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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Viertzigste Geistliche Lection
schehen. Sie aber ist in ihrem Vorhaben beständig verblieben/ und den
Vatter gebetten/ er wolle sie doch mit dem Ehestandt nicht plagen/ dan sie
seye gäntzlich entschlossen/ die Tag ihres Lebens eine Jungfraw zu verharren.
Hierauff hat sie der Vatter gefragt/ ob sie dan einen geistlichen Stand ein-
tretten wolle? Deme sie geantwortet/ daß sie verlangete in dieser oder jener
Stadt mit einigen adlichen Jungfrauen abgesöndert zu werden/ damit sie also
für sich selbsten leben mögte. Der Vatter/ damit er dem Begehren seiner
Tochter ein Gnügen thete/ hat ihr ein sichere Wohnung sambt allen über-
flüssigen Mittelen/ und einem außerwählten Frawen-Zimmer nach ihrem
Wünsch zugeeignet/ auff daß sie also den Lauff ihres Lebens unter denen
Adlichen und Tugentsamben. Jungfrawen endigenmögte. Da nun die
Königliche Princessin dieses alles erhalten/ hat sie sich keine Sach so hoch
angelegen seyn lassen/ als wie sie die verfallene Kirchen ergäntzen/ newe er-
bawen/ und Klöster und Hospitähler stifften mögte: deren letzteren sie nahe bey
ihrer Wohnung eins auffgerichtet/ alwo sie den Armeu und Krancken diene-
te. Dieser Königlichen Tochter Leben ware mit Tugenten also gezieret/
daß auch kein eintzige an selbigem zu ermanglen scheinete. Sie fastete daß
gantze Jahr-durch/ die Sontag außgenommen; truge ein härenes Kleid;
wachete und bettete viele Stund lang nacheinander; mattete den schwachen
und zarten Leib mit allerhand Buß-Wercken ab/ und nahme in allen Tugen-
ten dergestalt zu/ daß/ gleich wie sie vorhin gewesen ware ein Wunder der
Natur; also nunmehr auch als ein Miracul der Göttlichen Gnaden von
jederman verehret wurde. Jn diesen ihren heiligen Ubungen und blühene-
dem Alter ist sie gestorben. Nun ware ein Adliche Matron so diese Toch-
ter von Kindheit erzogen hatte/ sehr begierig zu wissen/ derselben Zustand/
und bettete GOtt/ er mögte ihr doch selbigen offenbahren. Die edle Ma-
tron/ wird erhöret/ und siehe/ dasie einsmahls bettete/ wurde das Thor deß
Zimmers mit Ungestümmigkeit eröffnet/ und kam eine höllische Gespänst
hinein/ so da in der Mitten eine Seel in Gestalt eines Weibs- Bild mit
sich führe/ und ware überall mit feurigen Ketten und lebendigen Schorpio-
nen bekleidet/ deren einer der gröste und grausambste das Hertz derselben also
ängstigte/ daß sie erbärmlich heulete. Da dieses die andächtige Frau sahe/
wurde sie dergestalterschrecket/ daß sie augenblicklich zu Boden fiele/ und
für Grausen nicht reden konte; biß sie von der Seelen mit ihrem Nahmen
angeredet wurde/ sie solte sich nicht förchten/ und wissen/ daß sie seye die
Tochter deß Königs Hugoberti/ ihre gewesene Freundin. Nach diesem
traurigen Bericht wurde mein gute Dame noch mehr erschlagen; der halben

wen-

Die Viertzigſte Geiſtliche Lection
ſchehen. Sie aber iſt in ihrem Vorhaben beſtaͤndig verblieben/ und den
Vatter gebetten/ er wolle ſie doch mit dem Eheſtandt nicht plagen/ dan ſie
ſeye gaͤntzlich entſchloſſen/ die Tag ihres Lebens eine Jungfraw zu verharren.
Hierauff hat ſie der Vatter gefragt/ ob ſie dan einen geiſtlichen Stand ein-
tretten wolle? Deme ſie geantwortet/ daß ſie verlangete in dieſer oder jener
Stadt mit einigẽ adlichen Jungfrauen abgeſoͤndert zu werden/ damit ſie alſo
fuͤr ſich ſelbſten leben moͤgte. Der Vatter/ damit er dem Begehren ſeiner
Tochter ein Gnuͤgen thete/ hat ihr ein ſichere Wohnung ſambt allen uͤber-
fluͤſſigen Mittelen/ und einem außerwaͤhlten Frawen-Zimmer nach ihrem
Wuͤnſch zugeeignet/ auff daß ſie alſo den Lauff ihres Lebens unter denen
Adlichen und Tugentſamben. Jungfrawen endigenmoͤgte. Da nun die
Koͤnigliche Princeſſin dieſes alles erhalten/ hat ſie ſich keine Sach ſo hoch
angelegen ſeyn laſſen/ als wie ſie die verfallene Kirchen ergaͤntzen/ newe er-
bawen/ und Kloͤſter und Hoſpitaͤhler ſtifften moͤgte: deren letzteren ſie nahe bey
ihrer Wohnung eins auffgerichtet/ alwo ſie den Armeu und Krancken diene-
te. Dieſer Koͤniglichen Tochter Leben ware mit Tugenten alſo gezieret/
daß auch kein eintzige an ſelbigem zu ermanglen ſcheinete. Sie faſtete daß
gantze Jahr-durch/ die Sontag außgenommen; truge ein haͤrenes Kleid;
wachete und bettete viele Stund lang nacheinander; mattete den ſchwachen
und zarten Leib mit allerhand Buß-Wercken ab/ und nahme in allen Tugen-
ten dergeſtalt zu/ daß/ gleich wie ſie vorhin geweſen ware ein Wunder der
Natur; alſo nunmehr auch als ein Miracul der Goͤttlichen Gnaden von
jederman verehret wurde. Jn dieſen ihren heiligen Ubungen und bluͤhene-
dem Alter iſt ſie geſtorben. Nun ware ein Adliche Matron ſo dieſe Toch-
ter von Kindheit erzogen hatte/ ſehr begierig zu wiſſen/ derſelben Zuſtand/
und bettete GOtt/ er moͤgte ihr doch ſelbigen offenbahren. Die edle Ma-
tron/ wird erhoͤret/ und ſiehe/ daſie einsmahls bettete/ wurde das Thor deß
Zimmers mit Ungeſtuͤmmigkeit eroͤffnet/ und kam eine hoͤlliſche Geſpaͤnſt
hinein/ ſo da in der Mitten eine Seel in Geſtalt eines Weibs- Bild mit
ſich fuͤhre/ und ware uͤberall mit feurigen Ketten und lebendigen Schorpio-
nen bekleidet/ deren einer der groͤſte und grauſambſte das Hertz derſelben alſo
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wurde ſie dergeſtalterſchrecket/ daß ſie augenblicklich zu Boden fiele/ und
fuͤr Grauſen nicht reden konte; biß ſie von der Seelen mit ihrem Nahmen
angeredet wurde/ ſie ſolte ſich nicht foͤrchten/ und wiſſen/ daß ſie ſeye die
Tochter deß Koͤnigs Hugoberti/ ihre geweſene Freundin. Nach dieſem
traurigen Bericht wurde mein gute Dame noch mehr erſchlagen; der halben

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[508/0536] Die Viertzigſte Geiſtliche Lection ſchehen. Sie aber iſt in ihrem Vorhaben beſtaͤndig verblieben/ und den Vatter gebetten/ er wolle ſie doch mit dem Eheſtandt nicht plagen/ dan ſie ſeye gaͤntzlich entſchloſſen/ die Tag ihres Lebens eine Jungfraw zu verharren. Hierauff hat ſie der Vatter gefragt/ ob ſie dan einen geiſtlichen Stand ein- tretten wolle? Deme ſie geantwortet/ daß ſie verlangete in dieſer oder jener Stadt mit einigẽ adlichen Jungfrauen abgeſoͤndert zu werden/ damit ſie alſo fuͤr ſich ſelbſten leben moͤgte. Der Vatter/ damit er dem Begehren ſeiner Tochter ein Gnuͤgen thete/ hat ihr ein ſichere Wohnung ſambt allen uͤber- fluͤſſigen Mittelen/ und einem außerwaͤhlten Frawen-Zimmer nach ihrem Wuͤnſch zugeeignet/ auff daß ſie alſo den Lauff ihres Lebens unter denen Adlichen und Tugentſamben. Jungfrawen endigenmoͤgte. Da nun die Koͤnigliche Princeſſin dieſes alles erhalten/ hat ſie ſich keine Sach ſo hoch angelegen ſeyn laſſen/ als wie ſie die verfallene Kirchen ergaͤntzen/ newe er- bawen/ und Kloͤſter und Hoſpitaͤhler ſtifften moͤgte: deren letzteren ſie nahe bey ihrer Wohnung eins auffgerichtet/ alwo ſie den Armeu und Krancken diene- te. Dieſer Koͤniglichen Tochter Leben ware mit Tugenten alſo gezieret/ daß auch kein eintzige an ſelbigem zu ermanglen ſcheinete. Sie faſtete daß gantze Jahr-durch/ die Sontag außgenommen; truge ein haͤrenes Kleid; wachete und bettete viele Stund lang nacheinander; mattete den ſchwachen und zarten Leib mit allerhand Buß-Wercken ab/ und nahme in allen Tugen- ten dergeſtalt zu/ daß/ gleich wie ſie vorhin geweſen ware ein Wunder der Natur; alſo nunmehr auch als ein Miracul der Goͤttlichen Gnaden von jederman verehret wurde. Jn dieſen ihren heiligen Ubungen und bluͤhene- dem Alter iſt ſie geſtorben. Nun ware ein Adliche Matron ſo dieſe Toch- ter von Kindheit erzogen hatte/ ſehr begierig zu wiſſen/ derſelben Zuſtand/ und bettete GOtt/ er moͤgte ihr doch ſelbigen offenbahren. Die edle Ma- tron/ wird erhoͤret/ und ſiehe/ daſie einsmahls bettete/ wurde das Thor deß Zimmers mit Ungeſtuͤmmigkeit eroͤffnet/ und kam eine hoͤlliſche Geſpaͤnſt hinein/ ſo da in der Mitten eine Seel in Geſtalt eines Weibs- Bild mit ſich fuͤhre/ und ware uͤberall mit feurigen Ketten und lebendigen Schorpio- nen bekleidet/ deren einer der groͤſte und grauſambſte das Hertz derſelben alſo aͤngſtigte/ daß ſie erbaͤrmlich heulete. Da dieſes die andaͤchtige Frau ſahe/ wurde ſie dergeſtalterſchrecket/ daß ſie augenblicklich zu Boden fiele/ und fuͤr Grauſen nicht reden konte; biß ſie von der Seelen mit ihrem Nahmen angeredet wurde/ ſie ſolte ſich nicht foͤrchten/ und wiſſen/ daß ſie ſeye die Tochter deß Koͤnigs Hugoberti/ ihre geweſene Freundin. Nach dieſem traurigen Bericht wurde mein gute Dame noch mehr erſchlagen; der halben wen-

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/536>, abgerufen am 22.11.2024.