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Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 2,3. Nürnberg, 1679.

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Ausleg- und Sinn-gebender
Erklärung/
über die
METAMORPHOSIS,
oder
Verwandlungs-Bücher/
Des
Publius Ovidius Naso.
Zwölftes Buch.
[Spaltenumbruch]

IM Anfange dieses zwölfften Buchs haben wir die Opffer/ welche die Griechen dem Jupiter thaten in Beotien/ dahin sie durch Sturm getrieben waren. Sintemal sie/ mit einer Flotte von mehr dann tausend Schiffen/ die Stadt Troja zu bekriegen/ ausgefahren. Da sie auch ein Vorzeichen sahen von einer Schlange/ die acht junge Vögel/ zusamt der Mutter verschlange: welches Calchas/ der Weissager/ dahin deutete/ daß sie neun Jahr/ sonder etwas auszurichten/ vor Troja ligen würden: Allein sie solten dannoch den Muht nicht sincken lassen/ dann sie/ im zehnten Jahr/ selbige Stadt erobern würden. Alhier siehet man erstlich den Ernst und Eyfer/ welchen die Heyden/ in ihrem Gottesdienste/gehabt/ und daß sie/ in ihren Nöhten/ (wie blind sie auch in der Erkändnus gewesen) ihre Zuflucht dennoch allzeit zu Gott genommen haben. Und findet man das/ in ihren Geschichten/ sehr vielfältig/ daß je eyferiger sie/ in Ubung ihres Gottesdienstes/ (welcher doch falsch und eitel muß genannt werden) gewesen/ ie glücklicher und förderlicher Fortgang/ und bessers Ende/ in ihren Sachen/ zu erkennen war. Von diesem Eyfer/ lieset man Wunder-Dinge beym Valerius Maximus/ im ersten Capitel seines ersten Buchs/ wie auch beym Titus Livius/ und andern mehr. Sie brauchten wundergrosse Sorgfalt/ in genauer Beobachtung der so mancherley Vorzeichen/ die sie hier und dar aufklaubten; worvon auch/ im angezognen ersten Buch des Valerius/ im vierdten/ fünfften und sechsten Capitel/ unterschiedliche sehr seltsame Exempel solcher Vorzeichen/ beschrieben sind. Nicht weniger war zu verwundern/ wie grosses Vertrauen sie stelten auf die Antworten ihrer eiteln Götter und Weiss- oder Wahrsager: als welche sie fast alle aus des Apollo Geschlechte entsprungen zu seyn achteten; zumaln den ietzt vor uns habenden Calchas.

[Spaltenumbruch]

Vom Calchas/ dem
Weissager.

DEr Vatter dieses Calchas ward genannt Thestor/ ein Sohn des Apollo/ und der Aglaie . Dieser Calchas war/ wie einige meinen/ ein Trojaner/ und/ nach dem Raht des Apollo/ zu den Griechen übergangen. Er war ein grosser Errahter und Weissager der zukünfftigen Dinge; Auch ihme/ durch das Geheimnus/ sein Tod vorher verkündigt/ daß er/ nemlich/ sterben solte/ wann er in der Kunst zu errahten oder zu weissagen einen erfahrnern/ bessern und fertigern Meister/ als er selbsten wäre/ finden würde. Nachdem dieser Calchas nun denen Griechen/ in der Belagerung vor Troja/ viel Dienste gethan hatte/ wie in den Iliaden des Homerus zu lesen ist/ hat er/ nach dem Untergange der Stadt Troja/ sich in die Landschafft Jonien/ nach der Stadt Colophon/ erhaben; woselbsten ein vortrefflich Geheimnus des Apollo war/ und als er dahin/ mit dem Amphilochus/ Perolypus/ Leontius / und andern Griechischen Hoffleuten mehr/ auf dem Wege begriffen: ist ihme ohne gefehr begegnet der Sohn des Apollo und der Manto/ ein ausbündiger Weissager und Errather/ Namens Mopsus. Als nun diese zween Meister/ von einem allda am Wege stehenden wilden Feigenbaume/ wieviel Feigen er hätte/ zu reden kamen/ und Calchas Zehen tausend/ und eine Kornmas voll/ und über das noch eine einige. hiervon keinen Bescheid zu geben wuste/ antwortete Mopsus/ daß selbiger zehen tausend/ ein hundert und eine drauf wären; Worauf alsobald einer dieselben zehlete/ und diese Zahl just also befand. Hiernächst kamen sie eine tragende Sau vorbey/ da dann Calchas wiederum gefragt ward/ wieviel junge Färcklein sie im Leibe hätte? wann sie werffen? und von was vor Farben ihre Jungen seyn würden? Worüber er verstummte/ und nichts zu antworten wuste. Mopsus aber sagte: sie trüge derer zehen/ unter diesen zehen/

Ausleg- und Sinn-gebender
Erklärung/
über die
METAMORPHOSIS,
oder
Verwandlungs-Bücher/
Des
Publius Ovidius Naso.
Zwölftes Buch.
[Spaltenumbruch]

IM Anfange dieses zwölfften Buchs haben wir die Opffer/ welche die Griechen dem Jupiter thaten in Beotien/ dahin sie durch Sturm getrieben waren. Sintemal sie/ mit einer Flotte von mehr dann tausend Schiffen/ die Stadt Troja zu bekriegen/ ausgefahren. Da sie auch ein Vorzeichen sahen von einer Schlange/ die acht junge Vögel/ zusamt der Mutter verschlange: welches Calchas/ der Weissager/ dahin deutete/ daß sie neun Jahr/ sonder etwas auszurichten/ vor Troja ligen würden: Allein sie solten dannoch den Muht nicht sincken lassen/ dann sie/ im zehnten Jahr/ selbige Stadt erobern würden. Alhier siehet man erstlich den Ernst und Eyfer/ welchen die Heyden/ in ihrem Gottesdienste/gehabt/ und daß sie/ in ihren Nöhten/ (wie blind sie auch in der Erkändnus gewesen) ihre Zuflucht dennoch allzeit zu Gott genommen haben. Und findet man das/ in ihren Geschichten/ sehr vielfältig/ daß je eyferiger sie/ in Ubung ihres Gottesdienstes/ (welcher doch falsch und eitel muß genannt werden) gewesen/ ie glücklicher und förderlicher Fortgang/ und bessers Ende/ in ihren Sachen/ zu erkennen war. Von diesem Eyfer/ lieset man Wunder-Dinge beym Valerius Maximus/ im ersten Capitel seines ersten Buchs/ wie auch beym Titus Livius/ und andern mehr. Sie brauchten wundergrosse Sorgfalt/ in genauer Beobachtung der so mancherley Vorzeichen/ die sie hier und dar aufklaubten; worvon auch/ im angezognen ersten Buch des Valerius/ im vierdten/ fünfften und sechsten Capitel/ unterschiedliche sehr seltsame Exempel solcher Vorzeichen/ beschrieben sind. Nicht weniger war zu verwundern/ wie grosses Vertrauen sie stelten auf die Antworten ihrer eiteln Götter und Weiss- oder Wahrsager: als welche sie fast alle aus des Apollo Geschlechte entsprungen zu seyn achteten; zumaln den ietzt vor uns habenden Calchas.

[Spaltenumbruch]

Vom Calchas/ dem
Weissager.

DEr Vatter dieses Calchas ward genannt Thestor/ ein Sohn des Apollo/ und der Aglaie . Dieser Calchas war/ wie einige meinen/ ein Trojaner/ und/ nach dem Raht des Apollo/ zu den Griechen übergangen. Er war ein grosser Errahter und Weissager der zukünfftigen Dinge; Auch ihme/ durch das Geheimnus/ sein Tod vorher verkündigt/ daß er/ nemlich/ sterben solte/ wann er in der Kunst zu errahten oder zu weissagen einen erfahrnern/ bessern und fertigern Meister/ als er selbsten wäre/ finden würde. Nachdem dieser Calchas nun denen Griechen/ in der Belagerung vor Troja/ viel Dienste gethan hatte/ wie in den Iliaden des Homerus zu lesen ist/ hat er/ nach dem Untergange der Stadt Troja/ sich in die Landschafft Jonien/ nach der Stadt Colophon/ erhaben; woselbsten ein vortrefflich Geheimnus des Apollo war/ und als er dahin/ mit dem Amphilochus/ Perolypus/ Leontius / und andern Griechischen Hoffleuten mehr/ auf dem Wege begriffen: ist ihme ohne gefehr begegnet der Sohn des Apollo und der Manto/ ein ausbündiger Weissager und Errather/ Namens Mopsus. Als nun diese zween Meister/ von einem allda am Wege stehenden wilden Feigenbaume/ wieviel Feigen er hätte/ zu reden kamen/ und Calchas Zehen tausend/ und eine Kornmas voll/ und über das noch eine einige. hiervon keinen Bescheid zu geben wuste/ antwortete Mopsus/ daß selbiger zehen tausend/ ein hundert und eine drauf wären; Worauf alsobald einer dieselben zehlete/ und diese Zahl just also befand. Hiernächst kamen sie eine tragende Sau vorbey/ da dann Calchas wiederum gefragt ward/ wieviel junge Färcklein sie im Leibe hätte? wann sie werffen? und von was vor Farben ihre Jungen seyn würden? Worüber er verstummte/ und nichts zu antworten wuste. Mopsus aber sagte: sie trüge derer zehen/ unter diesen zehen/

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[[Metamorphosis, S. 137]/0313] Ausleg- und Sinn-gebender Erklärung/ über die METAMORPHOSIS, oder Verwandlungs-Bücher/ Des Publius Ovidius Naso. Zwölftes Buch. IM Anfange dieses zwölfften Buchs haben wir die Opffer/ welche die Griechen dem Jupiter thaten in Beotien/ dahin sie durch Sturm getrieben waren. Sintemal sie/ mit einer Flotte von mehr dann tausend Schiffen/ die Stadt Troja zu bekriegen/ ausgefahren. Da sie auch ein Vorzeichen sahen von einer Schlange/ die acht junge Vögel/ zusamt der Mutter verschlange: welches Calchas/ der Weissager/ dahin deutete/ daß sie neun Jahr/ sonder etwas auszurichten/ vor Troja ligen würden: Allein sie solten dannoch den Muht nicht sincken lassen/ dann sie/ im zehnten Jahr/ selbige Stadt erobern würden. Alhier siehet man erstlich den Ernst und Eyfer/ welchen die Heyden/ in ihrem Gottesdienste/gehabt/ und daß sie/ in ihren Nöhten/ (wie blind sie auch in der Erkändnus gewesen) ihre Zuflucht dennoch allzeit zu Gott genommen haben. Und findet man das/ in ihren Geschichten/ sehr vielfältig/ daß je eyferiger sie/ in Ubung ihres Gottesdienstes/ (welcher doch falsch und eitel muß genannt werden) gewesen/ ie glücklicher und förderlicher Fortgang/ und bessers Ende/ in ihren Sachen/ zu erkennen war. Von diesem Eyfer/ lieset man Wunder-Dinge beym Valerius Maximus/ im ersten Capitel seines ersten Buchs/ wie auch beym Titus Livius/ und andern mehr. Sie brauchten wundergrosse Sorgfalt/ in genauer Beobachtung der so mancherley Vorzeichen/ die sie hier und dar aufklaubten; worvon auch/ im angezognen ersten Buch des Valerius/ im vierdten/ fünfften und sechsten Capitel/ unterschiedliche sehr seltsame Exempel solcher Vorzeichen/ beschrieben sind. Nicht weniger war zu verwundern/ wie grosses Vertrauen sie stelten auf die Antworten ihrer eiteln Götter und Weiss- oder Wahrsager: als welche sie fast alle aus des Apollo Geschlechte entsprungen zu seyn achteten; zumaln den ietzt vor uns habenden Calchas. Vom Calchas/ dem Weissager. DEr Vatter dieses Calchas ward genannt Thestor/ ein Sohn des Apollo/ und der Aglaie . Dieser Calchas war/ wie einige meinen/ ein Trojaner/ und/ nach dem Raht des Apollo/ zu den Griechen übergangen. Er war ein grosser Errahter und Weissager der zukünfftigen Dinge; Auch ihme/ durch das Geheimnus/ sein Tod vorher verkündigt/ daß er/ nemlich/ sterben solte/ wann er in der Kunst zu errahten oder zu weissagen einen erfahrnern/ bessern und fertigern Meister/ als er selbsten wäre/ finden würde. Nachdem dieser Calchas nun denen Griechen/ in der Belagerung vor Troja/ viel Dienste gethan hatte/ wie in den Iliaden des Homerus zu lesen ist/ hat er/ nach dem Untergange der Stadt Troja/ sich in die Landschafft Jonien/ nach der Stadt Colophon/ erhaben; woselbsten ein vortrefflich Geheimnus des Apollo war/ und als er dahin/ mit dem Amphilochus/ Perolypus/ Leontius / und andern Griechischen Hoffleuten mehr/ auf dem Wege begriffen: ist ihme ohne gefehr begegnet der Sohn des Apollo und der Manto/ ein ausbündiger Weissager und Errather/ Namens Mopsus. Als nun diese zween Meister/ von einem allda am Wege stehenden wilden Feigenbaume/ wieviel Feigen er hätte/ zu reden kamen/ und Calchas hiervon keinen Bescheid zu geben wuste/ antwortete Mopsus/ daß selbiger zehen tausend/ ein hundert und eine drauf wären; Worauf alsobald einer dieselben zehlete/ und diese Zahl just also befand. Hiernächst kamen sie eine tragende Sau vorbey/ da dann Calchas wiederum gefragt ward/ wieviel junge Färcklein sie im Leibe hätte? wann sie werffen? und von was vor Farben ihre Jungen seyn würden? Worüber er verstummte/ und nichts zu antworten wuste. Mopsus aber sagte: sie trüge derer zehen/ unter diesen zehen/ Zehen tausend/ und eine Kornmas voll/ und über das noch eine einige.

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Zitationshilfe: Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 2,3. Nürnberg, 1679, S. [Metamorphosis, S. 137]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sandrart_academie0203_1679/313>, abgerufen am 24.11.2024.