Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.Die Fünff und Fünfftzigste Geistliche Lection (so doch nicht ware) eine beständige Vollkommenheit erreichet: begehrt der-halben von seinem Prälaten Erlaubnüß auß dem Closter sich in eine Wild- nüß zu begeben/ und daselbst wie ein Einsidler zu leben: der geistliche Vatter/ als der deß bösen Feinds List wohl vermerckte/ mahnet den jungen Ordens- Mann von solchem seinem Vorhaben ab; stellet ihm die Gefahr/ die feind- liche Nachstellungen/ und auß sothaner Absönderung erfolgenden vielfälti- gen Schaden vor Augen: der Geistliche aber wolte sich in dieses alles nicht verstehen/ als der sich von seinem eigenen Sinn und Meinung gar zu starck ziehen und überreden liesse: wanns dann immer seyn muß/ sagt der Prälat/ so will ich dir die Geferten zugeben: also gieng er mit zweyen Geferten dahin/ die dem neuen Einsidler ein gelegenes Orth außsuchen solten: da nun selbige einige wenig Tage/ gantz ermüdet in der Wüsten herumb gangen/ setzten sie sich nieder zu ruhen/ und entschlieffen: hierüber flieget ein Adler herzu/ und er- wecket sie mit dem Getöß seiner Flügel: da sagten die Gefehrten: sehe Bru- der/ GOtt schickt dir einen Engel/ dem du sollest nachfolgen: dessen erfreuet sich der Bruder/ ließ seine Gefehrten von sich/ und folget dem voran fliegen- den Adler nach. Uber ein kleines setzt sich der Adler nieder/ und verschwindet. An selbigem Ort findet der Einsidler ein lustige Höhl zu einer Wohnung/ neben einem frischen Brünlein/ und etlichen Palmbäumen: daß er also bil- lig darfür halten können/ GOtt habe diese Bleib - Statt durch den Adler angewiesen/ alwo er sein Leben im Dienst GOttes zubringen solte. Er brachte nun ein gantzes Jahr in grosser Einsambkeit und unschuld zu. Die- ses konte der böse Feind nicht leyden/ und fürchtete/ dieser Einsidler mög- te in den Tugenten dermassen zunehmen/ daß er ihn nachmahlen von selbi- gen abwendig zu machen nicht bestand wäre: derhalben fangt er an/ aller- hand Betrugs und Arglist sich zu gebrauchen: verkehrt sich in eines alten wilden Einsidlers Gestalt/ und erscheinet also dem jungen Bruder/ der dann (als welcher innerhalb sechs Jahren keinen Menschen gesehen) von dem frembden Gast erschröcket/ fangt an zu betten. Jmgleichen stellet sich auch der betriegliche Feind/ als ob er auch bettete; und da der Bruder auffstehet/ spricht ihm die höllische Larven zu/ und ermahnet ihn/ nach- mahlen mit ihme zu betten. Nach selbigem fragt er den einfältigen Bruder: wie lang er sich allda auffhalte/ und bekombt zur Antwort/ sechs Jahr. Wie soll daß seyn/ sagt der vermenschte Teuffel/ daß ich in so langer Zeit nichts umb dich gewust habe/ und wohnest so nahe bey mir? Es ist nun der vierdte Tag/ an dem ich erfahren/ daß du allhier wohnest; und hab mich
Die Fuͤnff und Fuͤnfftzigſte Geiſtliche Lection (ſo doch nicht ware) eine beſtaͤndige Vollkommenheit erreichet: begehrt der-halben von ſeinem Praͤlaten Erlaubnuͤß auß dem Cloſter ſich in eine Wild- nuͤß zu begeben/ und daſelbſt wie ein Einſidler zu leben: der geiſtliche Vatter/ als der deß boͤſen Feinds Liſt wohl vermerckte/ mahnet den jungen Ordens- Mann von ſolchem ſeinem Vorhaben ab; ſtellet ihm die Gefahr/ die feind- liche Nachſtellungen/ und auß ſothaner Abſoͤnderung erfolgenden vielfaͤlti- gen Schaden vor Augen: der Geiſtliche aber wolte ſich in dieſes alles nicht verſtehen/ als der ſich von ſeinem eigenen Sinn und Meinung gar zu ſtarck ziehen und uͤberreden lieſſe: wanns dann immer ſeyn muß/ ſagt der Praͤlat/ ſo will ich dir die Geferten zugeben: alſo gieng er mit zweyen Geferten dahin/ die dem neuen Einſidler ein gelegenes Orth außſuchen ſolten: da nun ſelbige einige wenig Tage/ gantz ermuͤdet in der Wuͤſten herumb gangen/ ſetzten ſie ſich nieder zu ruhen/ und entſchlieffen: hieruͤber flieget ein Adler herzu/ und er- wecket ſie mit dem Getoͤß ſeiner Fluͤgel: da ſagten die Gefehrten: ſehe Bru- der/ GOtt ſchickt dir einen Engel/ dem du ſolleſt nachfolgen: deſſen erfreuet ſich der Bruder/ ließ ſeine Gefehrten von ſich/ und folget dem voran fliegen- den Adler nach. Uber ein kleines ſetzt ſich der Adler nieder/ und verſchwindet. An ſelbigem Ort findet der Einſidler ein luſtige Hoͤhl zu einer Wohnung/ neben einem friſchen Bruͤnlein/ und etlichen Palmbaͤumen: daß er alſo bil- lig darfuͤr halten koͤnnen/ GOtt habe dieſe Bleib - Statt durch den Adler angewieſen/ alwo er ſein Leben im Dienſt GOttes zubringen ſolte. Er brachte nun ein gantzes Jahr in groſſer Einſambkeit und unſchuld zu. Die- ſes konte der boͤſe Feind nicht leyden/ und fuͤrchtete/ dieſer Einſidler moͤg- te in den Tugenten dermaſſen zunehmen/ daß er ihn nachmahlen von ſelbi- gen abwendig zu machen nicht beſtand waͤre: derhalben fangt er an/ aller- hand Betrugs und Argliſt ſich zu gebrauchen: verkehrt ſich in eines alten wilden Einſidlers Geſtalt/ und erſcheinet alſo dem jungen Bruder/ der dann (als welcher innerhalb ſechs Jahren keinen Menſchen geſehen) von dem frembden Gaſt erſchroͤcket/ fangt an zu betten. Jmgleichen ſtellet ſich auch der betriegliche Feind/ als ob er auch bettete; und da der Bruder auffſtehet/ ſpricht ihm die hoͤlliſche Larven zu/ und ermahnet ihn/ nach- mahlen mit ihme zu betten. Nach ſelbigem fragt er den einfaͤltigen Bruder: wie lang er ſich allda auffhalte/ und bekombt zur Antwort/ ſechs Jahr. Wie ſoll daß ſeyn/ ſagt der vermenſchte Teuffel/ daß ich in ſo langer Zeit nichts umb dich gewuſt habe/ und wohneſt ſo nahe bey mir? Es iſt nun der vierdte Tag/ an dem ich erfahren/ daß du allhier wohneſt; und hab mich
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Die Fuͤnff und Fuͤnfftzigſte Geiſtliche Lection
(ſo doch nicht ware) eine beſtaͤndige Vollkommenheit erreichet: begehrt der-
halben von ſeinem Praͤlaten Erlaubnuͤß auß dem Cloſter ſich in eine Wild-
nuͤß zu begeben/ und daſelbſt wie ein Einſidler zu leben: der geiſtliche Vatter/
als der deß boͤſen Feinds Liſt wohl vermerckte/ mahnet den jungen Ordens-
Mann von ſolchem ſeinem Vorhaben ab; ſtellet ihm die Gefahr/ die feind-
liche Nachſtellungen/ und auß ſothaner Abſoͤnderung erfolgenden vielfaͤlti-
gen Schaden vor Augen: der Geiſtliche aber wolte ſich in dieſes alles nicht
verſtehen/ als der ſich von ſeinem eigenen Sinn und Meinung gar zu ſtarck
ziehen und uͤberreden lieſſe: wanns dann immer ſeyn muß/ ſagt der Praͤlat/
ſo will ich dir die Geferten zugeben: alſo gieng er mit zweyen Geferten dahin/
die dem neuen Einſidler ein gelegenes Orth außſuchen ſolten: da nun ſelbige
einige wenig Tage/ gantz ermuͤdet in der Wuͤſten herumb gangen/ ſetzten ſie
ſich nieder zu ruhen/ und entſchlieffen: hieruͤber flieget ein Adler herzu/ und er-
wecket ſie mit dem Getoͤß ſeiner Fluͤgel: da ſagten die Gefehrten: ſehe Bru-
der/ GOtt ſchickt dir einen Engel/ dem du ſolleſt nachfolgen: deſſen erfreuet
ſich der Bruder/ ließ ſeine Gefehrten von ſich/ und folget dem voran fliegen-
den Adler nach. Uber ein kleines ſetzt ſich der Adler nieder/ und verſchwindet.
An ſelbigem Ort findet der Einſidler ein luſtige Hoͤhl zu einer Wohnung/
neben einem friſchen Bruͤnlein/ und etlichen Palmbaͤumen: daß er alſo bil-
lig darfuͤr halten koͤnnen/ GOtt habe dieſe Bleib - Statt durch den Adler
angewieſen/ alwo er ſein Leben im Dienſt GOttes zubringen ſolte. Er
brachte nun ein gantzes Jahr in groſſer Einſambkeit und unſchuld zu. Die-
ſes konte der boͤſe Feind nicht leyden/ und fuͤrchtete/ dieſer Einſidler moͤg-
te in den Tugenten dermaſſen zunehmen/ daß er ihn nachmahlen von ſelbi-
gen abwendig zu machen nicht beſtand waͤre: derhalben fangt er an/ aller-
hand Betrugs und Argliſt ſich zu gebrauchen: verkehrt ſich in eines alten
wilden Einſidlers Geſtalt/ und erſcheinet alſo dem jungen Bruder/ der dann
(als welcher innerhalb ſechs Jahren keinen Menſchen geſehen) von dem
frembden Gaſt erſchroͤcket/ fangt an zu betten. Jmgleichen ſtellet ſich
auch der betriegliche Feind/ als ob er auch bettete; und da der Bruder
auffſtehet/ ſpricht ihm die hoͤlliſche Larven zu/ und ermahnet ihn/ nach-
mahlen mit ihme zu betten. Nach ſelbigem fragt er den einfaͤltigen Bruder:
wie lang er ſich allda auffhalte/ und bekombt zur Antwort/ ſechs Jahr.
Wie ſoll daß ſeyn/ ſagt der vermenſchte Teuffel/ daß ich in ſo langer Zeit
nichts umb dich gewuſt habe/ und wohneſt ſo nahe bey mir? Es iſt nun
der vierdte Tag/ an dem ich erfahren/ daß du allhier wohneſt; und hab
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Zitationshilfe: | Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 754. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/782>, abgerufen am 16.07.2024. |