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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. I. Wesen und Arten.
ihre materielle Natur als aus der Person heraustretend
und den Sachen ähnlich betrachtet werden können.

Fassen wir dieses zusammen, so zeigt sich hier ein durch-
gehender Gegensatz gegen das Familienrecht. In beiden
Theilen des Vermögensrechts besteht der Stoff nicht so,
wie bey der Familie, in einem natürlich-sittlichen Ver-
hältniß; sie haben also keine gemischte Natur, sondern
sind vielmehr reine, bloße Rechtsverhältnisse; sie gehören
nicht dem jus naturale an, und die Anerkennung ihres
Daseyns erscheint minder nothwendig, mehr willkührlich
und positiv, als bey den Instituten des Familienrechts.
Auf der anderen Seite kann hier der Zweifel gar nicht
vorkommen, worin ihr wahrer rechtlicher Gehalt bestehe.
Denn da in ihnen eine Erweiterung der individuellen Frey-
heit enthalten seyn soll (§ 53), so ist eben diese Macht,
diese Herrschaft die sie uns gewähren, das was ihnen als
Rechtsinstituten ihren Inhalt giebt.

Gegen die hier aufgestellte Behauptung, daß das Ver-
mögensrecht nicht, so wie das Familienrecht, ein sittliches
Element in sich schließe, könnte man einwenden, daß das
sittliche Gesetz jede Art des menschlichen Handelns zu be-
herrschen habe, und daß also auch die Vermögensverhält-
nisse eine sittliche Grundlage haben müßten. Allerdings
haben sie eine solche, indem der Reiche seinen Reichthum
nur als ein seiner Verwaltung anvertrautes Gut betrach-
ten soll, nur bleibt der Rechtsordnung diese Ansicht völlig
fremd. Der Unterschied liegt also darin, daß das Fami-

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten.
ihre materielle Natur als aus der Perſon heraustretend
und den Sachen ähnlich betrachtet werden können.

Faſſen wir dieſes zuſammen, ſo zeigt ſich hier ein durch-
gehender Gegenſatz gegen das Familienrecht. In beiden
Theilen des Vermögensrechts beſteht der Stoff nicht ſo,
wie bey der Familie, in einem natürlich-ſittlichen Ver-
hältniß; ſie haben alſo keine gemiſchte Natur, ſondern
ſind vielmehr reine, bloße Rechtsverhältniſſe; ſie gehören
nicht dem jus naturale an, und die Anerkennung ihres
Daſeyns erſcheint minder nothwendig, mehr willkührlich
und poſitiv, als bey den Inſtituten des Familienrechts.
Auf der anderen Seite kann hier der Zweifel gar nicht
vorkommen, worin ihr wahrer rechtlicher Gehalt beſtehe.
Denn da in ihnen eine Erweiterung der individuellen Frey-
heit enthalten ſeyn ſoll (§ 53), ſo iſt eben dieſe Macht,
dieſe Herrſchaft die ſie uns gewähren, das was ihnen als
Rechtsinſtituten ihren Inhalt giebt.

Gegen die hier aufgeſtellte Behauptung, daß das Ver-
mögensrecht nicht, ſo wie das Familienrecht, ein ſittliches
Element in ſich ſchließe, könnte man einwenden, daß das
ſittliche Geſetz jede Art des menſchlichen Handelns zu be-
herrſchen habe, und daß alſo auch die Vermögensverhält-
niſſe eine ſittliche Grundlage haben müßten. Allerdings
haben ſie eine ſolche, indem der Reiche ſeinen Reichthum
nur als ein ſeiner Verwaltung anvertrautes Gut betrach-
ten ſoll, nur bleibt der Rechtsordnung dieſe Anſicht völlig
fremd. Der Unterſchied liegt alſo darin, daß das Fami-

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[370/0426] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten. ihre materielle Natur als aus der Perſon heraustretend und den Sachen ähnlich betrachtet werden können. Faſſen wir dieſes zuſammen, ſo zeigt ſich hier ein durch- gehender Gegenſatz gegen das Familienrecht. In beiden Theilen des Vermögensrechts beſteht der Stoff nicht ſo, wie bey der Familie, in einem natürlich-ſittlichen Ver- hältniß; ſie haben alſo keine gemiſchte Natur, ſondern ſind vielmehr reine, bloße Rechtsverhältniſſe; ſie gehören nicht dem jus naturale an, und die Anerkennung ihres Daſeyns erſcheint minder nothwendig, mehr willkührlich und poſitiv, als bey den Inſtituten des Familienrechts. Auf der anderen Seite kann hier der Zweifel gar nicht vorkommen, worin ihr wahrer rechtlicher Gehalt beſtehe. Denn da in ihnen eine Erweiterung der individuellen Frey- heit enthalten ſeyn ſoll (§ 53), ſo iſt eben dieſe Macht, dieſe Herrſchaft die ſie uns gewähren, das was ihnen als Rechtsinſtituten ihren Inhalt giebt. Gegen die hier aufgeſtellte Behauptung, daß das Ver- mögensrecht nicht, ſo wie das Familienrecht, ein ſittliches Element in ſich ſchließe, könnte man einwenden, daß das ſittliche Geſetz jede Art des menſchlichen Handelns zu be- herrſchen habe, und daß alſo auch die Vermögensverhält- niſſe eine ſittliche Grundlage haben müßten. Allerdings haben ſie eine ſolche, indem der Reiche ſeinen Reichthum nur als ein ſeiner Verwaltung anvertrautes Gut betrach- ten ſoll, nur bleibt der Rechtsordnung dieſe Anſicht völlig fremd. Der Unterſchied liegt alſo darin, daß das Fami-

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/426>, abgerufen am 26.11.2024.