"lust, welche weder das völlige und betagte Alter, "noch das Erröthen vor den grauen Häuptern "und dem Geschlechte, noch die blühende Mun- "terkeit der Jugend, noch das Ansehen irgend ei- "nes Standes: ja keine Würde, keine innere "Schamhaftigkeit, keine Scheu und Respect vor "Leuten zwingen und bändigen kann! Ja, ich sage "zu wenig: Es ist keine Schandthat so gottlos, "daß die Geilheit nicht solte dazu reitzen, nöthi- "gen und vermögen können."
Cicero* in seinem Buch de Senectute hat c. 12. einen um desto merckwürdigern Ort davon, weil er ihn als ein Heide geschrieben, und man- chem, der ihn vergebens gelesen, zur Verantwor- tung hinterlassen. "Nim doch nur, spricht er, "du edle Jugend! eines vortreflichen und be- "rühmten Mannes, des Archytas von Tarento "seine alten Lehren und Vorstellungen zu Hertzen, "die man mir, als ich mit dem Q. Maximo zu "Tarento studirete, beygebracht und mitgegeben "hat. Die Natur (sprach er, solte fagen das "natürliche und angeerbte Verderben) hat den "Menschen kein tödtlicheres Gift und Uebel ein- "gepflantzt, als die Lust des Fleisches, durch de- "ren geilen Triebe sie auf die verwegenste und "unbändigste Weise zur Ausübung ihrer bren- "nenden Begierde gereitzet und getrieben wer- "den. Hieraus entstehen Verräthereyen von "Land und Leuten, Umstürtzungen gantzer Re- "publiquen und Staaten, geheime Verständnis- "se und Briefwechsel mit den Feinden: ja, es "ist keine Uebelthat oder irgend ein Laster zu fin-
"den,
* Lateinisch heißt es so: Accipite, optimi adolescentes, veterem orationem Archytae Tarentini, magni in primis et praeclari viri, quae mihi tradita est, cum essem adolescens Tarenti cum Q. Maximo. Nul- lam capitaliorem pestem, quam corporis volupta- tem hominibus dicebat a natura datam, cujus
vo-
(I. Th.) Anatomiſch-Mediciniſche
„luſt, welche weder das voͤllige und betagte Alter, „noch das Erroͤthen vor den grauen Haͤuptern „und dem Geſchlechte, noch die bluͤhende Mun- „terkeit der Jugend, noch das Anſehen irgend ei- „nes Standes: ja keine Wuͤrde, keine innere „Schamhaftigkeit, keine Scheu und Reſpect vor „Leuten zwingen und baͤndigen kann! Ja, ich ſage „zu wenig: Es iſt keine Schandthat ſo gottlos, „daß die Geilheit nicht ſolte dazu reitzen, noͤthi- „gen und vermoͤgen koͤnnen.‟
Cicero* in ſeinem Buch de Senectute hat c. 12. einen um deſto merckwuͤrdigern Ort davon, weil er ihn als ein Heide geſchrieben, und man- chem, der ihn vergebens geleſen, zur Verantwor- tung hinterlaſſen. „Nim doch nur, ſpricht er, „du edle Jugend! eines vortreflichen und be- „ruͤhmten Mannes, des Archytas von Tarento „ſeine alten Lehren und Vorſtellungen zu Hertzen, „die man mir, als ich mit dem Q. Maximo zu „Tarento ſtudirete, beygebracht und mitgegeben „hat. Die Natur (ſprach er, ſolte fagen das „natuͤrliche und angeerbte Verderben) hat den „Menſchen kein toͤdtlicheres Gift und Uebel ein- „gepflantzt, als die Luſt des Fleiſches, durch de- „ren geilen Triebe ſie auf die verwegenſte und „unbaͤndigſte Weiſe zur Ausuͤbung ihrer bren- „nenden Begierde gereitzet und getrieben wer- „den. Hieraus entſtehen Verraͤthereyen von „Land und Leuten, Umſtuͤrtzungen gantzer Re- „publiquen und Staaten, geheime Verſtaͤndniſ- „ſe und Briefwechſel mit den Feinden: ja, es „iſt keine Uebelthat oder irgend ein Laſter zu fin-
„den,
* Lateiniſch heißt es ſo: Accipite, optimi adoleſcentes, veterem orationem Archytæ Tarentini, magni in primis et præclari viri, quæ mihi tradita eſt, cum esſem adoleſcens Tarenti cum Q. Maximo. Nul- lam capitaliorem peſtem, quam corporis volupta- tem hominibus dicebat a natura datam, cujus
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(I. Th.) Anatomiſch-Mediciniſche
„luſt, welche weder das voͤllige und betagte Alter,
„noch das Erroͤthen vor den grauen Haͤuptern
„und dem Geſchlechte, noch die bluͤhende Mun-
„terkeit der Jugend, noch das Anſehen irgend ei-
„nes Standes: ja keine Wuͤrde, keine innere
„Schamhaftigkeit, keine Scheu und Reſpect vor
„Leuten zwingen und baͤndigen kann! Ja, ich ſage
„zu wenig: Es iſt keine Schandthat ſo gottlos,
„daß die Geilheit nicht ſolte dazu reitzen, noͤthi-
„gen und vermoͤgen koͤnnen.‟
Cicero * in ſeinem Buch de Senectute hat
c. 12. einen um deſto merckwuͤrdigern Ort davon,
weil er ihn als ein Heide geſchrieben, und man-
chem, der ihn vergebens geleſen, zur Verantwor-
tung hinterlaſſen. „Nim doch nur, ſpricht er,
„du edle Jugend! eines vortreflichen und be-
„ruͤhmten Mannes, des Archytas von Tarento
„ſeine alten Lehren und Vorſtellungen zu Hertzen,
„die man mir, als ich mit dem Q. Maximo zu
„Tarento ſtudirete, beygebracht und mitgegeben
„hat. Die Natur (ſprach er, ſolte fagen das
„natuͤrliche und angeerbte Verderben) hat den
„Menſchen kein toͤdtlicheres Gift und Uebel ein-
„gepflantzt, als die Luſt des Fleiſches, durch de-
„ren geilen Triebe ſie auf die verwegenſte und
„unbaͤndigſte Weiſe zur Ausuͤbung ihrer bren-
„nenden Begierde gereitzet und getrieben wer-
„den. Hieraus entſtehen Verraͤthereyen von
„Land und Leuten, Umſtuͤrtzungen gantzer Re-
„publiquen und Staaten, geheime Verſtaͤndniſ-
„ſe und Briefwechſel mit den Feinden: ja, es
„iſt keine Uebelthat oder irgend ein Laſter zu fin-
„den,
* Lateiniſch heißt es ſo: Accipite, optimi adoleſcentes,
veterem orationem Archytæ Tarentini, magni in
primis et præclari viri, quæ mihi tradita eſt, cum
esſem adoleſcens Tarenti cum Q. Maximo. Nul-
lam capitaliorem peſtem, quam corporis volupta-
tem hominibus dicebat a natura datam, cujus
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Sarganeck, Georg: Ueberzeugende und bewegliche Warnung vor allen Sünden der Unreinigkeit und Heimlichen Unzucht. Züllichau, 1740, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sarganeck_unzucht_1740/96>, abgerufen am 24.11.2024.
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