Welche Bedeutung hatte aber das Eheverbot der Lex Julia, oder was nun dasselbe sagt: welche praktische Fol- gen hatte für Frauen die Infamie?
Nach Ulpians Ausdruck: prohibentur, womit auch die Ausdrücke des Gesetzes selbst übereinstimmen (a), möchte man erwarten, es sey für alle diese Fälle das Connubium aufgehoben worden, das heißt eine gegen das Verbot un- ternommene Ehe sey nichtig gewesen, gerade so wie von jeher die Ehe zwischen Bruder und Schwester nichtig war. Oder sollte man etwa annehmen, das Gesetz habe die Ehe zwar bestehen lassen mit allen nach dem früheren Recht daran geknüpften Wirkungen, und ihr nur die Vorzüge entzogen, die eben dieses Gesetz selbst an das Daseyn der Ehe, verglichen mit dem ehelosen Zustand, knüpfte? Eine solche Unterscheidung scheint fast zu subtil: und dennoch sind wir genöthigt, sie als wahr anzunehmen. Die Ehe selbst war also rechtsbeständig, und die in derselben er- zeugten Kinder standen in väterlicher Gewalt; allein in Beziehung auf die Bedingungen der Capacität galten diese Ehegatten als ehelos, so daß jeder derselben unfähig war, durch das Testament des andern Ehegatten oder eines Drit- ten irgend etwas zu erwerben. Darüber, ob das Daseyn
(a)L. 44 pr. de ritu nupt. (23. 2.) "ne quis eorum spon- sam uxoremve .. habeto," dann: "neve Senatoris filia ... sponsa nuptave esto," endlich: "neve quis eorum .. sponsam uxo- remve eam habeto."
Beylage VII.
III.
Welche Bedeutung hatte aber das Eheverbot der Lex Julia, oder was nun daſſelbe ſagt: welche praktiſche Fol- gen hatte für Frauen die Infamie?
Nach Ulpians Ausdruck: prohibentur, womit auch die Ausdrücke des Geſetzes ſelbſt übereinſtimmen (a), möchte man erwarten, es ſey für alle dieſe Fälle das Connubium aufgehoben worden, das heißt eine gegen das Verbot un- ternommene Ehe ſey nichtig geweſen, gerade ſo wie von jeher die Ehe zwiſchen Bruder und Schweſter nichtig war. Oder ſollte man etwa annehmen, das Geſetz habe die Ehe zwar beſtehen laſſen mit allen nach dem früheren Recht daran geknüpften Wirkungen, und ihr nur die Vorzüge entzogen, die eben dieſes Geſetz ſelbſt an das Daſeyn der Ehe, verglichen mit dem eheloſen Zuſtand, knüpfte? Eine ſolche Unterſcheidung ſcheint faſt zu ſubtil: und dennoch ſind wir genöthigt, ſie als wahr anzunehmen. Die Ehe ſelbſt war alſo rechtsbeſtändig, und die in derſelben er- zeugten Kinder ſtanden in väterlicher Gewalt; allein in Beziehung auf die Bedingungen der Capacität galten dieſe Ehegatten als ehelos, ſo daß jeder derſelben unfähig war, durch das Teſtament des andern Ehegatten oder eines Drit- ten irgend etwas zu erwerben. Darüber, ob das Daſeyn
(a)L. 44 pr. de ritu nupt. (23. 2.) „ne quis eorum spon- sam uxoremve .. habeto,” dann: „neve Senatoris filia … sponsa nuptave esto,” endlich: „neve quis eorum .. sponsam uxo- remve eam habeto.”
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0536"n="522"/><fwplace="top"type="header">Beylage <hirendition="#aq">VII.</hi></fw><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">III.</hi></hi></head><lb/><p>Welche Bedeutung hatte aber das Eheverbot der <hirendition="#aq">Lex<lb/>
Julia,</hi> oder was nun daſſelbe ſagt: welche praktiſche Fol-<lb/>
gen hatte für Frauen die Infamie?</p><lb/><p>Nach Ulpians Ausdruck: <hirendition="#aq">prohibentur,</hi> womit auch die<lb/>
Ausdrücke des Geſetzes ſelbſt übereinſtimmen <noteplace="foot"n="(a)"><hirendition="#aq"><hirendition="#i">L.</hi> 44 <hirendition="#i">pr. de ritu nupt.</hi><lb/>
(23. 2.) „ne quis eorum spon-<lb/>
sam uxoremve .. habeto,”</hi> dann:<lb/><hirendition="#aq">„neve Senatoris filia … sponsa<lb/>
nuptave esto,”</hi> endlich: <hirendition="#aq">„neve<lb/>
quis eorum .. sponsam uxo-<lb/>
remve eam habeto.”</hi></note>, möchte<lb/>
man erwarten, es ſey für alle dieſe Fälle das Connubium<lb/>
aufgehoben worden, das heißt eine gegen das Verbot un-<lb/>
ternommene Ehe ſey nichtig geweſen, gerade ſo wie von<lb/>
jeher die Ehe zwiſchen Bruder und Schweſter nichtig war.<lb/>
Oder ſollte man etwa annehmen, das Geſetz habe die Ehe<lb/>
zwar beſtehen laſſen mit allen nach dem früheren Recht<lb/>
daran geknüpften Wirkungen, und ihr nur die Vorzüge<lb/>
entzogen, die eben dieſes Geſetz ſelbſt an das Daſeyn der<lb/>
Ehe, verglichen mit dem eheloſen Zuſtand, knüpfte? Eine<lb/>ſolche Unterſcheidung ſcheint faſt zu ſubtil: und dennoch<lb/>ſind wir genöthigt, ſie als wahr anzunehmen. Die Ehe<lb/>ſelbſt war alſo rechtsbeſtändig, und die in derſelben er-<lb/>
zeugten Kinder ſtanden in väterlicher Gewalt; allein in<lb/>
Beziehung auf die Bedingungen der Capacität galten dieſe<lb/>
Ehegatten als ehelos, ſo daß jeder derſelben unfähig war,<lb/>
durch das Teſtament des andern Ehegatten oder eines Drit-<lb/>
ten irgend etwas zu erwerben. Darüber, ob das Daſeyn<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[522/0536]
Beylage VII.
III.
Welche Bedeutung hatte aber das Eheverbot der Lex
Julia, oder was nun daſſelbe ſagt: welche praktiſche Fol-
gen hatte für Frauen die Infamie?
Nach Ulpians Ausdruck: prohibentur, womit auch die
Ausdrücke des Geſetzes ſelbſt übereinſtimmen (a), möchte
man erwarten, es ſey für alle dieſe Fälle das Connubium
aufgehoben worden, das heißt eine gegen das Verbot un-
ternommene Ehe ſey nichtig geweſen, gerade ſo wie von
jeher die Ehe zwiſchen Bruder und Schweſter nichtig war.
Oder ſollte man etwa annehmen, das Geſetz habe die Ehe
zwar beſtehen laſſen mit allen nach dem früheren Recht
daran geknüpften Wirkungen, und ihr nur die Vorzüge
entzogen, die eben dieſes Geſetz ſelbſt an das Daſeyn der
Ehe, verglichen mit dem eheloſen Zuſtand, knüpfte? Eine
ſolche Unterſcheidung ſcheint faſt zu ſubtil: und dennoch
ſind wir genöthigt, ſie als wahr anzunehmen. Die Ehe
ſelbſt war alſo rechtsbeſtändig, und die in derſelben er-
zeugten Kinder ſtanden in väterlicher Gewalt; allein in
Beziehung auf die Bedingungen der Capacität galten dieſe
Ehegatten als ehelos, ſo daß jeder derſelben unfähig war,
durch das Teſtament des andern Ehegatten oder eines Drit-
ten irgend etwas zu erwerben. Darüber, ob das Daſeyn
(a) L. 44 pr. de ritu nupt.
(23. 2.) „ne quis eorum spon-
sam uxoremve .. habeto,” dann:
„neve Senatoris filia … sponsa
nuptave esto,” endlich: „neve
quis eorum .. sponsam uxo-
remve eam habeto.”
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/536>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.