Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.§. 61. Anfang der Rechtsfähigkeit. eine künstliche, gewaltsam bewirkte Geburt von der na-türlichen juristisch nicht unterschieden (e). Sogar hatte deshalb ein Gesetz der alten Könige ausdrücklich vorge- schrieben, daß nach dem Tod einer schwangeren Frau der Leichnam geöffnet werden sollte, um wo möglich das Le- ben des Kindes zu retten (f). (e) Für das Recht des so ge- bornen Kindes ist das ganz un- zweifelhaft. L. 12 pr. de liberis (28. 2.). "Quod dicitur filium natum rumpere testamentum, natum accipe etsi exsecto ven- tre editus sit: nam et hic rum- pit testamentum, scilicet si na- scatur in potestate." L. 6 pr. de inoff. (5. 2.). L. 1 § 5 ad Sc. Tertull. (38. 17.). -- Aber wird dieses Kind auch zum Vor- theil der Mutter angerechnet? Ulpian bejaht die Frage. L. 141 de V. S. (50. 16.). "Etiam ea mulier, cum moreretur, credi- tur filium habere, quae exciso utero edere possit." Paulus verneint sie. L. 132 § 1 de V. S.. "Falsum est eam peperisse, cui mortuae filius exsectus est." Wahrscheinlich sprach Ulpian von der Anwendung von Strafen, z. B. wenn die Mutter zweyer Kinder eine Testamentserbschaft antrat, und nach ihrem Tode wurde das dritte Kind durch Öffnung des Leichnams zur Welt gebracht, so galt sie als Mutter dreyer Kin- der, und ihre Antretung war nun gültig. Paulus dagegen sprach von einem Fall der Belohnung, z. B. die Latina, die bey ihrem Tode erst zwey Kinder hatte, sollte nicht durch das nach ihrem Tod geborne in die Lage kommen, als hätte sie durch drey Kinder die Civität erworben; sie sollte also keine Erben hinterlassen können. Gezwungener, aber doch nicht völlig verwerflich, scheint mir die Combination der L. 141 cit. mit L. 51 § 1 de leg. 2 (31 un.) und L. 61 de cond. (35. 1.). -- Vgl. überhaupt Schulting, notae ad Digesta, in L. 141 cit. -- Bey der Erklärung der hier angeführ- ten und ähnlicher Pandektenstel- len hat man ungebührliches Ge- wicht auf den Umstand gelegt, daß dieselben aus einem Commentar über die Lex Julia herrührten, und deshalb stets annehmen wol- len, sie müßten von einem in die- sem Volksschluß erwähnten Fall reden, den man dann auszumit- teln suchte. Das ist aus zwey Gründen verwerflich; erstens, weil unsre Kenntniß von dem Inhalt der Lex Julia sehr mangelhaft ist, zweytens weil der alte Com- mentator sehr wohl neben einer Regel der Lex Julia auch andere, verwandte Fälle erörtern konnte. (f) L. 2 de mortuo infer.
(11. 8.). §. 61. Anfang der Rechtsfähigkeit. eine künſtliche, gewaltſam bewirkte Geburt von der na-türlichen juriſtiſch nicht unterſchieden (e). Sogar hatte deshalb ein Geſetz der alten Könige ausdrücklich vorge- ſchrieben, daß nach dem Tod einer ſchwangeren Frau der Leichnam geöffnet werden ſollte, um wo möglich das Le- ben des Kindes zu retten (f). (e) Für das Recht des ſo ge- bornen Kindes iſt das ganz un- zweifelhaft. L. 12 pr. de liberis (28. 2.). „Quod dicitur filium natum rumpere testamentum, natum accipe etsi exsecto ven- tre editus sit: nam et hic rum- pit testamentum, scilicet si na- scatur in potestate.” L. 6 pr. de inoff. (5. 2.). L. 1 § 5 ad Sc. Tertull. (38. 17.). — Aber wird dieſes Kind auch zum Vor- theil der Mutter angerechnet? Ulpian bejaht die Frage. L. 141 de V. S. (50. 16.). „Etiam ea mulier, cum moreretur, credi- tur filium habere, quae exciso utero edere possit.” Paulus verneint ſie. L. 132 § 1 de V. S.. „Falsum est eam peperisse, cui mortuae filius exsectus est.” Wahrſcheinlich ſprach Ulpian von der Anwendung von Strafen, z. B. wenn die Mutter zweyer Kinder eine Teſtamentserbſchaft antrat, und nach ihrem Tode wurde das dritte Kind durch Öffnung des Leichnams zur Welt gebracht, ſo galt ſie als Mutter dreyer Kin- der, und ihre Antretung war nun gültig. Paulus dagegen ſprach von einem Fall der Belohnung, z. B. die Latina, die bey ihrem Tode erſt zwey Kinder hatte, ſollte nicht durch das nach ihrem Tod geborne in die Lage kommen, als hätte ſie durch drey Kinder die Civität erworben; ſie ſollte alſo keine Erben hinterlaſſen können. Gezwungener, aber doch nicht völlig verwerflich, ſcheint mir die Combination der L. 141 cit. mit L. 51 § 1 de leg. 2 (31 un.) und L. 61 de cond. (35. 1.). — Vgl. überhaupt Schulting, notae ad Digesta, in L. 141 cit. — Bey der Erklärung der hier angeführ- ten und ähnlicher Pandektenſtel- len hat man ungebührliches Ge- wicht auf den Umſtand gelegt, daß dieſelben aus einem Commentar über die Lex Julia herrührten, und deshalb ſtets annehmen wol- len, ſie müßten von einem in die- ſem Volksſchluß erwähnten Fall reden, den man dann auszumit- teln ſuchte. Das iſt aus zwey Gründen verwerflich; erſtens, weil unſre Kenntniß von dem Inhalt der Lex Julia ſehr mangelhaft iſt, zweytens weil der alte Com- mentator ſehr wohl neben einer Regel der Lex Julia auch andere, verwandte Fälle erörtern konnte. (f) L. 2 de mortuo infer.
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türlichen juriſtiſch nicht unterſchieden (e). Sogar hatte
deshalb ein Geſetz der alten Könige ausdrücklich vorge-
ſchrieben, daß nach dem Tod einer ſchwangeren Frau der
Leichnam geöffnet werden ſollte, um wo möglich das Le-
ben des Kindes zu retten (f).
(e) Für das Recht des ſo ge-
bornen Kindes iſt das ganz un-
zweifelhaft. L. 12 pr. de liberis
(28. 2.). „Quod dicitur filium
natum rumpere testamentum,
natum accipe etsi exsecto ven-
tre editus sit: nam et hic rum-
pit testamentum, scilicet si na-
scatur in potestate.” L. 6 pr.
de inoff. (5. 2.). L. 1 § 5 ad
Sc. Tertull. (38. 17.). — Aber
wird dieſes Kind auch zum Vor-
theil der Mutter angerechnet?
Ulpian bejaht die Frage. L. 141
de V. S. (50. 16.). „Etiam ea
mulier, cum moreretur, credi-
tur filium habere, quae exciso
utero edere possit.” Paulus
verneint ſie. L. 132 § 1 de V.
S.. „Falsum est eam peperisse,
cui mortuae filius exsectus est.”
Wahrſcheinlich ſprach Ulpian von
der Anwendung von Strafen, z. B.
wenn die Mutter zweyer Kinder
eine Teſtamentserbſchaft antrat,
und nach ihrem Tode wurde das
dritte Kind durch Öffnung des
Leichnams zur Welt gebracht, ſo
galt ſie als Mutter dreyer Kin-
der, und ihre Antretung war nun
gültig. Paulus dagegen ſprach
von einem Fall der Belohnung,
z. B. die Latina, die bey ihrem
Tode erſt zwey Kinder hatte, ſollte
nicht durch das nach ihrem Tod
geborne in die Lage kommen, als
hätte ſie durch drey Kinder die
Civität erworben; ſie ſollte alſo
keine Erben hinterlaſſen können.
Gezwungener, aber doch nicht
völlig verwerflich, ſcheint mir die
Combination der L. 141 cit. mit
L. 51 § 1 de leg. 2 (31 un.) und
L. 61 de cond. (35. 1.). — Vgl.
überhaupt Schulting, notae ad
Digesta, in L. 141 cit. — Bey
der Erklärung der hier angeführ-
ten und ähnlicher Pandektenſtel-
len hat man ungebührliches Ge-
wicht auf den Umſtand gelegt, daß
dieſelben aus einem Commentar
über die Lex Julia herrührten,
und deshalb ſtets annehmen wol-
len, ſie müßten von einem in die-
ſem Volksſchluß erwähnten Fall
reden, den man dann auszumit-
teln ſuchte. Das iſt aus zwey
Gründen verwerflich; erſtens, weil
unſre Kenntniß von dem Inhalt
der Lex Julia ſehr mangelhaft
iſt, zweytens weil der alte Com-
mentator ſehr wohl neben einer
Regel der Lex Julia auch andere,
verwandte Fälle erörtern konnte.
(f) L. 2 de mortuo infer.
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