Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Irrthum und Unwissenheit.
angesehen werden. Deshalb wurde hier dem Erforderniß
des Dolus eine größere Ausdehnung als in anderen Fäl-
len gegeben. Es sollte daher der Thäter durch allgemeine
Rechtsunwissenheit oder durch gänzlichen Mangel an Bil-
dung von der Strafe befreyt werden (h).

Das Testament eines Ermordeten sollte bey Strafe von
100 aurei nicht eher eröffnet werden, als die Sklaven
desselben gefoltert wären, damit nicht durch die im Testa-
ment vielleicht enthaltene Freylassung solcher Sklaven die
Folter verhindert werden möchte (i). Die Strafe war
durch den Dolus des Thäters bedingt, und wegen der
ganz positiven Natur des Strafgesetzes wurde dieselbe Be-
freyung gestattet, wie bey dem vorhergehenden Fall (k).

Wer aus Rechtsunwissenheit die Zollgesetze übertritt,
wird dadurch von der Strafe um so weniger frey, als
dieselbe überhaupt nur durch die materielle That, nicht
durch Dolus, bedingt ist (l). Nur der Minderjährige bleibt

(h) L. 7 § 4 de Jurisd. (2. 1.)
".. si per imperitiam vel ru-
sticitatem ... aliquis fecerit,
non tenetur." Imperitia
ist die
Unbekanntschaft mit dem Recht
und den Geschäften, die mit an-
derer Art von Bildung wohl be-
stehen kann, und damit sind, nach
der Analogie anderer Stellen,
Frauen und Minderjährige, auch
wohl Soldaten, gemeynt. Ru-
sticitas
ist die allgemeine Roh-
heit und Unbildung, wie sie in
der untersten Klasse häufig vor-
kommt.
(i) L 25 § 2 de Sc. Silan.
(29. 5.).
(k) L. 3 § 22 de Sc. Silan.
(29. 5.) "Et si sciens, non ta-
men dolo aperuit, neque non
tenebitur: si forte per imperi-
tiam, vel per rusticitatem, ig-
narus Edicti Praetoris vel Scti,

aperuit."
(l) L. 16 § 5 de publicanis
(39. 4.).

Irrthum und Unwiſſenheit.
angeſehen werden. Deshalb wurde hier dem Erforderniß
des Dolus eine größere Ausdehnung als in anderen Fäl-
len gegeben. Es ſollte daher der Thäter durch allgemeine
Rechtsunwiſſenheit oder durch gänzlichen Mangel an Bil-
dung von der Strafe befreyt werden (h).

Das Teſtament eines Ermordeten ſollte bey Strafe von
100 aurei nicht eher eröffnet werden, als die Sklaven
deſſelben gefoltert wären, damit nicht durch die im Teſta-
ment vielleicht enthaltene Freylaſſung ſolcher Sklaven die
Folter verhindert werden möchte (i). Die Strafe war
durch den Dolus des Thäters bedingt, und wegen der
ganz poſitiven Natur des Strafgeſetzes wurde dieſelbe Be-
freyung geſtattet, wie bey dem vorhergehenden Fall (k).

Wer aus Rechtsunwiſſenheit die Zollgeſetze übertritt,
wird dadurch von der Strafe um ſo weniger frey, als
dieſelbe überhaupt nur durch die materielle That, nicht
durch Dolus, bedingt iſt (l). Nur der Minderjährige bleibt

(h) L. 7 § 4 de Jurisd. (2. 1.)
„.. si per imperitiam vel ru-
sticitatem … aliquis fecerit,
non tenetur.” Imperitia
iſt die
Unbekanntſchaft mit dem Recht
und den Geſchäften, die mit an-
derer Art von Bildung wohl be-
ſtehen kann, und damit ſind, nach
der Analogie anderer Stellen,
Frauen und Minderjährige, auch
wohl Soldaten, gemeynt. Ru-
sticitas
iſt die allgemeine Roh-
heit und Unbildung, wie ſie in
der unterſten Klaſſe häufig vor-
kommt.
(i) L 25 § 2 de Sc. Silan.
(29. 5.).
(k) L. 3 § 22 de Sc. Silan.
(29. 5.) „Et si sciens, non ta-
men dolo aperuit, neque non
tenebitur: si forte per imperi-
tiam, vel per rusticitatem, ig-
narus Edicti Praetoris vel Scti,

aperuit.”
(l) L. 16 § 5 de publicanis
(39. 4.).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0405" n="393"/><fw place="top" type="header">Irrthum und Unwi&#x017F;&#x017F;enheit.</fw><lb/>
ange&#x017F;ehen werden. Deshalb wurde hier dem Erforderniß<lb/>
des Dolus eine größere Ausdehnung als in anderen Fäl-<lb/>
len gegeben. Es &#x017F;ollte daher der Thäter durch allgemeine<lb/>
Rechtsunwi&#x017F;&#x017F;enheit oder durch gänzlichen Mangel an Bil-<lb/>
dung von der Strafe befreyt werden <note place="foot" n="(h)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 7 § 4 <hi rendition="#i">de Jurisd.</hi> (2. 1.)<lb/>
&#x201E;.. si per imperitiam vel ru-<lb/>
sticitatem &#x2026; aliquis fecerit,<lb/>
non tenetur.&#x201D; Imperitia</hi> i&#x017F;t die<lb/>
Unbekannt&#x017F;chaft mit dem Recht<lb/>
und den Ge&#x017F;chäften, die mit an-<lb/>
derer Art von Bildung wohl be-<lb/>
&#x017F;tehen kann, und damit &#x017F;ind, nach<lb/>
der Analogie anderer Stellen,<lb/>
Frauen und Minderjährige, auch<lb/>
wohl Soldaten, gemeynt. <hi rendition="#aq">Ru-<lb/>
sticitas</hi> i&#x017F;t die allgemeine Roh-<lb/>
heit und Unbildung, wie &#x017F;ie in<lb/>
der unter&#x017F;ten Kla&#x017F;&#x017F;e häufig vor-<lb/>
kommt.</note>.</p><lb/>
          <p>Das Te&#x017F;tament eines Ermordeten &#x017F;ollte bey Strafe von<lb/>
100 <hi rendition="#aq">aurei</hi> nicht eher eröffnet werden, als die Sklaven<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben gefoltert wären, damit nicht durch die im Te&#x017F;ta-<lb/>
ment vielleicht enthaltene Freyla&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;olcher Sklaven die<lb/>
Folter verhindert werden möchte <note place="foot" n="(i)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L</hi> 25 § 2 <hi rendition="#i">de Sc. Silan.</hi><lb/>
(29. 5.).</hi></note>. Die Strafe war<lb/>
durch den Dolus des Thäters bedingt, und wegen der<lb/>
ganz po&#x017F;itiven Natur des Strafge&#x017F;etzes wurde die&#x017F;elbe Be-<lb/>
freyung ge&#x017F;tattet, wie bey dem vorhergehenden Fall <note place="foot" n="(k)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 3 § 22 <hi rendition="#i">de Sc. Silan.</hi><lb/>
(29. 5.) &#x201E;Et si sciens, non ta-<lb/>
men dolo aperuit, neque non<lb/>
tenebitur: si forte per imperi-<lb/>
tiam, vel per rusticitatem, <hi rendition="#i">ig-<lb/>
narus Edicti Praetoris vel Scti,</hi><lb/>
aperuit.&#x201D;</hi></note>.</p><lb/>
          <p>Wer aus Rechtsunwi&#x017F;&#x017F;enheit die Zollge&#x017F;etze übertritt,<lb/>
wird dadurch von der Strafe um &#x017F;o weniger frey, als<lb/>
die&#x017F;elbe überhaupt nur durch die materielle That, nicht<lb/>
durch Dolus, bedingt i&#x017F;t <note place="foot" n="(l)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 16 § 5 <hi rendition="#i">de publicanis</hi><lb/>
(39. 4.).</hi></note>. Nur der Minderjährige bleibt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[393/0405] Irrthum und Unwiſſenheit. angeſehen werden. Deshalb wurde hier dem Erforderniß des Dolus eine größere Ausdehnung als in anderen Fäl- len gegeben. Es ſollte daher der Thäter durch allgemeine Rechtsunwiſſenheit oder durch gänzlichen Mangel an Bil- dung von der Strafe befreyt werden (h). Das Teſtament eines Ermordeten ſollte bey Strafe von 100 aurei nicht eher eröffnet werden, als die Sklaven deſſelben gefoltert wären, damit nicht durch die im Teſta- ment vielleicht enthaltene Freylaſſung ſolcher Sklaven die Folter verhindert werden möchte (i). Die Strafe war durch den Dolus des Thäters bedingt, und wegen der ganz poſitiven Natur des Strafgeſetzes wurde dieſelbe Be- freyung geſtattet, wie bey dem vorhergehenden Fall (k). Wer aus Rechtsunwiſſenheit die Zollgeſetze übertritt, wird dadurch von der Strafe um ſo weniger frey, als dieſelbe überhaupt nur durch die materielle That, nicht durch Dolus, bedingt iſt (l). Nur der Minderjährige bleibt (h) L. 7 § 4 de Jurisd. (2. 1.) „.. si per imperitiam vel ru- sticitatem … aliquis fecerit, non tenetur.” Imperitia iſt die Unbekanntſchaft mit dem Recht und den Geſchäften, die mit an- derer Art von Bildung wohl be- ſtehen kann, und damit ſind, nach der Analogie anderer Stellen, Frauen und Minderjährige, auch wohl Soldaten, gemeynt. Ru- sticitas iſt die allgemeine Roh- heit und Unbildung, wie ſie in der unterſten Klaſſe häufig vor- kommt. (i) L 25 § 2 de Sc. Silan. (29. 5.). (k) L. 3 § 22 de Sc. Silan. (29. 5.) „Et si sciens, non ta- men dolo aperuit, neque non tenebitur: si forte per imperi- tiam, vel per rusticitatem, ig- narus Edicti Praetoris vel Scti, aperuit.” (l) L. 16 § 5 de publicanis (39. 4.).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/405
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/405>, abgerufen am 22.11.2024.