Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
ten hin zu entdecken und zu verfolgen, desto vollständi-
ger wird unsre Einsicht werden. Endlich giebt es auch
nicht selten einen täuschenden Schein von Verwandt-
schaft, wo eine solche in der That nicht vorhanden ist,
und dann besteht unsre Aufgabe in der Vernichtung die-
ses Scheins. -- Natürlich wird auch die äußere Anord-
nung eines systematischen Werks durch jenen inneren
Zusammenhang, der sich in ihr abzuspiegeln hat, be-
stimmt werden, und nicht selten ist es diese allein, woran
man zu denken pflegt, wenn von systematischer Behand-
lung die Rede ist. Dabey ist jedoch gegen manche Mis-
verständnisse zu warnen. In der reichen, lebendigen
Wirklichkeit bilden alle Rechtsverhältnisse Ein organi-
sches Ganze, wir aber sind genöthigt, ihre Bestandtheile
zu vereinzeln, um sie successiv in unser Bewußtseyn auf-
zunehmen und Anderen mitzutheilen. Die Ordnung,
in die wir sie stellen, kann also nur durch diejenige Ver-
wandtschaft bestimmt werden, die wir gerade als die
überwiegende erkennen, und jede andere in der Wirk-
lichkeit vorhandene Verwandtschaft kann nur in abge-
sonderter Darstellung daneben bemerklich gemacht wer-
den. Hierin nun ist eine gewisse Duldsamkeit zu for-
dern, ja selbst einiger Spielraum für den subjectiven
Bildungsgang des Schriftstellers, der ihn vielleicht be-

Vorrede.
ten hin zu entdecken und zu verfolgen, deſto vollſtändi-
ger wird unſre Einſicht werden. Endlich giebt es auch
nicht ſelten einen täuſchenden Schein von Verwandt-
ſchaft, wo eine ſolche in der That nicht vorhanden iſt,
und dann beſteht unſre Aufgabe in der Vernichtung die-
ſes Scheins. — Natürlich wird auch die äußere Anord-
nung eines ſyſtematiſchen Werks durch jenen inneren
Zuſammenhang, der ſich in ihr abzuſpiegeln hat, be-
ſtimmt werden, und nicht ſelten iſt es dieſe allein, woran
man zu denken pflegt, wenn von ſyſtematiſcher Behand-
lung die Rede iſt. Dabey iſt jedoch gegen manche Mis-
verſtändniſſe zu warnen. In der reichen, lebendigen
Wirklichkeit bilden alle Rechtsverhältniſſe Ein organi-
ſches Ganze, wir aber ſind genöthigt, ihre Beſtandtheile
zu vereinzeln, um ſie ſucceſſiv in unſer Bewußtſeyn auf-
zunehmen und Anderen mitzutheilen. Die Ordnung,
in die wir ſie ſtellen, kann alſo nur durch diejenige Ver-
wandtſchaft beſtimmt werden, die wir gerade als die
überwiegende erkennen, und jede andere in der Wirk-
lichkeit vorhandene Verwandtſchaft kann nur in abge-
ſonderter Darſtellung daneben bemerklich gemacht wer-
den. Hierin nun iſt eine gewiſſe Duldſamkeit zu for-
dern, ja ſelbſt einiger Spielraum für den ſubjectiven
Bildungsgang des Schriftſtellers, der ihn vielleicht be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0043" n="XXXVII"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vorrede</hi>.</fw><lb/>
ten hin zu entdecken und zu verfolgen, de&#x017F;to voll&#x017F;tändi-<lb/>
ger wird un&#x017F;re Ein&#x017F;icht werden. Endlich giebt es auch<lb/>
nicht &#x017F;elten einen täu&#x017F;chenden Schein von Verwandt-<lb/>
&#x017F;chaft, wo eine &#x017F;olche in der That nicht vorhanden i&#x017F;t,<lb/>
und dann be&#x017F;teht un&#x017F;re Aufgabe in der Vernichtung die-<lb/>
&#x017F;es Scheins. &#x2014; Natürlich wird auch die äußere Anord-<lb/>
nung eines &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen Werks durch jenen inneren<lb/>
Zu&#x017F;ammenhang, der &#x017F;ich in ihr abzu&#x017F;piegeln hat, be-<lb/>
&#x017F;timmt werden, und nicht &#x017F;elten i&#x017F;t es die&#x017F;e allein, woran<lb/>
man zu denken pflegt, wenn von &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;cher Behand-<lb/>
lung die Rede i&#x017F;t. Dabey i&#x017F;t jedoch gegen manche Mis-<lb/>
ver&#x017F;tändni&#x017F;&#x017F;e zu warnen. In der reichen, lebendigen<lb/>
Wirklichkeit bilden alle Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;e Ein organi-<lb/>
&#x017F;ches Ganze, wir aber &#x017F;ind genöthigt, ihre Be&#x017F;tandtheile<lb/>
zu vereinzeln, um &#x017F;ie &#x017F;ucce&#x017F;&#x017F;iv in un&#x017F;er Bewußt&#x017F;eyn auf-<lb/>
zunehmen und Anderen mitzutheilen. Die Ordnung,<lb/>
in die wir &#x017F;ie &#x017F;tellen, kann al&#x017F;o nur durch diejenige Ver-<lb/>
wandt&#x017F;chaft be&#x017F;timmt werden, die wir gerade als die<lb/>
überwiegende erkennen, und jede andere in der Wirk-<lb/>
lichkeit vorhandene Verwandt&#x017F;chaft kann nur in abge-<lb/>
&#x017F;onderter Dar&#x017F;tellung daneben bemerklich gemacht wer-<lb/>
den. Hierin nun i&#x017F;t eine gewi&#x017F;&#x017F;e Duld&#x017F;amkeit zu for-<lb/>
dern, ja &#x017F;elb&#x017F;t einiger Spielraum für den &#x017F;ubjectiven<lb/>
Bildungsgang des Schrift&#x017F;tellers, der ihn vielleicht be-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[XXXVII/0043] Vorrede. ten hin zu entdecken und zu verfolgen, deſto vollſtändi- ger wird unſre Einſicht werden. Endlich giebt es auch nicht ſelten einen täuſchenden Schein von Verwandt- ſchaft, wo eine ſolche in der That nicht vorhanden iſt, und dann beſteht unſre Aufgabe in der Vernichtung die- ſes Scheins. — Natürlich wird auch die äußere Anord- nung eines ſyſtematiſchen Werks durch jenen inneren Zuſammenhang, der ſich in ihr abzuſpiegeln hat, be- ſtimmt werden, und nicht ſelten iſt es dieſe allein, woran man zu denken pflegt, wenn von ſyſtematiſcher Behand- lung die Rede iſt. Dabey iſt jedoch gegen manche Mis- verſtändniſſe zu warnen. In der reichen, lebendigen Wirklichkeit bilden alle Rechtsverhältniſſe Ein organi- ſches Ganze, wir aber ſind genöthigt, ihre Beſtandtheile zu vereinzeln, um ſie ſucceſſiv in unſer Bewußtſeyn auf- zunehmen und Anderen mitzutheilen. Die Ordnung, in die wir ſie ſtellen, kann alſo nur durch diejenige Ver- wandtſchaft beſtimmt werden, die wir gerade als die überwiegende erkennen, und jede andere in der Wirk- lichkeit vorhandene Verwandtſchaft kann nur in abge- ſonderter Darſtellung daneben bemerklich gemacht wer- den. Hierin nun iſt eine gewiſſe Duldſamkeit zu for- dern, ja ſelbſt einiger Spielraum für den ſubjectiven Bildungsgang des Schriftſtellers, der ihn vielleicht be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/43
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. XXXVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/43>, abgerufen am 03.12.2024.