Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.§. 136. Erklärung ohne Willen. Unabsichtliche. (Fortsetzung.) geringste unter den beiden Quantitäten, woran die Par-teyen dachten, weil über diese Quantität Übereinstimmung des Willens wirklich vorhanden ist (s). Im zweyten Fall muß unterschieden werden, ob Derjenige, welcher die zwei- felhafte Quantität leisten soll, mehr oder weniger als der Gegner in Gedanken hat; denkt er an mehr, so gilt wie- der der Vertrag auf die geringere Quantität; denkt er an weniger, so ist gar kein Vertrag vorhanden (t). -- Mit diesen Fällen wirklicher Misverständnisse über Quantitäten darf folgender Fall nicht verwechselt werden. Wenn Je- mand ein Legat so angiebt: "Zehen Thaler, die in mei- ner Kasse vorräthig seyn werden zur Zeit meines Todes," so erhält der Legatar nie mehr als Zehen, vielleicht aber weniger oder auch gar Nichts, wenn sich keine Zehen in der Kasse finden. Dasselbe soll auch gelten bey Stipula- (s) L. 1 § 4 de V. O. (45. 1.). Nämlich wer Zwanzig anbietet, hat eigentlich Zehen und Zehen angeboten; nimmt also der Geg- ner Zehen an, weil er nur diese für angeboten hält, so ist für Ze- hen ein wahrer Consens, also Ver- trag, vorhanden, für die anderen Zehen ist kein Vertrag geschlossen. Eben so im umgekehrten Fall. (t) L. 52 locati (19. 2.). "Si decem tibi locem fundum, tu autem existimes quinque te conducere, nihil agitur. Sed et si ego minoris me locare sensero, tu pluris te conduce- re, utique non pluris erit con- ductio, quam quanti ego pu- tavi." Denn wer Zehen als Mieth- geld anbietet, hat darin auch Fünf angeboten, für welche daher Con- sens vorhanden ist; wer aber um Zehen vermiethen will, ist darum keinesweges geneigt, sich auch mit Fünf zu begnügen. -- Damit man nicht in diesem Beyspiel an der geringen Pachtsumme für einen ganzen Fundus Anstoß nehme, ist zu bemerken, daß die alten Juri- sten, wenn sie Cardinalzahlen als Beyspiele anführen, damit ge- wöhnlich so viele Tausend Se- sterze ausdrücken wollen. Decem ist also ein jährliches Pachtgeld von 10000 Sesterzen, oder unge- fähr 500 Thalern. 18*
§. 136. Erklärung ohne Willen. Unabſichtliche. (Fortſetzung.) geringſte unter den beiden Quantitäten, woran die Par-teyen dachten, weil über dieſe Quantität Übereinſtimmung des Willens wirklich vorhanden iſt (s). Im zweyten Fall muß unterſchieden werden, ob Derjenige, welcher die zwei- felhafte Quantität leiſten ſoll, mehr oder weniger als der Gegner in Gedanken hat; denkt er an mehr, ſo gilt wie- der der Vertrag auf die geringere Quantität; denkt er an weniger, ſo iſt gar kein Vertrag vorhanden (t). — Mit dieſen Fällen wirklicher Misverſtändniſſe über Quantitäten darf folgender Fall nicht verwechſelt werden. Wenn Je- mand ein Legat ſo angiebt: „Zehen Thaler, die in mei- ner Kaſſe vorräthig ſeyn werden zur Zeit meines Todes,“ ſo erhält der Legatar nie mehr als Zehen, vielleicht aber weniger oder auch gar Nichts, wenn ſich keine Zehen in der Kaſſe finden. Daſſelbe ſoll auch gelten bey Stipula- (s) L. 1 § 4 de V. O. (45. 1.). Nämlich wer Zwanzig anbietet, hat eigentlich Zehen und Zehen angeboten; nimmt alſo der Geg- ner Zehen an, weil er nur dieſe für angeboten hält, ſo iſt für Ze- hen ein wahrer Conſens, alſo Ver- trag, vorhanden, für die anderen Zehen iſt kein Vertrag geſchloſſen. Eben ſo im umgekehrten Fall. (t) L. 52 locati (19. 2.). „Si decem tibi locem fundum, tu autem existimes quinque te conducere, nihil agitur. Sed et si ego minoris me locare sensero, tu pluris te conduce- re, utique non pluris erit con- ductio, quam quanti ego pu- tavi.” Denn wer Zehen als Mieth- geld anbietet, hat darin auch Fünf angeboten, für welche daher Con- ſens vorhanden iſt; wer aber um Zehen vermiethen will, iſt darum keinesweges geneigt, ſich auch mit Fünf zu begnügen. — Damit man nicht in dieſem Beyſpiel an der geringen Pachtſumme für einen ganzen Fundus Anſtoß nehme, iſt zu bemerken, daß die alten Juri- ſten, wenn ſie Cardinalzahlen als Beyſpiele anführen, damit ge- wöhnlich ſo viele Tauſend Se- ſterze ausdrücken wollen. Decem iſt alſo ein jährliches Pachtgeld von 10000 Seſterzen, oder unge- fähr 500 Thalern. 18*
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§. 136. Erklärung ohne Willen. Unabſichtliche. (Fortſetzung.)
geringſte unter den beiden Quantitäten, woran die Par-
teyen dachten, weil über dieſe Quantität Übereinſtimmung
des Willens wirklich vorhanden iſt (s). Im zweyten Fall
muß unterſchieden werden, ob Derjenige, welcher die zwei-
felhafte Quantität leiſten ſoll, mehr oder weniger als der
Gegner in Gedanken hat; denkt er an mehr, ſo gilt wie-
der der Vertrag auf die geringere Quantität; denkt er an
weniger, ſo iſt gar kein Vertrag vorhanden (t). — Mit
dieſen Fällen wirklicher Misverſtändniſſe über Quantitäten
darf folgender Fall nicht verwechſelt werden. Wenn Je-
mand ein Legat ſo angiebt: „Zehen Thaler, die in mei-
ner Kaſſe vorräthig ſeyn werden zur Zeit meines Todes,“
ſo erhält der Legatar nie mehr als Zehen, vielleicht aber
weniger oder auch gar Nichts, wenn ſich keine Zehen in
der Kaſſe finden. Daſſelbe ſoll auch gelten bey Stipula-
(s) L. 1 § 4 de V. O. (45. 1.).
Nämlich wer Zwanzig anbietet,
hat eigentlich Zehen und Zehen
angeboten; nimmt alſo der Geg-
ner Zehen an, weil er nur dieſe
für angeboten hält, ſo iſt für Ze-
hen ein wahrer Conſens, alſo Ver-
trag, vorhanden, für die anderen
Zehen iſt kein Vertrag geſchloſſen.
Eben ſo im umgekehrten Fall.
(t) L. 52 locati (19. 2.). „Si
decem tibi locem fundum, tu
autem existimes quinque te
conducere, nihil agitur. Sed
et si ego minoris me locare
sensero, tu pluris te conduce-
re, utique non pluris erit con-
ductio, quam quanti ego pu-
tavi.” Denn wer Zehen als Mieth-
geld anbietet, hat darin auch Fünf
angeboten, für welche daher Con-
ſens vorhanden iſt; wer aber um
Zehen vermiethen will, iſt darum
keinesweges geneigt, ſich auch mit
Fünf zu begnügen. — Damit man
nicht in dieſem Beyſpiel an der
geringen Pachtſumme für einen
ganzen Fundus Anſtoß nehme, iſt
zu bemerken, daß die alten Juri-
ſten, wenn ſie Cardinalzahlen als
Beyſpiele anführen, damit ge-
wöhnlich ſo viele Tauſend Se-
ſterze ausdrücken wollen. Decem
iſt alſo ein jährliches Pachtgeld
von 10000 Seſterzen, oder unge-
fähr 500 Thalern.
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