Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.§. 50. Ansichten der Neueren. gung besonders wichtig und nöthig ist, und daß sich beyihnen die Kunst des Auslegers oft besonders glänzend zei- gen kann: auch beschäftigt sich aus diesem Grunde der größere Theil der hier aufgestellten Regeln mit dem Fall mangelhafter Gesetze (§ 35 fg.). Allein zwey Betrach- tungen lassen uns dennoch jene Fassung des Grundbegriffs als zu beschränkt und für die ganze Lehre nachtheilig er- scheinen. Erstens ist eine gründliche und erschöpfende Be- handlung des kranken Zustandes unmöglich, wenn nicht die Betrachtung des gesunden, auf welchen jener zurück geführt werden soll, zum Grunde gelegt wird. Zweytens verschwindet uns durch jene Fassung des Begriffs gerade die edelste und fruchtbarste Anwendung der Auslegung, welche darauf ausgeht, bey nicht mangelhaften, also nicht dunklen Stellen den ganzen Reichthum ihres Inhalts und ihrer Beziehungen zu enthüllen; ein Verfahren, welches besonders bey den Digesten von so großer Wichtigkeit ist. -- Wenn man übrigens diese willkührliche Beschränkung der Auslegung auf dunkle Gesetze zusammenhält mit der oben angeführten Meynung, nach welcher wiederum sehr dunkle Gesetze durch Justinian der Auslegung entzogen seyn sollen (§ 48), so ergiebt sich daraus die sonderbare Folge, daß Gesetze weder zu klar noch zu dunkel seyn dür- fen, daß sie sich vielmehr auf einem schmalen Raume mit- telmäßiger Dunkelheit befinden müssen, um als Gegen- stände der Auslegung gelten zu können. Zweytens gehört dahin die das ganze Gebiet beherr- §. 50. Anſichten der Neueren. gung beſonders wichtig und nöthig iſt, und daß ſich beyihnen die Kunſt des Auslegers oft beſonders glänzend zei- gen kann: auch beſchäftigt ſich aus dieſem Grunde der größere Theil der hier aufgeſtellten Regeln mit dem Fall mangelhafter Geſetze (§ 35 fg.). Allein zwey Betrach- tungen laſſen uns dennoch jene Faſſung des Grundbegriffs als zu beſchränkt und für die ganze Lehre nachtheilig er- ſcheinen. Erſtens iſt eine gründliche und erſchöpfende Be- handlung des kranken Zuſtandes unmöglich, wenn nicht die Betrachtung des geſunden, auf welchen jener zurück geführt werden ſoll, zum Grunde gelegt wird. Zweytens verſchwindet uns durch jene Faſſung des Begriffs gerade die edelſte und fruchtbarſte Anwendung der Auslegung, welche darauf ausgeht, bey nicht mangelhaften, alſo nicht dunklen Stellen den ganzen Reichthum ihres Inhalts und ihrer Beziehungen zu enthüllen; ein Verfahren, welches beſonders bey den Digeſten von ſo großer Wichtigkeit iſt. — Wenn man übrigens dieſe willkührliche Beſchränkung der Auslegung auf dunkle Geſetze zuſammenhält mit der oben angeführten Meynung, nach welcher wiederum ſehr dunkle Geſetze durch Juſtinian der Auslegung entzogen ſeyn ſollen (§ 48), ſo ergiebt ſich daraus die ſonderbare Folge, daß Geſetze weder zu klar noch zu dunkel ſeyn dür- fen, daß ſie ſich vielmehr auf einem ſchmalen Raume mit- telmäßiger Dunkelheit befinden müſſen, um als Gegen- ſtände der Auslegung gelten zu können. Zweytens gehört dahin die das ganze Gebiet beherr- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0375" n="319"/><fw place="top" type="header">§. 50. Anſichten der Neueren.</fw><lb/> gung beſonders wichtig und nöthig iſt, und daß ſich bey<lb/> ihnen die Kunſt des Auslegers oft beſonders glänzend zei-<lb/> gen kann: auch beſchäftigt ſich aus dieſem Grunde der<lb/> größere Theil der hier aufgeſtellten Regeln mit dem Fall<lb/> mangelhafter Geſetze (§ 35 fg.). Allein zwey Betrach-<lb/> tungen laſſen uns dennoch jene Faſſung des Grundbegriffs<lb/> als zu beſchränkt und für die ganze Lehre nachtheilig er-<lb/> ſcheinen. Erſtens iſt eine gründliche und erſchöpfende Be-<lb/> handlung des kranken Zuſtandes unmöglich, wenn nicht<lb/> die Betrachtung des geſunden, auf welchen jener zurück<lb/> geführt werden ſoll, zum Grunde gelegt wird. Zweytens<lb/> verſchwindet uns durch jene Faſſung des Begriffs gerade<lb/> die edelſte und fruchtbarſte Anwendung der Auslegung,<lb/> welche darauf ausgeht, bey nicht mangelhaften, alſo nicht<lb/> dunklen Stellen den ganzen Reichthum ihres Inhalts und<lb/> ihrer Beziehungen zu enthüllen; ein Verfahren, welches<lb/> beſonders bey den Digeſten von ſo großer Wichtigkeit iſt.<lb/> — Wenn man übrigens dieſe willkührliche Beſchränkung<lb/> der Auslegung auf dunkle Geſetze zuſammenhält mit der<lb/> oben angeführten Meynung, nach welcher wiederum ſehr<lb/> dunkle Geſetze durch Juſtinian der Auslegung entzogen<lb/> ſeyn ſollen (§ 48), ſo ergiebt ſich daraus die ſonderbare<lb/> Folge, daß Geſetze weder zu klar noch zu dunkel ſeyn dür-<lb/> fen, daß ſie ſich vielmehr auf einem ſchmalen Raume mit-<lb/> telmäßiger Dunkelheit befinden müſſen, um als Gegen-<lb/> ſtände der Auslegung gelten zu können.</p><lb/> <p>Zweytens gehört dahin die das ganze Gebiet beherr-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [319/0375]
§. 50. Anſichten der Neueren.
gung beſonders wichtig und nöthig iſt, und daß ſich bey
ihnen die Kunſt des Auslegers oft beſonders glänzend zei-
gen kann: auch beſchäftigt ſich aus dieſem Grunde der
größere Theil der hier aufgeſtellten Regeln mit dem Fall
mangelhafter Geſetze (§ 35 fg.). Allein zwey Betrach-
tungen laſſen uns dennoch jene Faſſung des Grundbegriffs
als zu beſchränkt und für die ganze Lehre nachtheilig er-
ſcheinen. Erſtens iſt eine gründliche und erſchöpfende Be-
handlung des kranken Zuſtandes unmöglich, wenn nicht
die Betrachtung des geſunden, auf welchen jener zurück
geführt werden ſoll, zum Grunde gelegt wird. Zweytens
verſchwindet uns durch jene Faſſung des Begriffs gerade
die edelſte und fruchtbarſte Anwendung der Auslegung,
welche darauf ausgeht, bey nicht mangelhaften, alſo nicht
dunklen Stellen den ganzen Reichthum ihres Inhalts und
ihrer Beziehungen zu enthüllen; ein Verfahren, welches
beſonders bey den Digeſten von ſo großer Wichtigkeit iſt.
— Wenn man übrigens dieſe willkührliche Beſchränkung
der Auslegung auf dunkle Geſetze zuſammenhält mit der
oben angeführten Meynung, nach welcher wiederum ſehr
dunkle Geſetze durch Juſtinian der Auslegung entzogen
ſeyn ſollen (§ 48), ſo ergiebt ſich daraus die ſonderbare
Folge, daß Geſetze weder zu klar noch zu dunkel ſeyn dür-
fen, daß ſie ſich vielmehr auf einem ſchmalen Raume mit-
telmäßiger Dunkelheit befinden müſſen, um als Gegen-
ſtände der Auslegung gelten zu können.
Zweytens gehört dahin die das ganze Gebiet beherr-
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