern/ lebhaft/ mit frechen Bewegungen/ auch sowol in action, als sonst ingemein/ liebreich und angenehm/ mit sonderbarer Zierlichkeit der Farben/ vorgestellet werden. Die Alter/ complexion und Naturen/ sind zu observiren. Ebenmäßig soll der Künstler/ in den Bildern/ die Alter/ Complexion und Naturen/ wol unterscheiden. Die einfältige Jugend/ mus zur Frölichkeit geneigt/ auch lieblich/ angenehm und frech von Art/ erscheinen. Den Erbaren Frauen/ welche Von erbaren Frauen-Bildern; der Arbeit ungewohnt/ mus man keine kühne Mannliche Tritte und action, und nur/ wo es anständig/ eine züchtige/ keusche und demütige Gestalt/ im stehen/ gehen und sitzen/ zueignen/ auch sie/ mit Angesicht und Gebärden/ bewegliche Zeichen der Erbarkeit geben machen. von Starken/ Hingegen erfordert die Wissenschaft/ in den starken Männern/ einen keckern und fästen Stand/ weil sie schwere Verrichtungen haben: wie uns Jungen und Alten Manns-Bildern. dann in allem diesem die Natur/ als wahre Lehrmeisterin/ herrlich vorgehet. Jüngere Manns-Bilder/ zeigen sich/ ohne Schwermütigkeit/ wacker/ <TEI> <text xml:id="ta1675"> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div xml:id="d161.1"> <p xml:id="p161.6"><pb facs="#f0254" xml:id="pb-162" n="[I, Buch 3 (Malerei), S. 75]"/><cb/> aber an diese und andere Regeln nicht allerdings gebunden/ sondern man kan es nach Vernunft und Notdurft verändern.</p> <p xml:id="p162.1">Hat man auszubilden arbeitende Leute oder Bauren/ die an einem schweren Stuck stossen oder ziehen/ und wegen solcher Schwere mit Händen und Füßen müßen einseitig gehen/ oder Hände und Füße mit Kräften zusammen spannen/ da dann die <note place="right">Die vornemste Glieder/ sollen möglichst sichtbar und unverdeckt bleiben.</note> Glieder ausgestreckt werden/ und schöne Theile Menschlichen Leibes sich <hi rendition="#aq">praesenti</hi>ren: alsdann soll man achtung geben/ daß solche/ wann es möglich/ durch die Falten des Gewands/ oder durch etwas anders/ nicht bedecket/ sondern wol sichtbar gelassen/ damit der beste <hi rendition="#aq">Affect</hi> im anschauen nicht verhintert/ werde.</p> <p xml:id="p162.2"><note place="right">Vielfältiges Verkürzen der Bilder/ ist zu meiden.</note> Das vielfältige Verkürzen der Bilder/ sonderlich an Armen/ stehet nicht allezeit wol/ und haben es alle fürnehmste Künstler vermieden/ sonderlich wann Platz genug vorhanden ist.</p> <p xml:id="p162.3">Es zeiget sich auch sehr übel/ wann ein sitzendes <note place="right">Regeln/ von Kniehen und Füßen/</note> Bild die Füße auswarts/ und die Kniehe hingegen einwarts gegen einander/ kehret. Wann aber die Kniehe auswarts gehen/ und die Füße zusammen kreutzen/ so giebt es bässern Wolstand. Der Weibs-Bilder <note place="right">von Beinen und Schenkeln/</note> Beine/ es seyen gleich sitzende oder stehende Bilder/ sollen erbarlich/ und nicht zuweit von einander/ stehen. Es kommet auch sehr übel an sitzenden Manns-Bildern/ noch schlimmer aber an Weibs-Bildern/ sie seyen nackend oder gekleidt/ wann man gerad zwischen beede Kniehe hinein sihet: und ist löblicher/ wann solche links- oder rechtseits gekehret werden.</p> <p xml:id="p162.4"><note place="right">von den Achseln und Hüften/</note>Viel berühmte Meister haben diesen Ubelstand an stehenden/ auch ligend- und sitzenden Bildern eingeführet/ daß sie/ wann die rechte oder linke Hüfte auswanket/ die Achsel selbiger Seiten erhoben: da doch hingegen ingemein die Achsel der Seiten/ wo die Hüfte ausweichet/ niedriger/ als die andere/ seyn soll.</p> <p xml:id="p162.5"><note place="right">von den Armen/</note> Wiederum irren auch etliche/ wann sie von der niedrigen Achsel den Arm/ um etwas zu verrichten/ über sich reichen lassen: welches ganz unrecht ist/ und doch oft geschiehet. Zu verhütung dieser Unzierde/ soll allezeit beobachtet werden/ daß/ der Arm/ von der höchsten Achsel/ auch am höchsten über sich reiche/ nemlich aus der andern Seite/ wo die Hüfte meist erhebt kommet. Es soll auch jederzeit das Haupt/ wann es müglich/ sich nach der höchsten Achsel wenden.</p> <p xml:id="p162.6"><note place="right">Händen und Füßen.</note>Wann zierliche fürnehme Bilder/ und nicht grobe Arbeiter/ zu mahlen sind/ sollen sie nicht beede Arme oder Hände zu einer Verrichtung zugleich ausheben oder anwenden/ (es wäre dann/ daß das Bild Arbeit thäte) sondern damit abwechslen: und also soll es auch mit den Füßen gehalten werden.</p> <p xml:id="p162.7">Es sind auch etliche so frech/ daß sie/ an einer <note place="right">Verdrehte Bilder/ sind wild und unformlich.</note> Figur/ Brust und <hi rendition="#aq">sal. hon</hi>. Hinterbacken zugleich sehen lassen/ und vermeinen noch/ sie haben viel Wunder verrichtet: welches ein schändlicher Ubelstand ist. Es sind auch/ unter uns Teutschen/ welche die Arme/ Beine und alles wild und kreuzweis durch einander verdrehen/ die Kniehe biegen/ und die Füße <hi rendition="#aq">contrahi</hi>ren und verwicklen. Diese unbesonnene Freyheit/ ist billich für einen Unverstand<cb/> zu halten: sintemal die Vollkommenheit solches wilden Gebrauchs nicht bedürftig ist. Darum soll man/ im wenden und biegen der Glieder/ ehrbarlich bey der Natur-Zierde bleiben.</p> <p xml:id="p162.8">Im übersich-sehen eines Bildes/ mus man das <note place="right">Wie ein Bild aussehen und sich neigen soll?</note> Angesicht nicht ruckwarts niederer hangen lassen/ also daß die Augen gerad hinauf gen Himmel sehen. Man mus auch dasselbe nicht allzutief für sich neigen <note place="right">Wie weil man des Bildes Haupt umwenden mag?</note>/ also daß die Achsel dem Nabel in der Höhe gleich kommet. Das Haupt/ mus man nicht weiter umkehren/ als bis das Kien auf den Achslen stehet. Hingegen ist/ bey Händen und Füßen/ mehrere Freyheit erlaubet. Gleichwol soll man den Arm <note place="right">Wie hoch ein Arm zu heben?</note> nicht zu hoch heben/ sondern nur/ bis der Elnbogen der Achsel gleich komme. Es ist aber allezeit/ die Natur/ für eine sichere und wahre Richtschnur zu halten.</p> <p xml:id="p162.9"><note place="right">Regeln/ von Last-tragenden/</note> Wann ein Bild etwas schweres aufhebt/ so lehret die Natur/ das Gewicht zu bewegen/ mit mehrerer Vorsetzung des einen Fußes: hingegen der andere Fuß/ auf welchem der Last ruhet/ spielet nicht/ sondern stehet fest/ zu seiner Sicherheit. Gleichfalls/ wann die Achsel eine Last träget/ so kan der Fuß auf der Seite/ wo die Last liget/ nicht spielen.</p> <p xml:id="p162.10"><note place="right">von stehend- <choice><sic>nud</sic><corr>und</corr></choice> gehenden Bildern.</note> Die gehende Bilder/ sollen nicht weiter schreiten/ als eines Fußes Länge von einem zum andern. Die <hi rendition="#aq">perfect</hi>e <hi rendition="#aq">Antich</hi>en/ haben allezeit ihre stehende Bilder/ als wolten sie gehen/ auch etwas wankend/ sehr rühmlich und angenehm gestellet.Die Zierlichkeit der Füße im auf- und niederheben/ ist hierbey/ sonderlich im danzen/ mit geradem Leib/ zu beobachten.</p> <p xml:id="p162.11"><note place="right">Der Bilder Natur-artige und wol-sittige <hi rendition="#aq">action</hi> ist allenthalben genau zu beobachten.</note> Man hat kürzlich/ in dergleichen Gemählen/ auf der Bilder Natur-artige und wohl-sittliche <hi rendition="#aq">action</hi> und Arbeit scharff abzusehen: daß die Hände und Finger <hi rendition="#aq">correct</hi> und wol-anständig wirkend/ als bey Harpfen- Instrument- und Lautenspielen/ bey werffen/ hauen/ schleiffen/ tragen/ graben/ laufen/ schnaufen und springen/ <hi rendition="#aq">praesenti</hi>ret werden/ also daß die andere Glieder auch ernstlich <note place="right">Von Weibs-Bildern.</note> mit gemeinschaft haben. 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Den Erbaren Frauen/ welche <note place="right">Von erbaren Frauen-Bildern;</note> der Arbeit ungewohnt/ mus man keine kühne Mannliche Tritte und <hi rendition="#aq">action,</hi> und nur/ wo es anständig/ eine züchtige/ keusche und demütige Gestalt/ im stehen/ gehen und sitzen/ zueignen/ auch sie/ mit Angesicht und Gebärden/ bewegliche Zeichen der Erbarkeit geben machen.</p> <p xml:id="p162.13"><note place="right">von Starken/</note> Hingegen erfordert die Wissenschaft/ in den starken Männern/ einen keckern und fästen Stand/ weil sie schwere Verrichtungen haben: wie uns <note place="right">Jungen und Alten Manns-Bildern.</note> dann in allem diesem die Natur/ als wahre Lehrmeisterin/ herrlich vorgehet. Jüngere Manns-Bilder/ zeigen sich/ ohne Schwermütigkeit/ wacker/ </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [[I, Buch 3 (Malerei), S. 75]/0254]
aber an diese und andere Regeln nicht allerdings gebunden/ sondern man kan es nach Vernunft und Notdurft verändern.
Hat man auszubilden arbeitende Leute oder Bauren/ die an einem schweren Stuck stossen oder ziehen/ und wegen solcher Schwere mit Händen und Füßen müßen einseitig gehen/ oder Hände und Füße mit Kräften zusammen spannen/ da dann die Glieder ausgestreckt werden/ und schöne Theile Menschlichen Leibes sich praesentiren: alsdann soll man achtung geben/ daß solche/ wann es möglich/ durch die Falten des Gewands/ oder durch etwas anders/ nicht bedecket/ sondern wol sichtbar gelassen/ damit der beste Affect im anschauen nicht verhintert/ werde.
Die vornemste Glieder/ sollen möglichst sichtbar und unverdeckt bleiben. Das vielfältige Verkürzen der Bilder/ sonderlich an Armen/ stehet nicht allezeit wol/ und haben es alle fürnehmste Künstler vermieden/ sonderlich wann Platz genug vorhanden ist.
Vielfältiges Verkürzen der Bilder/ ist zu meiden.Es zeiget sich auch sehr übel/ wann ein sitzendes Bild die Füße auswarts/ und die Kniehe hingegen einwarts gegen einander/ kehret. Wann aber die Kniehe auswarts gehen/ und die Füße zusammen kreutzen/ so giebt es bässern Wolstand. Der Weibs-Bilder Beine/ es seyen gleich sitzende oder stehende Bilder/ sollen erbarlich/ und nicht zuweit von einander/ stehen. Es kommet auch sehr übel an sitzenden Manns-Bildern/ noch schlimmer aber an Weibs-Bildern/ sie seyen nackend oder gekleidt/ wann man gerad zwischen beede Kniehe hinein sihet: und ist löblicher/ wann solche links- oder rechtseits gekehret werden.
Regeln/ von Kniehen und Füßen/
von Beinen und Schenkeln/Viel berühmte Meister haben diesen Ubelstand an stehenden/ auch ligend- und sitzenden Bildern eingeführet/ daß sie/ wann die rechte oder linke Hüfte auswanket/ die Achsel selbiger Seiten erhoben: da doch hingegen ingemein die Achsel der Seiten/ wo die Hüfte ausweichet/ niedriger/ als die andere/ seyn soll.
von den Achseln und Hüften/ Wiederum irren auch etliche/ wann sie von der niedrigen Achsel den Arm/ um etwas zu verrichten/ über sich reichen lassen: welches ganz unrecht ist/ und doch oft geschiehet. Zu verhütung dieser Unzierde/ soll allezeit beobachtet werden/ daß/ der Arm/ von der höchsten Achsel/ auch am höchsten über sich reiche/ nemlich aus der andern Seite/ wo die Hüfte meist erhebt kommet. Es soll auch jederzeit das Haupt/ wann es müglich/ sich nach der höchsten Achsel wenden.
von den Armen/Wann zierliche fürnehme Bilder/ und nicht grobe Arbeiter/ zu mahlen sind/ sollen sie nicht beede Arme oder Hände zu einer Verrichtung zugleich ausheben oder anwenden/ (es wäre dann/ daß das Bild Arbeit thäte) sondern damit abwechslen: und also soll es auch mit den Füßen gehalten werden.
Händen und Füßen.Es sind auch etliche so frech/ daß sie/ an einer Figur/ Brust und sal. hon. Hinterbacken zugleich sehen lassen/ und vermeinen noch/ sie haben viel Wunder verrichtet: welches ein schändlicher Ubelstand ist. Es sind auch/ unter uns Teutschen/ welche die Arme/ Beine und alles wild und kreuzweis durch einander verdrehen/ die Kniehe biegen/ und die Füße contrahiren und verwicklen. Diese unbesonnene Freyheit/ ist billich für einen Unverstand
zu halten: sintemal die Vollkommenheit solches wilden Gebrauchs nicht bedürftig ist. Darum soll man/ im wenden und biegen der Glieder/ ehrbarlich bey der Natur-Zierde bleiben.
Verdrehte Bilder/ sind wild und unformlich.Im übersich-sehen eines Bildes/ mus man das Angesicht nicht ruckwarts niederer hangen lassen/ also daß die Augen gerad hinauf gen Himmel sehen. Man mus auch dasselbe nicht allzutief für sich neigen / also daß die Achsel dem Nabel in der Höhe gleich kommet. Das Haupt/ mus man nicht weiter umkehren/ als bis das Kien auf den Achslen stehet. Hingegen ist/ bey Händen und Füßen/ mehrere Freyheit erlaubet. Gleichwol soll man den Arm nicht zu hoch heben/ sondern nur/ bis der Elnbogen der Achsel gleich komme. Es ist aber allezeit/ die Natur/ für eine sichere und wahre Richtschnur zu halten.
Wie ein Bild aussehen und sich neigen soll?
Wie weil man des Bildes Haupt umwenden mag?
Wie hoch ein Arm zu heben? Wann ein Bild etwas schweres aufhebt/ so lehret die Natur/ das Gewicht zu bewegen/ mit mehrerer Vorsetzung des einen Fußes: hingegen der andere Fuß/ auf welchem der Last ruhet/ spielet nicht/ sondern stehet fest/ zu seiner Sicherheit. Gleichfalls/ wann die Achsel eine Last träget/ so kan der Fuß auf der Seite/ wo die Last liget/ nicht spielen.
Regeln/ von Last-tragenden/ Die gehende Bilder/ sollen nicht weiter schreiten/ als eines Fußes Länge von einem zum andern. Die perfecte Antichen/ haben allezeit ihre stehende Bilder/ als wolten sie gehen/ auch etwas wankend/ sehr rühmlich und angenehm gestellet.Die Zierlichkeit der Füße im auf- und niederheben/ ist hierbey/ sonderlich im danzen/ mit geradem Leib/ zu beobachten.
von stehend- und gehenden Bildern. Man hat kürzlich/ in dergleichen Gemählen/ auf der Bilder Natur-artige und wohl-sittliche action und Arbeit scharff abzusehen: daß die Hände und Finger correct und wol-anständig wirkend/ als bey Harpfen- Instrument- und Lautenspielen/ bey werffen/ hauen/ schleiffen/ tragen/ graben/ laufen/ schnaufen und springen/ praesentiret werden/ also daß die andere Glieder auch ernstlich mit gemeinschaft haben. Die Nymphen/ Schäferinnen/ Göttinen und Concubinen/ sollen reitzend und schön von Gliedern/ lebhaft/ mit frechen Bewegungen/ auch sowol in action, als sonst ingemein/ liebreich und angenehm/ mit sonderbarer Zierlichkeit der Farben/ vorgestellet werden.
Der Bilder Natur-artige und wol-sittige action ist allenthalben genau zu beobachten.
Von Weibs-Bildern. Ebenmäßig soll der Künstler/ in den Bildern/ die Alter/ Complexion und Naturen/ wol unterscheiden. Die einfältige Jugend/ mus zur Frölichkeit geneigt/ auch lieblich/ angenehm und frech von Art/ erscheinen. Den Erbaren Frauen/ welche der Arbeit ungewohnt/ mus man keine kühne Mannliche Tritte und action, und nur/ wo es anständig/ eine züchtige/ keusche und demütige Gestalt/ im stehen/ gehen und sitzen/ zueignen/ auch sie/ mit Angesicht und Gebärden/ bewegliche Zeichen der Erbarkeit geben machen.
Die Alter/ complexion und Naturen/ sind zu observiren.
Von erbaren Frauen-Bildern; Hingegen erfordert die Wissenschaft/ in den starken Männern/ einen keckern und fästen Stand/ weil sie schwere Verrichtungen haben: wie uns dann in allem diesem die Natur/ als wahre Lehrmeisterin/ herrlich vorgehet. Jüngere Manns-Bilder/ zeigen sich/ ohne Schwermütigkeit/ wacker/
von Starken/
Jungen und Alten Manns-Bildern.
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(2013-05-21T09:54:31Z)
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