Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 29. Ansichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortsetzung.
verschieden von der allgemeinen Bedingung der necessita-
tis opinio,
sondern als eine bloße Folge oder Entwicklung
derselben. Da auf diesem Punkt die richtige Einsicht in
die Natur des Gewohnheitsrechts hauptsächlich beruht,
so wird es nicht überflüssig seyn, das hier Gesagte durch
einige Beyspiele zu erläutern. Das Römische Recht ver-
bietet, Zinsen von Zinsen zu nehmen. Wenn nun an einem
Ort diese Art des Wuchers sehr gewöhnlich wäre, aber
stets künstlich versteckt würde, so könnte schon deswegen
kein Gewohnheitsrecht angenommen werden, weil aus der
Verheimlichung die Abwesenheit der rechtlichen Überzeu-
gung klar wäre. Dagegen ist es in dem Handelsstand
allgemein üblich, am Ende eines Jahres, zuweilen selbst
eines kürzeren Zeitraums, Abschlüsse zu machen, und den
Saldo auf neue Rechnung zu übertragen, da er dann
sogleich wieder Zinsen trägt, obgleich er selbst zum Theil
aus Zinsen des abgeschlossenen Zeitraums besteht. Das
ist der Regel des Römischen Rechts allerdings entgegen,
aber es geschieht offen und allgemein, und kann gar nicht
anders seyn, ohne die Einfachheit der Rechnungsführung
zu stören: auch paßt der Zweck des Römischen Verbots
auf diesen Fall gar nicht. Hier ist also das Verbot durch
eine allgemeine Gewohnheit des Handelsstandes abgeschafft,
wobey es gar nicht darauf ankommt, wie viele Einzelne
sich von diesem Zusammenhang der Sache Rechenschaft
geben mögen: denn Alle handeln so im Gefühl der Noth-
wendigkeit und Rechtmäßigkeit ihres Verfahrens. -- Fas-

12*

§. 29. Anſichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortſetzung.
verſchieden von der allgemeinen Bedingung der necessita-
tis opinio,
ſondern als eine bloße Folge oder Entwicklung
derſelben. Da auf dieſem Punkt die richtige Einſicht in
die Natur des Gewohnheitsrechts hauptſächlich beruht,
ſo wird es nicht überflüſſig ſeyn, das hier Geſagte durch
einige Beyſpiele zu erläutern. Das Römiſche Recht ver-
bietet, Zinſen von Zinſen zu nehmen. Wenn nun an einem
Ort dieſe Art des Wuchers ſehr gewöhnlich wäre, aber
ſtets künſtlich verſteckt würde, ſo könnte ſchon deswegen
kein Gewohnheitsrecht angenommen werden, weil aus der
Verheimlichung die Abweſenheit der rechtlichen Überzeu-
gung klar wäre. Dagegen iſt es in dem Handelsſtand
allgemein üblich, am Ende eines Jahres, zuweilen ſelbſt
eines kürzeren Zeitraums, Abſchlüſſe zu machen, und den
Saldo auf neue Rechnung zu übertragen, da er dann
ſogleich wieder Zinſen trägt, obgleich er ſelbſt zum Theil
aus Zinſen des abgeſchloſſenen Zeitraums beſteht. Das
iſt der Regel des Römiſchen Rechts allerdings entgegen,
aber es geſchieht offen und allgemein, und kann gar nicht
anders ſeyn, ohne die Einfachheit der Rechnungsführung
zu ſtören: auch paßt der Zweck des Römiſchen Verbots
auf dieſen Fall gar nicht. Hier iſt alſo das Verbot durch
eine allgemeine Gewohnheit des Handelsſtandes abgeſchafft,
wobey es gar nicht darauf ankommt, wie viele Einzelne
ſich von dieſem Zuſammenhang der Sache Rechenſchaft
geben mögen: denn Alle handeln ſo im Gefühl der Noth-
wendigkeit und Rechtmäßigkeit ihres Verfahrens. — Faſ-

12*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0235" n="179"/><fw place="top" type="header">§. 29. An&#x017F;ichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fort&#x017F;etzung.</fw><lb/>
ver&#x017F;chieden von der allgemeinen Bedingung der <hi rendition="#aq">necessita-<lb/>
tis opinio,</hi> &#x017F;ondern als eine bloße Folge oder Entwicklung<lb/>
der&#x017F;elben. Da auf die&#x017F;em Punkt die richtige Ein&#x017F;icht in<lb/>
die Natur des Gewohnheitsrechts haupt&#x017F;ächlich beruht,<lb/>
&#x017F;o wird es nicht überflü&#x017F;&#x017F;ig &#x017F;eyn, das hier Ge&#x017F;agte durch<lb/>
einige Bey&#x017F;piele zu erläutern. Das Römi&#x017F;che Recht ver-<lb/>
bietet, Zin&#x017F;en von Zin&#x017F;en zu nehmen. Wenn nun an einem<lb/>
Ort die&#x017F;e Art des Wuchers &#x017F;ehr gewöhnlich wäre, aber<lb/>
&#x017F;tets kün&#x017F;tlich ver&#x017F;teckt würde, &#x017F;o könnte &#x017F;chon deswegen<lb/>
kein Gewohnheitsrecht angenommen werden, weil aus der<lb/>
Verheimlichung die Abwe&#x017F;enheit der rechtlichen Überzeu-<lb/>
gung klar wäre. Dagegen i&#x017F;t es in dem Handels&#x017F;tand<lb/>
allgemein üblich, am Ende eines Jahres, zuweilen &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
eines kürzeren Zeitraums, Ab&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e zu machen, und den<lb/>
Saldo auf neue Rechnung zu übertragen, da er dann<lb/>
&#x017F;ogleich wieder Zin&#x017F;en trägt, obgleich er &#x017F;elb&#x017F;t zum Theil<lb/>
aus Zin&#x017F;en des abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Zeitraums be&#x017F;teht. Das<lb/>
i&#x017F;t der Regel des Römi&#x017F;chen Rechts allerdings entgegen,<lb/>
aber es ge&#x017F;chieht offen und allgemein, und kann gar nicht<lb/>
anders &#x017F;eyn, ohne die Einfachheit der Rechnungsführung<lb/>
zu &#x017F;tören: auch paßt der Zweck des Römi&#x017F;chen Verbots<lb/>
auf die&#x017F;en Fall gar nicht. Hier i&#x017F;t al&#x017F;o das Verbot durch<lb/>
eine allgemeine Gewohnheit des Handels&#x017F;tandes abge&#x017F;chafft,<lb/>
wobey es gar nicht darauf ankommt, wie viele Einzelne<lb/>
&#x017F;ich von die&#x017F;em Zu&#x017F;ammenhang der Sache Rechen&#x017F;chaft<lb/>
geben mögen: denn Alle handeln &#x017F;o im Gefühl der Noth-<lb/>
wendigkeit und Rechtmäßigkeit ihres Verfahrens. &#x2014; Fa&#x017F;-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">12*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0235] §. 29. Anſichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortſetzung. verſchieden von der allgemeinen Bedingung der necessita- tis opinio, ſondern als eine bloße Folge oder Entwicklung derſelben. Da auf dieſem Punkt die richtige Einſicht in die Natur des Gewohnheitsrechts hauptſächlich beruht, ſo wird es nicht überflüſſig ſeyn, das hier Geſagte durch einige Beyſpiele zu erläutern. Das Römiſche Recht ver- bietet, Zinſen von Zinſen zu nehmen. Wenn nun an einem Ort dieſe Art des Wuchers ſehr gewöhnlich wäre, aber ſtets künſtlich verſteckt würde, ſo könnte ſchon deswegen kein Gewohnheitsrecht angenommen werden, weil aus der Verheimlichung die Abweſenheit der rechtlichen Überzeu- gung klar wäre. Dagegen iſt es in dem Handelsſtand allgemein üblich, am Ende eines Jahres, zuweilen ſelbſt eines kürzeren Zeitraums, Abſchlüſſe zu machen, und den Saldo auf neue Rechnung zu übertragen, da er dann ſogleich wieder Zinſen trägt, obgleich er ſelbſt zum Theil aus Zinſen des abgeſchloſſenen Zeitraums beſteht. Das iſt der Regel des Römiſchen Rechts allerdings entgegen, aber es geſchieht offen und allgemein, und kann gar nicht anders ſeyn, ohne die Einfachheit der Rechnungsführung zu ſtören: auch paßt der Zweck des Römiſchen Verbots auf dieſen Fall gar nicht. Hier iſt alſo das Verbot durch eine allgemeine Gewohnheit des Handelsſtandes abgeſchafft, wobey es gar nicht darauf ankommt, wie viele Einzelne ſich von dieſem Zuſammenhang der Sache Rechenſchaft geben mögen: denn Alle handeln ſo im Gefühl der Noth- wendigkeit und Rechtmäßigkeit ihres Verfahrens. — Faſ- 12*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/235
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/235>, abgerufen am 24.11.2024.