Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.§. 19. Wissenschaftliches Recht. zum größten Nachtheil der Rechtspflege (d). Findet sicheinmal ein eigentlicher Gelehrter auf dem Richterstuhl, so soll diesem damit das Recht nicht abgesprochen werden, seine wohl begründete und geprüfte Überzeugung auch in der Rechtspflege geltend zu machen. -- Woran nun das Daseyn einer solchen wahren und guten Autorität zu erken- nen ist, das läßt sich freylich nicht durch eine äußere, formelle Regel bestimmen. Auf die Zahl der übereinstim- menden Schriftsteller kann es nicht ankommen, noch weni- ger kann bey fortdauerndem Streit an eine Stimmenzäh- lung gedacht werden. Alles hängt vielmehr davon ab, daß diejenigen Rechtslehrer, die im Ruf besonnener und gründlicher Forschung stehen, in einer solchen Meynung übereinstimmen, daß also von Keinem derselben ein schein- bar bedeutender, mit Gründen unterstützter Widerspruch fortdauernd erhoben worden ist. Natürlich wird dieses nur angenommen werden können, wenn die neue Meynung einige Zeit hindurch Gegenstand der öffentlichen Prüfung war, obgleich es Niemand unternehmen wird, dafür eine bestimmte Zahl von Jahren festzustellen. In diesem rela- tiven Sinn also kann selbst eine theoretische Arbeit unter die Rechtsquellen gezählt werden, indem derselben unter jenen Bedingungen eine gewisse wohlbegründete Herrschaft zugeschrieben werden muß. Als Beyspiel mag hier die (d) Über den Werth und das
Wesen der Autorität in der Rechtspflege vrgl. den trefflichen kleinen Aufsatz von Möser, pa- triotische Phantasieen I N. 22. §. 19. Wiſſenſchaftliches Recht. zum größten Nachtheil der Rechtspflege (d). Findet ſicheinmal ein eigentlicher Gelehrter auf dem Richterſtuhl, ſo ſoll dieſem damit das Recht nicht abgeſprochen werden, ſeine wohl begründete und geprüfte Überzeugung auch in der Rechtspflege geltend zu machen. — Woran nun das Daſeyn einer ſolchen wahren und guten Autorität zu erken- nen iſt, das läßt ſich freylich nicht durch eine äußere, formelle Regel beſtimmen. Auf die Zahl der übereinſtim- menden Schriftſteller kann es nicht ankommen, noch weni- ger kann bey fortdauerndem Streit an eine Stimmenzäh- lung gedacht werden. Alles hängt vielmehr davon ab, daß diejenigen Rechtslehrer, die im Ruf beſonnener und gründlicher Forſchung ſtehen, in einer ſolchen Meynung übereinſtimmen, daß alſo von Keinem derſelben ein ſchein- bar bedeutender, mit Gründen unterſtützter Widerſpruch fortdauernd erhoben worden iſt. Natürlich wird dieſes nur angenommen werden können, wenn die neue Meynung einige Zeit hindurch Gegenſtand der öffentlichen Prüfung war, obgleich es Niemand unternehmen wird, dafür eine beſtimmte Zahl von Jahren feſtzuſtellen. In dieſem rela- tiven Sinn alſo kann ſelbſt eine theoretiſche Arbeit unter die Rechtsquellen gezählt werden, indem derſelben unter jenen Bedingungen eine gewiſſe wohlbegründete Herrſchaft zugeſchrieben werden muß. Als Beyſpiel mag hier die (d) Über den Werth und das
Weſen der Autorität in der Rechtspflege vrgl. den trefflichen kleinen Aufſatz von Möſer, pa- triotiſche Phantaſieen I N. 22. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0145" n="89"/><fw place="top" type="header">§. 19. Wiſſenſchaftliches Recht.</fw><lb/> zum größten Nachtheil der Rechtspflege <note place="foot" n="(d)">Über den Werth und das<lb/> Weſen der Autorität in der<lb/> Rechtspflege vrgl. den trefflichen<lb/> kleinen Aufſatz von <hi rendition="#g">Möſer</hi>, pa-<lb/> triotiſche Phantaſieen <hi rendition="#aq">I N.</hi> 22.</note>. Findet ſich<lb/> einmal ein eigentlicher Gelehrter auf dem Richterſtuhl,<lb/> ſo ſoll dieſem damit das Recht nicht abgeſprochen werden,<lb/> ſeine wohl begründete und geprüfte Überzeugung auch in<lb/> der Rechtspflege geltend zu machen. — Woran nun das<lb/> Daſeyn einer ſolchen wahren und guten Autorität zu erken-<lb/> nen iſt, das läßt ſich freylich nicht durch eine äußere,<lb/> formelle Regel beſtimmen. Auf die Zahl der übereinſtim-<lb/> menden Schriftſteller kann es nicht ankommen, noch weni-<lb/> ger kann bey fortdauerndem Streit an eine Stimmenzäh-<lb/> lung gedacht werden. Alles hängt vielmehr davon ab,<lb/> daß diejenigen Rechtslehrer, die im Ruf beſonnener und<lb/> gründlicher Forſchung ſtehen, in einer ſolchen Meynung<lb/> übereinſtimmen, daß alſo von Keinem derſelben ein ſchein-<lb/> bar bedeutender, mit Gründen unterſtützter Widerſpruch<lb/> fortdauernd erhoben worden iſt. Natürlich wird dieſes<lb/> nur angenommen werden können, wenn die neue Meynung<lb/> einige Zeit hindurch Gegenſtand der öffentlichen Prüfung<lb/> war, obgleich es Niemand unternehmen wird, dafür eine<lb/> beſtimmte Zahl von Jahren feſtzuſtellen. In dieſem rela-<lb/> tiven Sinn alſo kann ſelbſt eine theoretiſche Arbeit unter<lb/> die Rechtsquellen gezählt werden, indem derſelben unter<lb/> jenen Bedingungen eine gewiſſe wohlbegründete Herrſchaft<lb/> zugeſchrieben werden muß. Als Beyſpiel mag hier die<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [89/0145]
§. 19. Wiſſenſchaftliches Recht.
zum größten Nachtheil der Rechtspflege (d). Findet ſich
einmal ein eigentlicher Gelehrter auf dem Richterſtuhl,
ſo ſoll dieſem damit das Recht nicht abgeſprochen werden,
ſeine wohl begründete und geprüfte Überzeugung auch in
der Rechtspflege geltend zu machen. — Woran nun das
Daſeyn einer ſolchen wahren und guten Autorität zu erken-
nen iſt, das läßt ſich freylich nicht durch eine äußere,
formelle Regel beſtimmen. Auf die Zahl der übereinſtim-
menden Schriftſteller kann es nicht ankommen, noch weni-
ger kann bey fortdauerndem Streit an eine Stimmenzäh-
lung gedacht werden. Alles hängt vielmehr davon ab,
daß diejenigen Rechtslehrer, die im Ruf beſonnener und
gründlicher Forſchung ſtehen, in einer ſolchen Meynung
übereinſtimmen, daß alſo von Keinem derſelben ein ſchein-
bar bedeutender, mit Gründen unterſtützter Widerſpruch
fortdauernd erhoben worden iſt. Natürlich wird dieſes
nur angenommen werden können, wenn die neue Meynung
einige Zeit hindurch Gegenſtand der öffentlichen Prüfung
war, obgleich es Niemand unternehmen wird, dafür eine
beſtimmte Zahl von Jahren feſtzuſtellen. In dieſem rela-
tiven Sinn alſo kann ſelbſt eine theoretiſche Arbeit unter
die Rechtsquellen gezählt werden, indem derſelben unter
jenen Bedingungen eine gewiſſe wohlbegründete Herrſchaft
zugeſchrieben werden muß. Als Beyſpiel mag hier die
(d) Über den Werth und das
Weſen der Autorität in der
Rechtspflege vrgl. den trefflichen
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