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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Viertzigste Geistliche Lection
fünff lehren/ daß der mehriste Theil seelig werde: die übrige fünsßehn lehren
das Widerspiel: unter welche auch der H. Thomas von Aquin gezchlet
wird/ in dem er diese Wort Christi außleget: Viele seynd beruffen/
aber wenig außerwählet.
Auß allen heiligen Lehrern ist gleich-
samb keiner/ der nicht vermeinet/ daß mehr Glaubige verdambt/ als seelig
werden: darüber ein jeder billig grausen solte. Der eintzige H. Joannes
Damascenus
sagt in einer der beyden Predigen von den Verstorbenen; daß
nicht der meiste Theil verloren gehe: der gelehrte Canus, Sotus und Bellar-
minus
vermeinen doch/ daß diese Lehr nicht eigentlich von dem H. Joanne
Damasceno
herkomme. Hierauß entstchet dieser Zweiffel. Der meiste
Theil der Catholischen stirbt mit vorhergegangener Niessung der H H. Sa-
cramenten. Gesetzt nun/ daß auß dreissigen sterben neun und Zwantzig
nach abgelegter Beicht/ und empfangener H. Communion und letzten Oe-
lung: also hat es nun das völlige Ansehen/ daß nicht so viele verdambt wer-
den. Wird einer sagen/ daß viele auß Schamhafftigkeit ihre Sünden in
der Beicht verschweigen; so wird er doch nit leichtlich zu geben/ daß der meiste
Theil der Christglaubigen das thue. Was ist dan die Ursach/ daß so viele
verdambt werden? Die jenige/ so da mit sonderbarem Fleiß diese Frag durch-
suchen/ finden folgende Ursach: daß nemblich die beichtende sich nicht auß
gantzem. Hertzen zu Gott wenden; sonderen bleiben auß einer Gewonheit
auch zu den gebeichten Sünden geneigt/ dieweilen sie nicht haben einen
steiffen Vorsatz ihr Leben zu besseren: dan die tägliche Erfahrnuß zeigts ley-
der! gnug/ daß viele nach gethaner Beicht eben so übel leben/ als sie vorhin
gelebt haben; und daß/ wan sie auß der Kirchen und Beicht-Stuhl nach Hauß
kommen seyen/ gleich einem Hund der widerumb frisset/ was er außgespiegen
hat/ zu ihren Sünden widerkehren: welches dan kein geringes Zeichen ist/
daß bey selbigen der kräfftige Will die Sünden zu meiden ermanglet habe:
Zumalender H. Thomas lehret/ daß der kräfftige Will ebenfals kräfftige
Mittell anwende/ und sich befleisse das vorgenommene Werck zu vollziehen:
dieses aber thut die blose und kalte Willung/ oder unkräfftiger Will nicht.
Jndem nun viele keine Mittel zur folgenden Besserung anwenden/ und die
Gelegenheiten zu sündigen auch nicht fliehen/ so haben sie keinen kräfftigen
Willen sich zu besseren/ und ist erfolglich die Beicht nichtig und gottesläste-
risch. Dieweilen dan nicht wenige/ mehr auß einer Gewonheit/ als auß
einem Eiffer sich zu besseren/ zu beichten pflegen: derhalbenlasset Gott auß
seinem verborgenen Urtheil zu/ daß solche kalte Christglaubige zur Straff
der Sünden/ auch kein bessere Beicht ablegen im Todt; dan wie das Leben

ist/

Die Viertzigſte Geiſtliche Lection
fuͤnff lehren/ daß der mehriſte Theil ſeelig werde: die uͤbrige fuͤnſſzehn lehren
das Widerſpiel: unter welche auch der H. Thomas von Aquin gezchlet
wird/ in dem er dieſe Wort Chriſti außleget: Viele ſeynd beruffen/
aber wenig außerwaͤhlet.
Auß allen heiligen Lehrern iſt gleich-
ſamb keiner/ der nicht vermeinet/ daß mehr Glaubige verdambt/ als ſeelig
werden: daruͤber ein jeder billig grauſen ſolte. Der eintzige H. Joannes
Damaſcenus
ſagt in einer der beyden Predigen von den Verſtorbenen; daß
nicht der meiſte Theil verloren gehe: der gelehrte Canus, Sotus und Bellar-
minus
vermeinen doch/ daß dieſe Lehr nicht eigentlich von dem H. Joanne
Damaſceno
herkomme. Hierauß entſtchet dieſer Zweiffel. Der meiſte
Theil der Catholiſchen ſtirbt mit vorhergegangener Nieſſung der H H. Sa-
cramenten. Geſetzt nun/ daß auß dreiſſigen ſterben neun und Zwantzig
nach abgelegter Beicht/ und empfangener H. Communion und letzten Oe-
lung: alſo hat es nun das voͤllige Anſehen/ daß nicht ſo viele verdambt wer-
den. Wird einer ſagen/ daß viele auß Schamhafftigkeit ihre Suͤnden in
der Beicht verſchweigen; ſo wird er doch nit leichtlich zu geben/ daß der meiſte
Theil der Chriſtglaubigen das thue. Was iſt dan die Urſach/ daß ſo viele
verdambt werden? Die jenige/ ſo da mit ſonderbarem Fleiß dieſe Frag durch-
ſuchen/ finden folgende Urſach: daß nemblich die beichtende ſich nicht auß
gantzem. Hertzen zu Gott wenden; ſonderen bleiben auß einer Gewonheit
auch zu den gebeichten Suͤnden geneigt/ dieweilen ſie nicht haben einen
ſteiffen Vorſatz ihr Leben zu beſſeren: dan die taͤgliche Erfahrnuß zeigts ley-
der! gnug/ daß viele nach gethaner Beicht eben ſo uͤbel leben/ als ſie vorhin
gelebt haben; und daß/ wan ſie auß der Kirchen und Beicht-Stuhl nach Hauß
kommen ſeyen/ gleich einem Hund der widerumb friſſet/ was er außgeſpiegen
hat/ zu ihren Suͤnden widerkehren: welches dan kein geringes Zeichen iſt/
daß bey ſelbigen der kraͤfftige Will die Suͤnden zu meiden ermanglet habe:
Zumalender H. Thomas lehret/ daß der kraͤfftige Will ebenfals kraͤfftige
Mittell anwende/ und ſich befleiſſe das vorgenommene Werck zu vollziehen:
dieſes aber thut die bloſe und kalte Willung/ oder unkraͤfftiger Will nicht.
Jndem nun viele keine Mittel zur folgenden Beſſerung anwenden/ und die
Gelegenheiten zu ſuͤndigen auch nicht fliehen/ ſo haben ſie keinen kraͤfftigen
Willen ſich zu beſſeren/ und iſt erfolglich die Beicht nichtig und gotteslaͤſte-
riſch. Dieweilen dan nicht wenige/ mehr auß einer Gewonheit/ als auß
einem Eiffer ſich zu beſſeren/ zu beichten pflegen: derhalbenlaſſet Gott auß
ſeinem verborgenen Urtheil zu/ daß ſolche kalte Chriſtglaubige zur Straff
der Suͤnden/ auch kein beſſere Beicht ablegen im Todt; dan wie das Leben

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/546>, abgerufen am 22.11.2024.