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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Neunte Geistliche Lection
ihn an Platz deß geereutzigten Jesu zu küssen: und da ich/ sagt die Krancke/
solchem teufflischen Befelch nicht gehorchen wollen/ hab ich ihm ins Ange-
sieht gespiehen/ und der unsauberen Versuchung mich widersetzet; biß ich
endlich durch das Gebett meiner Mutter Victoriae von dem höllischen
Feind bin glücklich verlassen worden.

18. Siehest du/ mein Christliche Seel/ wie grob die jenige gefehlet ha-
ben/ welche dieses unschuldige Mägdlein und andächtige Braut CHristi/
als eine grosse Sünderin gerichtet haben? sollen wir derhalben nicht billig
behutsamb seyn/ und der heylsamen Lehr deß Apostels nachzuleben uns be-
fleissen/ der da spricht: Richtet nicht vor der Zeit/ biß der Herr
komme; der auch an das Liecht bringen wird/ was in der
Finsternuß verborgen ist/ und wird die Rathschläge der
Hertzen offenbahren:
Damit du aber diesen schädlichen Fehler
Historia.
Stengel.
tom. 3. de
judic.
Divin. c.
37. n.
1.
noch besser erkennest; so schlage nun auch die Augen deines Gemüths
auff folgendes Exempel. Nicht weit von dem uhralten Stättlein Vau-
burg hat in einer Bauren Hütten ein alter Ackerman gewohnet/ welcher
nach Ableben seines Weibs und Kindern/ die Zeit mit Betten und andern
guten Wercken also zugebracht/ daß ihn/ so ihn gekennet/ den frommen
Bauren genennet haben: Dieser ist alle Sontag zu vorgemeldter Statt
kommen/ umb dem GOttes-Dienst beyzuwohnen/ und hat nach dessen
Vollendung auß Armuth von Thür zu Thür eine Allmosen gesamblet/
die ihme dann von den Einwohnern so freygebig mitgetheilet worden/ daß
er damit die gantze Woche durch sich wohl erhalten können: unterdessen
haben zween Mörder in Ansehung deren freygebigen Allmosen sich ein-
gebildet/ der Bawer müsse einen heimblichen Geld-Schatz versamblet ha-
ben; derohalben sie bey der Nacht das Hüttl ein angefallen/ den armen Al-
ten ergriffen/ und ihme den Todt getrewet haben/ wann er nicht alsobald
das versamblete Geld herauß geben würde: dieweilen er aber darauff be-
standen/ daß weder Gold noch Silber/ weder einiges Geld besitzete; haben
ihn die obgemeldte Mörder zu Bodem/ und einen Strick umb den Halß
geworffen/ und also jämmerlich erwürget: und ob sie schon an allen Or-
then das vermeinte Geld gesuchet/ haben doch nichts gefunden: dahero
haben sie zu Bedeckung dieser grausamen That/ und zu Verhütung
alles Argwohns den Leib deß ertrosselten Alten an einen Balcken
auffgehenckt/ damit ein jeder desto füglicher urtheilen könte/ daß dieser
unglückseelige Mensch sich selbsten entleibet habe: die Mörder aber/

nach-

Die Neunte Geiſtliche Lection
ihn an Platz deß geereutzigten Jeſu zu kuͤſſen: und da ich/ ſagt die Krancke/
ſolchem teuffliſchen Befelch nicht gehorchen wollen/ hab ich ihm ins Ange-
ſieht geſpiehen/ und der unſauberen Verſuchung mich widerſetzet; biß ich
endlich durch das Gebett meiner Mutter Victoriæ von dem hoͤlliſchen
Feind bin gluͤcklich verlaſſen worden.

18. Sieheſt du/ mein Chriſtliche Seel/ wie grob die jenige gefehlet ha-
ben/ welche dieſes unſchuldige Maͤgdlein und andaͤchtige Braut CHriſti/
als eine groſſe Suͤnderin gerichtet haben? ſollen wir derhalben nicht billig
behutſamb ſeyn/ und der heylſamen Lehr deß Apoſtels nachzuleben uns be-
fleiſſen/ der da ſpricht: Richtet nicht vor der Zeit/ biß der Herr
komme; der auch an das Liecht bringen wird/ was in der
Finſternuß verborgen iſt/ und wird die Rathſchlaͤge der
Hertzen offenbahren:
Damit du aber dieſen ſchaͤdlichen Fehler
Hiſtoria.
Stengel.
tom. 3. de
judic.
Divin. c.
37. n.
1.
noch beſſer erkenneſt; ſo ſchlage nun auch die Augen deines Gemuͤths
auff folgendes Exempel. Nicht weit von dem uhralten Staͤttlein Vau-
burg hat in einer Bauren Huͤtten ein alter Ackerman gewohnet/ welcher
nach Ableben ſeines Weibs und Kindern/ die Zeit mit Betten und andern
guten Wercken alſo zugebracht/ daß ihn/ ſo ihn gekennet/ den frommen
Bauren genennet haben: Dieſer iſt alle Sontag zu vorgemeldter Statt
kommen/ umb dem GOttes-Dienſt beyzuwohnen/ und hat nach deſſen
Vollendung auß Armuth von Thuͤr zu Thuͤr eine Allmoſen geſamblet/
die ihme dann von den Einwohnern ſo freygebig mitgetheilet worden/ daß
er damit die gantze Woche durch ſich wohl erhalten koͤnnen: unterdeſſen
haben zween Moͤrder in Anſehung deren freygebigen Allmoſen ſich ein-
gebildet/ der Bawer muͤſſe einen heimblichen Geld-Schatz verſamblet ha-
ben; derohalben ſie bey der Nacht das Huͤttl ein angefallen/ den armen Al-
ten ergriffen/ und ihme den Todt getrewet haben/ wann er nicht alſobald
das verſamblete Geld herauß geben wuͤrde: dieweilen er aber darauff be-
ſtanden/ daß weder Gold noch Silber/ weder einiges Geld beſitzete; haben
ihn die obgemeldte Moͤrder zu Bodem/ und einen Strick umb den Halß
geworffen/ und alſo jaͤmmerlich erwuͤrget: und ob ſie ſchon an allen Or-
then das vermeinte Geld geſuchet/ haben doch nichts gefunden: dahero
haben ſie zu Bedeckung dieſer grauſamen That/ und zu Verhuͤtung
alles Argwohns den Leib deß ertroſſelten Alten an einen Balcken
auffgehenckt/ damit ein jeder deſto fuͤglicher urtheilen koͤnte/ daß dieſer
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nach-
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[98/0126] Die Neunte Geiſtliche Lection ihn an Platz deß geereutzigten Jeſu zu kuͤſſen: und da ich/ ſagt die Krancke/ ſolchem teuffliſchen Befelch nicht gehorchen wollen/ hab ich ihm ins Ange- ſieht geſpiehen/ und der unſauberen Verſuchung mich widerſetzet; biß ich endlich durch das Gebett meiner Mutter Victoriæ von dem hoͤlliſchen Feind bin gluͤcklich verlaſſen worden. 18. Sieheſt du/ mein Chriſtliche Seel/ wie grob die jenige gefehlet ha- ben/ welche dieſes unſchuldige Maͤgdlein und andaͤchtige Braut CHriſti/ als eine groſſe Suͤnderin gerichtet haben? ſollen wir derhalben nicht billig behutſamb ſeyn/ und der heylſamen Lehr deß Apoſtels nachzuleben uns be- fleiſſen/ der da ſpricht: Richtet nicht vor der Zeit/ biß der Herr komme; der auch an das Liecht bringen wird/ was in der Finſternuß verborgen iſt/ und wird die Rathſchlaͤge der Hertzen offenbahren: Damit du aber dieſen ſchaͤdlichen Fehler noch beſſer erkenneſt; ſo ſchlage nun auch die Augen deines Gemuͤths auff folgendes Exempel. Nicht weit von dem uhralten Staͤttlein Vau- burg hat in einer Bauren Huͤtten ein alter Ackerman gewohnet/ welcher nach Ableben ſeines Weibs und Kindern/ die Zeit mit Betten und andern guten Wercken alſo zugebracht/ daß ihn/ ſo ihn gekennet/ den frommen Bauren genennet haben: Dieſer iſt alle Sontag zu vorgemeldter Statt kommen/ umb dem GOttes-Dienſt beyzuwohnen/ und hat nach deſſen Vollendung auß Armuth von Thuͤr zu Thuͤr eine Allmoſen geſamblet/ die ihme dann von den Einwohnern ſo freygebig mitgetheilet worden/ daß er damit die gantze Woche durch ſich wohl erhalten koͤnnen: unterdeſſen haben zween Moͤrder in Anſehung deren freygebigen Allmoſen ſich ein- gebildet/ der Bawer muͤſſe einen heimblichen Geld-Schatz verſamblet ha- ben; derohalben ſie bey der Nacht das Huͤttl ein angefallen/ den armen Al- ten ergriffen/ und ihme den Todt getrewet haben/ wann er nicht alſobald das verſamblete Geld herauß geben wuͤrde: dieweilen er aber darauff be- ſtanden/ daß weder Gold noch Silber/ weder einiges Geld beſitzete; haben ihn die obgemeldte Moͤrder zu Bodem/ und einen Strick umb den Halß geworffen/ und alſo jaͤmmerlich erwuͤrget: und ob ſie ſchon an allen Or- then das vermeinte Geld geſuchet/ haben doch nichts gefunden: dahero haben ſie zu Bedeckung dieſer grauſamen That/ und zu Verhuͤtung alles Argwohns den Leib deß ertroſſelten Alten an einen Balcken auffgehenckt/ damit ein jeder deſto fuͤglicher urtheilen koͤnte/ daß dieſer ungluͤckſeelige Menſch ſich ſelbſten entleibet habe: die Moͤrder aber/ nach- Hiſtoria. Stengel. tom. 3. de judic. Divin. c. 37. n. 1.

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/126>, abgerufen am 23.11.2024.