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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Fünffte Geistliche Lection
liges Menschlein/ warumb streichestu also hin und her/ und suchest die Gü-
ter deines Leibs? liebe das jenige Gut/ in welchem alles ist/ und also wirds
gnug seyn; verlange das einfältige Gut/ mit dem wirstu zu frieden seyn.
Damit dich nun/ mein Christliche Seel/ der liebe GOtt nicht einsmals
wegen einer Thorheit straffe/ so werffe anjetzo weit von dir alles und jedes/
mit welchem die Menschen-Kinder sich zu erlüstigen pflegen; und befleis-
sigedich GOtt über alles zu lieben. Damit du aber solches werckstellig ma-
chen- könnest/ so begehre nun dieses Fewer der Göttlichen Liebe durch in-
brünstiges Verlangen und unauffhörlichem Gebett/ und widerhole offt-
mahlen im Tag mit dem Heil. Francisco: Deus meus & omnia! Mein
GOtt und alles!
und bitte mit dem Heil. Anselmo: O HERR
mein GOTT/ wanns dir also gefällig ist/ nimb hinweg
meine Hände/ Fuß und alles ubrige; das Hertz allein
lasse mir/ mit welchem ich dich lieben könne; dann mit
diesem allein werde ich dir Gefallen.
Auff daß du aber in die-
ser herrlichen Theologischen Tugend mehr gegründet werdest/ so betrachte
was folget.

Der andere Theil.

9. AUß dem/ was bißhero gesagt ist/ kan ein jeder reifflich urtheilen/ daß
die Liebe unter den anderen Tugenden den Vorzug habe/ wann a-
ber diese uns die Pforten deß Himmels auffschliessen; wie vielmehr
werde uns solche nicht eröffnen die vortreffliche Tugend der Liebe? solches
aber kan gnugsamb bewiesen werden auß dem gemeinen Philoso phischen
Spruch: Propter quod unumquodque tale, & illud magis tale: Wie
besser ein Sach ist/ die von einer andern herkommet/ desto
besser ist auch die jenige/ die von der andere entspringet.

Die Tugenden seynd gute und zur Seeligkeit nutzliche Sachen/ haben
aber von der Liebe ihren Ursprung/ und können ohne dieselbe GOtt nicht
gefallen. Jst diesem nun also (wie anders nicht seyn kan) so muß erfolg-
lich die Liebe besser seyn/ als andere Tugenden. Wan andere Tugenden/
so etwas von der Liebe mit sich führen/ ihren Besitzer zum ewigen Leben kön-
nen einrichten; wie viel mehr wird dieses nicht leisten können die Liebe selbst/
so da ist ein Brunquell und Erfüllung aller anderen Tugenden/ so gar/ daß
wann einer nichts mehr wüste/ als JESUM zu lieben; so wäre solcher sehr
gelehrt: nicht zwarn in der Schule der Welt - Weisen und Schrifft-

Ge-

Die Fuͤnffte Geiſtliche Lection
liges Menſchlein/ warumb ſtreicheſtu alſo hin und her/ und ſucheſt die Guͤ-
ter deines Leibs? liebe das jenige Gut/ in welchem alles iſt/ und alſo wirds
gnug ſeyn; verlange das einfaͤltige Gut/ mit dem wirſtu zu frieden ſeyn.
Damit dich nun/ mein Chriſtliche Seel/ der liebe GOtt nicht einsmals
wegen einer Thorheit ſtraffe/ ſo werffe anjetzo weit von dir alles und jedes/
mit welchem die Menſchen-Kinder ſich zu erluͤſtigen pflegen; und befleiſ-
ſigedich GOtt uͤber alles zu lieben. Damit du aber ſolches werckſtellig ma-
chen- koͤnneſt/ ſo begehre nun dieſes Fewer der Goͤttlichen Liebe durch in-
bruͤnſtiges Verlangen und unauffhoͤrlichem Gebett/ und widerhole offt-
mahlen im Tag mit dem Heil. Francisco: Deus meus & omnia! Mein
GOtt und alles!
und bitte mit dem Heil. Anſelmo: O HERR
mein GOTT/ wanns dir alſo gefaͤllig iſt/ nimb hinweg
meine Haͤnde/ Fůß und alles ůbrige; das Hertz allein
laſſe mir/ mit welchem ich dich lieben koͤnne; dann mit
dieſem allein werde ich dir Gefallen.
Auff daß du aber in die-
ſer herrlichen Theologiſchen Tugend mehr gegruͤndet werdeſt/ ſo betrachte
was folget.

Der andere Theil.

9. AUß dem/ was bißhero geſagt iſt/ kan ein jeder reifflich urtheilen/ daß
die Liebe unter den anderen Tugenden den Vorzug habe/ wann a-
ber dieſe uns die Pforten deß Himmels auffſchlieſſen; wie vielmehr
werde uns ſolche nicht eroͤffnen die vortreffliche Tugend der Liebe? ſolches
aber kan gnugſamb bewieſen werden auß dem gemeinen Philoſo phiſchen
Spruch: Propter quod unumquodque tale, & illud magis tale: Wie
beſſer ein Sach iſt/ die von einer andern herkommet/ deſto
beſſer iſt auch die jenige/ die von der andere entſpringet.

Die Tugenden ſeynd gute und zur Seeligkeit nutzliche Sachen/ haben
aber von der Liebe ihren Urſprung/ und koͤnnen ohne dieſelbe GOtt nicht
gefallen. Jſt dieſem nun alſo (wie anders nicht ſeyn kan) ſo muß erfolg-
lich die Liebe beſſer ſeyn/ als andere Tugenden. Wan andere Tugenden/
ſo etwas von der Liebe mit ſich fuͤhren/ ihren Beſitzer zum ewigen Leben koͤn-
nen einrichten; wie viel mehr wird dieſes nicht leiſten koͤnnen die Liebe ſelbſt/
ſo da iſt ein Brunquell und Erfuͤllung aller anderen Tugenden/ ſo gar/ daß
wann einer nichts mehr wuͤſte/ als JESUM zu lieben; ſo waͤre ſolcher ſehr
gelehrt: nicht zwarn in der Schule der Welt - Weiſen und Schrifft-

Ge-
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[48/0076] Die Fuͤnffte Geiſtliche Lection liges Menſchlein/ warumb ſtreicheſtu alſo hin und her/ und ſucheſt die Guͤ- ter deines Leibs? liebe das jenige Gut/ in welchem alles iſt/ und alſo wirds gnug ſeyn; verlange das einfaͤltige Gut/ mit dem wirſtu zu frieden ſeyn. Damit dich nun/ mein Chriſtliche Seel/ der liebe GOtt nicht einsmals wegen einer Thorheit ſtraffe/ ſo werffe anjetzo weit von dir alles und jedes/ mit welchem die Menſchen-Kinder ſich zu erluͤſtigen pflegen; und befleiſ- ſigedich GOtt uͤber alles zu lieben. Damit du aber ſolches werckſtellig ma- chen- koͤnneſt/ ſo begehre nun dieſes Fewer der Goͤttlichen Liebe durch in- bruͤnſtiges Verlangen und unauffhoͤrlichem Gebett/ und widerhole offt- mahlen im Tag mit dem Heil. Francisco: Deus meus & omnia! Mein GOtt und alles! und bitte mit dem Heil. Anſelmo: O HERR mein GOTT/ wanns dir alſo gefaͤllig iſt/ nimb hinweg meine Haͤnde/ Fůß und alles ůbrige; das Hertz allein laſſe mir/ mit welchem ich dich lieben koͤnne; dann mit dieſem allein werde ich dir Gefallen. Auff daß du aber in die- ſer herrlichen Theologiſchen Tugend mehr gegruͤndet werdeſt/ ſo betrachte was folget. Der andere Theil. 9. AUß dem/ was bißhero geſagt iſt/ kan ein jeder reifflich urtheilen/ daß die Liebe unter den anderen Tugenden den Vorzug habe/ wann a- ber dieſe uns die Pforten deß Himmels auffſchlieſſen; wie vielmehr werde uns ſolche nicht eroͤffnen die vortreffliche Tugend der Liebe? ſolches aber kan gnugſamb bewieſen werden auß dem gemeinen Philoſo phiſchen Spruch: Propter quod unumquodque tale, & illud magis tale: Wie beſſer ein Sach iſt/ die von einer andern herkommet/ deſto beſſer iſt auch die jenige/ die von der andere entſpringet. Die Tugenden ſeynd gute und zur Seeligkeit nutzliche Sachen/ haben aber von der Liebe ihren Urſprung/ und koͤnnen ohne dieſelbe GOtt nicht gefallen. Jſt dieſem nun alſo (wie anders nicht ſeyn kan) ſo muß erfolg- lich die Liebe beſſer ſeyn/ als andere Tugenden. Wan andere Tugenden/ ſo etwas von der Liebe mit ſich fuͤhren/ ihren Beſitzer zum ewigen Leben koͤn- nen einrichten; wie viel mehr wird dieſes nicht leiſten koͤnnen die Liebe ſelbſt/ ſo da iſt ein Brunquell und Erfuͤllung aller anderen Tugenden/ ſo gar/ daß wann einer nichts mehr wuͤſte/ als JESUM zu lieben; ſo waͤre ſolcher ſehr gelehrt: nicht zwarn in der Schule der Welt - Weiſen und Schrifft- Ge-

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/76>, abgerufen am 25.11.2024.