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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Irrthum und Unwissenheit.
dern die Compilatoren. Hätten wir jene Stellen in ihrem
ursprünglichen Zusammenhang vor uns, so würde ohne
Zweifel aus ihrer Umgebung klar werden, in welcher be-
schränkten Beziehung Papinian jene Sätze aufstellen wollte
(e). Nur so abgerissen, wie wir sie jetzt lesen, erhalten
sie die absolute Bedeutung, in welcher wir sie nicht als
wahr annehmen können. Ja selbst abgesehen von dieser
neuen Gestalt, in welche diese Stellen durch ihre Aufnahme
in die Digesten gerathen sind, dürfen wir uns auf den all-
gemeineren Grundsatz der Auslegung berufen, nach welchem
im Conflict allgemeiner, von den alten Juristen gebildeter
Rechtsregeln mit sicheren concreten Entscheidungen, diese
letzten den Vorzug erhalten müssen (§ 44).

Zur noch vollständigeren Rechtfertigung dieses Verfah-
rens gegen den Vorwurf willkührlicher Behandlung unsrer
Rechtsquellen mögen folgende Betrachtungen dienen. Im
Wesentlichen ist dasselbe nicht von demjenigen verschieden,
welches wir oben zur Beseitigung des scheinbaren ersten
Princips (Num. VII.) angewendet haben. Ist es nun hier

(e) Wir behaupten also nicht,
daß die in Papinians Stellen
gemachten Unterscheidungen un-
wahr, sondern daß sie nur bezie-
hungsweise wahr sind. Welches
nun die besonderen Beziehungen
waren, an welche Papinian dabey
dachte, und die aus dem ganzen
Zusammenhang seiner Rede deut-
lich hervorgehen mochten, können
wir freylich bey dem abgerissenen
Zustande der Stellen nicht mit völ-
liger Sicherheit angeben. Wahr-
scheinlich aber sprach Papinian von
den Wirkungen des Irrthums nicht
im Allgemeinen, sondern bey be-
ders privilegirten Klassen, oder
vielmehr blos bey Frauen. Das
Genauere hierüber wird am Ende
dieser Nummer ausgeführt wer-
den.

Irrthum und Unwiſſenheit.
dern die Compilatoren. Hätten wir jene Stellen in ihrem
urſprünglichen Zuſammenhang vor uns, ſo würde ohne
Zweifel aus ihrer Umgebung klar werden, in welcher be-
ſchränkten Beziehung Papinian jene Sätze aufſtellen wollte
(e). Nur ſo abgeriſſen, wie wir ſie jetzt leſen, erhalten
ſie die abſolute Bedeutung, in welcher wir ſie nicht als
wahr annehmen können. Ja ſelbſt abgeſehen von dieſer
neuen Geſtalt, in welche dieſe Stellen durch ihre Aufnahme
in die Digeſten gerathen ſind, dürfen wir uns auf den all-
gemeineren Grundſatz der Auslegung berufen, nach welchem
im Conflict allgemeiner, von den alten Juriſten gebildeter
Rechtsregeln mit ſicheren concreten Entſcheidungen, dieſe
letzten den Vorzug erhalten müſſen (§ 44).

Zur noch vollſtändigeren Rechtfertigung dieſes Verfah-
rens gegen den Vorwurf willkührlicher Behandlung unſrer
Rechtsquellen mögen folgende Betrachtungen dienen. Im
Weſentlichen iſt daſſelbe nicht von demjenigen verſchieden,
welches wir oben zur Beſeitigung des ſcheinbaren erſten
Princips (Num. VII.) angewendet haben. Iſt es nun hier

(e) Wir behaupten alſo nicht,
daß die in Papinians Stellen
gemachten Unterſcheidungen un-
wahr, ſondern daß ſie nur bezie-
hungsweiſe wahr ſind. Welches
nun die beſonderen Beziehungen
waren, an welche Papinian dabey
dachte, und die aus dem ganzen
Zuſammenhang ſeiner Rede deut-
lich hervorgehen mochten, können
wir freylich bey dem abgeriſſenen
Zuſtande der Stellen nicht mit völ-
liger Sicherheit angeben. Wahr-
ſcheinlich aber ſprach Papinian von
den Wirkungen des Irrthums nicht
im Allgemeinen, ſondern bey be-
ders privilegirten Klaſſen, oder
vielmehr blos bey Frauen. Das
Genauere hierüber wird am Ende
dieſer Nummer ausgeführt wer-
den.
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[347/0359] Irrthum und Unwiſſenheit. dern die Compilatoren. Hätten wir jene Stellen in ihrem urſprünglichen Zuſammenhang vor uns, ſo würde ohne Zweifel aus ihrer Umgebung klar werden, in welcher be- ſchränkten Beziehung Papinian jene Sätze aufſtellen wollte (e). Nur ſo abgeriſſen, wie wir ſie jetzt leſen, erhalten ſie die abſolute Bedeutung, in welcher wir ſie nicht als wahr annehmen können. Ja ſelbſt abgeſehen von dieſer neuen Geſtalt, in welche dieſe Stellen durch ihre Aufnahme in die Digeſten gerathen ſind, dürfen wir uns auf den all- gemeineren Grundſatz der Auslegung berufen, nach welchem im Conflict allgemeiner, von den alten Juriſten gebildeter Rechtsregeln mit ſicheren concreten Entſcheidungen, dieſe letzten den Vorzug erhalten müſſen (§ 44). Zur noch vollſtändigeren Rechtfertigung dieſes Verfah- rens gegen den Vorwurf willkührlicher Behandlung unſrer Rechtsquellen mögen folgende Betrachtungen dienen. Im Weſentlichen iſt daſſelbe nicht von demjenigen verſchieden, welches wir oben zur Beſeitigung des ſcheinbaren erſten Princips (Num. VII.) angewendet haben. Iſt es nun hier (e) Wir behaupten alſo nicht, daß die in Papinians Stellen gemachten Unterſcheidungen un- wahr, ſondern daß ſie nur bezie- hungsweiſe wahr ſind. Welches nun die beſonderen Beziehungen waren, an welche Papinian dabey dachte, und die aus dem ganzen Zuſammenhang ſeiner Rede deut- lich hervorgehen mochten, können wir freylich bey dem abgeriſſenen Zuſtande der Stellen nicht mit völ- liger Sicherheit angeben. Wahr- ſcheinlich aber ſprach Papinian von den Wirkungen des Irrthums nicht im Allgemeinen, ſondern bey be- ders privilegirten Klaſſen, oder vielmehr blos bey Frauen. Das Genauere hierüber wird am Ende dieſer Nummer ausgeführt wer- den.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/359>, abgerufen am 24.11.2024.