Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.§. 31. Aussprüche der neueren Gesetzbücher über die Rechtsq. brauchs auf die wirkliche Rechtspflege, anderntheils dieArt, wie das neue Recht von dem Richterstand geistig aufgenommen und verarbeitet werden sollte: und zwar nicht wie dieses Verhältniß in den Gesetzbüchern ausdrück- lich bestimmt ist (denn das ist wenig oder Nichts), son- dern wie man dasselbe gedacht, erwartet, vorbereitet hat, und wie es in der That geworden ist. Hierin nun zeigt sich ein merkwürdiger Unterschied (§ 21). In Preußen hatte die ganze Reform keine politische Veranlassung, sondern lediglich den reinen, wohlwollenden Zweck, einen mangel- haften Zustand zu verbessern, und etwas recht Gutes an die Stelle zu setzen. Die fühlbarsten Übel aber hiengen mit dem Zustand der juristischen Literatur zusammen. In dieser fand sich wohl Gelehrsamkeit und Forschungsgeist, also mancher gute Stoff, aber wenig Zusammenhang, und besonders war der praktische Theil der Rechtswissen- schaft hinter der allgemeinen Zeitbildung zurück geblieben, und außer Ansehen gekommen. Daß der Zusammenhang mit dieser Literatur ganz absterbe, schien ein Vortheil, ja nothwendig. Es ist also augenscheinlich, daß bey der ganzen Unternehmung ähnliche Gedanken zum Grund lagen, wie sie einst Justinian hegte (§ 26), nur mit den Unterschieden, die aus dem freyeren und geistigeren Zu- stand unsrer Zeit hervorgehen mußten. Darum wurde zu einer ähnlichen Unterdrückung aller Wissenschaft über- haupt kein Versuch gemacht. Auf der Basis des neuen Gesetzbuchs sollte vielmehr eine neue Rechtswissenschaft §. 31. Ausſprüche der neueren Geſetzbücher über die Rechtsq. brauchs auf die wirkliche Rechtspflege, anderntheils dieArt, wie das neue Recht von dem Richterſtand geiſtig aufgenommen und verarbeitet werden ſollte: und zwar nicht wie dieſes Verhältniß in den Geſetzbüchern ausdrück- lich beſtimmt iſt (denn das iſt wenig oder Nichts), ſon- dern wie man daſſelbe gedacht, erwartet, vorbereitet hat, und wie es in der That geworden iſt. Hierin nun zeigt ſich ein merkwürdiger Unterſchied (§ 21). In Preußen hatte die ganze Reform keine politiſche Veranlaſſung, ſondern lediglich den reinen, wohlwollenden Zweck, einen mangel- haften Zuſtand zu verbeſſern, und etwas recht Gutes an die Stelle zu ſetzen. Die fühlbarſten Übel aber hiengen mit dem Zuſtand der juriſtiſchen Literatur zuſammen. In dieſer fand ſich wohl Gelehrſamkeit und Forſchungsgeiſt, alſo mancher gute Stoff, aber wenig Zuſammenhang, und beſonders war der praktiſche Theil der Rechtswiſſen- ſchaft hinter der allgemeinen Zeitbildung zurück geblieben, und außer Anſehen gekommen. Daß der Zuſammenhang mit dieſer Literatur ganz abſterbe, ſchien ein Vortheil, ja nothwendig. Es iſt alſo augenſcheinlich, daß bey der ganzen Unternehmung ähnliche Gedanken zum Grund lagen, wie ſie einſt Juſtinian hegte (§ 26), nur mit den Unterſchieden, die aus dem freyeren und geiſtigeren Zu- ſtand unſrer Zeit hervorgehen mußten. Darum wurde zu einer ähnlichen Unterdrückung aller Wiſſenſchaft über- haupt kein Verſuch gemacht. Auf der Baſis des neuen Geſetzbuchs ſollte vielmehr eine neue Rechtswiſſenſchaft <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0257" n="201"/><fw place="top" type="header">§. 31. 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§. 31. Ausſprüche der neueren Geſetzbücher über die Rechtsq.
brauchs auf die wirkliche Rechtspflege, anderntheils die
Art, wie das neue Recht von dem Richterſtand geiſtig
aufgenommen und verarbeitet werden ſollte: und zwar
nicht wie dieſes Verhältniß in den Geſetzbüchern ausdrück-
lich beſtimmt iſt (denn das iſt wenig oder Nichts), ſon-
dern wie man daſſelbe gedacht, erwartet, vorbereitet hat,
und wie es in der That geworden iſt. Hierin nun zeigt
ſich ein merkwürdiger Unterſchied (§ 21). In Preußen
hatte die ganze Reform keine politiſche Veranlaſſung, ſondern
lediglich den reinen, wohlwollenden Zweck, einen mangel-
haften Zuſtand zu verbeſſern, und etwas recht Gutes an
die Stelle zu ſetzen. Die fühlbarſten Übel aber hiengen
mit dem Zuſtand der juriſtiſchen Literatur zuſammen. In
dieſer fand ſich wohl Gelehrſamkeit und Forſchungsgeiſt,
alſo mancher gute Stoff, aber wenig Zuſammenhang,
und beſonders war der praktiſche Theil der Rechtswiſſen-
ſchaft hinter der allgemeinen Zeitbildung zurück geblieben,
und außer Anſehen gekommen. Daß der Zuſammenhang
mit dieſer Literatur ganz abſterbe, ſchien ein Vortheil, ja
nothwendig. Es iſt alſo augenſcheinlich, daß bey der
ganzen Unternehmung ähnliche Gedanken zum Grund
lagen, wie ſie einſt Juſtinian hegte (§ 26), nur mit den
Unterſchieden, die aus dem freyeren und geiſtigeren Zu-
ſtand unſrer Zeit hervorgehen mußten. Darum wurde
zu einer ähnlichen Unterdrückung aller Wiſſenſchaft über-
haupt kein Verſuch gemacht. Auf der Baſis des neuen
Geſetzbuchs ſollte vielmehr eine neue Rechtswiſſenſchaft
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