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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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§. 11. Völkerrecht.
seinen früheren Verhältnissen inwohnt, auf ihre zufällige
Nähe anwenden, und sich so durch Willkühr einen Rechts-
zustand einrichten, der unfehlbar mehr oder weniger ein
nachgeahmter, also übertragener, seyn wird. Eben so kön-
nen mehrere unabhängige Staaten das, was einem Jeden
als Recht inwohnt, auf ihr gegenseitiges Verhältniß will-
kührlich anwenden, so weit es dahin paßt, und so weit sie
es vortheilhaft finden: allein auf diesem Wege entsteht
noch kein Recht. Indessen kann auch unter verschiedenen
Völkern eine ähnliche Gemeinschaft des Rechtsbewußtseyns
entstehen, wie sie in Einem Volk das positive Recht er-
zeugt. Die Grundlage dieser geistigen Gemeinschaft wird
theils in einer Stammesverwandtschaft bestehen, theils und
vorzüglich in gemeinsamen religiösen Überzeugungen. Dar-
auf gründet sich das Völkerrecht, welches namentlich
unter den christlich-Europäischen Staaten besteht, aber
auch den alten Völkern nicht fremd war, wie es z. B. bey
den Römern als jus feciale vorkommt. Auch dieses dürfen
wir als positives Recht betrachten, jedoch aus zwey Gründen
nur als eine unvollendete Rechtsbildung: erstlich wegen der
Unvollständigkeit eines irgend sicheren Inhalts, und zweytens,
weil ihm diejenige reale Grundlage fehlt, die dem Recht
der einzelnen Glieder desselben Volks in der Staatsgewalt,
und namentlich in dem Richteramt, gegeben ist (§ 9).

Indessen führt die fortschreitende sittliche Bildung, wie
sie das Christenthum begründet, jedes Volk dahin, ein
Analogon jenes positiven Völkerrechts selbst auf solche

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§. 11. Völkerrecht.
ſeinen früheren Verhältniſſen inwohnt, auf ihre zufällige
Nähe anwenden, und ſich ſo durch Willkühr einen Rechts-
zuſtand einrichten, der unfehlbar mehr oder weniger ein
nachgeahmter, alſo übertragener, ſeyn wird. Eben ſo kön-
nen mehrere unabhängige Staaten das, was einem Jeden
als Recht inwohnt, auf ihr gegenſeitiges Verhältniß will-
kührlich anwenden, ſo weit es dahin paßt, und ſo weit ſie
es vortheilhaft finden: allein auf dieſem Wege entſteht
noch kein Recht. Indeſſen kann auch unter verſchiedenen
Völkern eine ähnliche Gemeinſchaft des Rechtsbewußtſeyns
entſtehen, wie ſie in Einem Volk das poſitive Recht er-
zeugt. Die Grundlage dieſer geiſtigen Gemeinſchaft wird
theils in einer Stammesverwandtſchaft beſtehen, theils und
vorzüglich in gemeinſamen religiöſen Überzeugungen. Dar-
auf gründet ſich das Völkerrecht, welches namentlich
unter den chriſtlich-Europäiſchen Staaten beſteht, aber
auch den alten Völkern nicht fremd war, wie es z. B. bey
den Römern als jus feciale vorkommt. Auch dieſes dürfen
wir als poſitives Recht betrachten, jedoch aus zwey Gründen
nur als eine unvollendete Rechtsbildung: erſtlich wegen der
Unvollſtändigkeit eines irgend ſicheren Inhalts, und zweytens,
weil ihm diejenige reale Grundlage fehlt, die dem Recht
der einzelnen Glieder deſſelben Volks in der Staatsgewalt,
und namentlich in dem Richteramt, gegeben iſt (§ 9).

Indeſſen führt die fortſchreitende ſittliche Bildung, wie
ſie das Chriſtenthum begründet, jedes Volk dahin, ein
Analogon jenes poſitiven Völkerrechts ſelbſt auf ſolche

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[33/0089] §. 11. Völkerrecht. ſeinen früheren Verhältniſſen inwohnt, auf ihre zufällige Nähe anwenden, und ſich ſo durch Willkühr einen Rechts- zuſtand einrichten, der unfehlbar mehr oder weniger ein nachgeahmter, alſo übertragener, ſeyn wird. Eben ſo kön- nen mehrere unabhängige Staaten das, was einem Jeden als Recht inwohnt, auf ihr gegenſeitiges Verhältniß will- kührlich anwenden, ſo weit es dahin paßt, und ſo weit ſie es vortheilhaft finden: allein auf dieſem Wege entſteht noch kein Recht. Indeſſen kann auch unter verſchiedenen Völkern eine ähnliche Gemeinſchaft des Rechtsbewußtſeyns entſtehen, wie ſie in Einem Volk das poſitive Recht er- zeugt. Die Grundlage dieſer geiſtigen Gemeinſchaft wird theils in einer Stammesverwandtſchaft beſtehen, theils und vorzüglich in gemeinſamen religiöſen Überzeugungen. Dar- auf gründet ſich das Völkerrecht, welches namentlich unter den chriſtlich-Europäiſchen Staaten beſteht, aber auch den alten Völkern nicht fremd war, wie es z. B. bey den Römern als jus feciale vorkommt. Auch dieſes dürfen wir als poſitives Recht betrachten, jedoch aus zwey Gründen nur als eine unvollendete Rechtsbildung: erſtlich wegen der Unvollſtändigkeit eines irgend ſicheren Inhalts, und zweytens, weil ihm diejenige reale Grundlage fehlt, die dem Recht der einzelnen Glieder deſſelben Volks in der Staatsgewalt, und namentlich in dem Richteramt, gegeben iſt (§ 9). Indeſſen führt die fortſchreitende ſittliche Bildung, wie ſie das Chriſtenthum begründet, jedes Volk dahin, ein Analogon jenes poſitiven Völkerrechts ſelbſt auf ſolche 3

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/89>, abgerufen am 21.11.2024.