Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Grundsatz sehen sie zugleich einen Fall der An-
wendung, in jedem Rechtsfall zugleich die Regel,
wodurch er bestimmt wird, und in der Leichtigkeit,
womit sie so vom allgemeinen zum besondern und
vom besondern zum allgemeinen übergehen, ist ihre
Meisterschaft unverkennbar. Und in dieser Methode,
das Recht zu finden und zu weisen, haben sie ihren
eigenthümlichsten Werth, darin den germanischen Schöf-
fen unähnlich, daß ihre Kunst zugleich zu wissen-
schaftlicher Erkenntniß und Mittheilung ausgebildet
ist, doch ohne die Anschaulichkeit und Lebendigkeit
einzubüßen, welche früheren Zeitaltern eigen zu seyn
pflegen.

Diese hohe Bildung der Rechtswissenschaft bey
den Römern im Anfang des dritten Jahrhunderts
christlicher Zeitrechnung ist etwas so merkwürdiges,
daß wir auch die Geschichte derselben in Betracht
ziehen müssen. Es würde sehr irrig seyn, wenn man
dieselbe als die reine Erfindung eines sehr begünstig-
ten Zeitalters, ohne Zusammenhang mit der Vorzeit,
halten wollte. Vielmehr war der Stoff ihrer Wis-
senschaft den Juristen dieser Zeit schon gegeben,
größtentheils noch aus der Zeit der freyen Republik.
Aber nicht blos dieser Stoff, sondern auch jene be-
wundernswürdige Methode selbst hatte ihre Wurzel
in der Zeit der Freyheit. Was nämlich Rom groß
gemacht hat, war der rege, lebendige, politische Sinn,
womit dieses Volk die Formen seiner Verfassung stets

dem Grundſatz ſehen ſie zugleich einen Fall der An-
wendung, in jedem Rechtsfall zugleich die Regel,
wodurch er beſtimmt wird, und in der Leichtigkeit,
womit ſie ſo vom allgemeinen zum beſondern und
vom beſondern zum allgemeinen übergehen, iſt ihre
Meiſterſchaft unverkennbar. Und in dieſer Methode,
das Recht zu finden und zu weiſen, haben ſie ihren
eigenthümlichſten Werth, darin den germaniſchen Schöf-
fen unähnlich, daß ihre Kunſt zugleich zu wiſſen-
ſchaftlicher Erkenntniß und Mittheilung ausgebildet
iſt, doch ohne die Anſchaulichkeit und Lebendigkeit
einzubüßen, welche früheren Zeitaltern eigen zu ſeyn
pflegen.

Dieſe hohe Bildung der Rechtswiſſenſchaft bey
den Römern im Anfang des dritten Jahrhunderts
chriſtlicher Zeitrechnung iſt etwas ſo merkwürdiges,
daß wir auch die Geſchichte derſelben in Betracht
ziehen müſſen. Es würde ſehr irrig ſeyn, wenn man
dieſelbe als die reine Erfindung eines ſehr begünſtig-
ten Zeitalters, ohne Zuſammenhang mit der Vorzeit,
halten wollte. Vielmehr war der Stoff ihrer Wiſ-
ſenſchaft den Juriſten dieſer Zeit ſchon gegeben,
größtentheils noch aus der Zeit der freyen Republik.
Aber nicht blos dieſer Stoff, ſondern auch jene be-
wundernswürdige Methode ſelbſt hatte ihre Wurzel
in der Zeit der Freyheit. Was nämlich Rom groß
gemacht hat, war der rege, lebendige, politiſche Sinn,
womit dieſes Volk die Formen ſeiner Verfaſſung ſtets

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0041" n="31"/>
dem Grund&#x017F;atz &#x017F;ehen &#x017F;ie zugleich einen Fall der An-<lb/>
wendung, in jedem Rechtsfall zugleich die Regel,<lb/>
wodurch er be&#x017F;timmt wird, und in der Leichtigkeit,<lb/>
womit &#x017F;ie &#x017F;o vom allgemeinen zum be&#x017F;ondern und<lb/>
vom be&#x017F;ondern zum allgemeinen übergehen, i&#x017F;t ihre<lb/>
Mei&#x017F;ter&#x017F;chaft unverkennbar. Und in die&#x017F;er Methode,<lb/>
das Recht zu finden und zu wei&#x017F;en, haben &#x017F;ie ihren<lb/>
eigenthümlich&#x017F;ten Werth, darin den germani&#x017F;chen Schöf-<lb/>
fen unähnlich, daß ihre Kun&#x017F;t zugleich zu wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaftlicher Erkenntniß und Mittheilung ausgebildet<lb/>
i&#x017F;t, doch ohne die An&#x017F;chaulichkeit und Lebendigkeit<lb/>
einzubüßen, welche früheren Zeitaltern eigen zu &#x017F;eyn<lb/>
pflegen.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e hohe Bildung der Rechtswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft bey<lb/>
den Römern im Anfang des dritten Jahrhunderts<lb/>
chri&#x017F;tlicher Zeitrechnung i&#x017F;t etwas &#x017F;o merkwürdiges,<lb/>
daß wir auch die Ge&#x017F;chichte der&#x017F;elben in Betracht<lb/>
ziehen mü&#x017F;&#x017F;en. Es würde &#x017F;ehr irrig &#x017F;eyn, wenn man<lb/>
die&#x017F;elbe als die reine Erfindung eines &#x017F;ehr begün&#x017F;tig-<lb/>
ten Zeitalters, ohne Zu&#x017F;ammenhang mit der Vorzeit,<lb/>
halten wollte. Vielmehr war der Stoff ihrer Wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en&#x017F;chaft den Juri&#x017F;ten die&#x017F;er Zeit &#x017F;chon gegeben,<lb/>
größtentheils noch aus der Zeit der freyen Republik.<lb/>
Aber nicht blos die&#x017F;er Stoff, &#x017F;ondern auch jene be-<lb/>
wundernswürdige Methode &#x017F;elb&#x017F;t hatte ihre Wurzel<lb/>
in der Zeit der Freyheit. Was nämlich Rom groß<lb/>
gemacht hat, war der rege, lebendige, politi&#x017F;che Sinn,<lb/>
womit die&#x017F;es Volk die Formen &#x017F;einer Verfa&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;tets<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0041] dem Grundſatz ſehen ſie zugleich einen Fall der An- wendung, in jedem Rechtsfall zugleich die Regel, wodurch er beſtimmt wird, und in der Leichtigkeit, womit ſie ſo vom allgemeinen zum beſondern und vom beſondern zum allgemeinen übergehen, iſt ihre Meiſterſchaft unverkennbar. Und in dieſer Methode, das Recht zu finden und zu weiſen, haben ſie ihren eigenthümlichſten Werth, darin den germaniſchen Schöf- fen unähnlich, daß ihre Kunſt zugleich zu wiſſen- ſchaftlicher Erkenntniß und Mittheilung ausgebildet iſt, doch ohne die Anſchaulichkeit und Lebendigkeit einzubüßen, welche früheren Zeitaltern eigen zu ſeyn pflegen. Dieſe hohe Bildung der Rechtswiſſenſchaft bey den Römern im Anfang des dritten Jahrhunderts chriſtlicher Zeitrechnung iſt etwas ſo merkwürdiges, daß wir auch die Geſchichte derſelben in Betracht ziehen müſſen. Es würde ſehr irrig ſeyn, wenn man dieſelbe als die reine Erfindung eines ſehr begünſtig- ten Zeitalters, ohne Zuſammenhang mit der Vorzeit, halten wollte. Vielmehr war der Stoff ihrer Wiſ- ſenſchaft den Juriſten dieſer Zeit ſchon gegeben, größtentheils noch aus der Zeit der freyen Republik. Aber nicht blos dieſer Stoff, ſondern auch jene be- wundernswürdige Methode ſelbſt hatte ihre Wurzel in der Zeit der Freyheit. Was nämlich Rom groß gemacht hat, war der rege, lebendige, politiſche Sinn, womit dieſes Volk die Formen ſeiner Verfaſſung ſtets

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/41
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/41>, abgerufen am 04.12.2024.