bey den Delicten nachgewiesen worden. Eine gleichartige Beziehung aber kommt auch bey einigen Rechtsinstituten vor, worin der Dolus nicht selbst als Delict erscheint, sondern nur andere Rechtsverhältnisse modificirt. Wegen dieser Gleichartigkeit wird es zweckmäßig seyn, davon an dieser Stelle zu reden.
Bey der hereditatis petitio und bey der rei vindicatio macht es, wenn der Kläger Recht behält, einen großen Unterschied, ob der Beklagte ein b. f. oder ein m. f. pos- sessor ist, unter welchen letzten Fall insbesondere auch der praedo gehört, das heißt der Besitzer, welcher seinen Besitz nicht einmal durch einen angeblichen Titel zu beschönigen weiß. Das Bewußtseyn des redlichen Besitzers kann sich nun entweder gründen auf einen factischen Irrthum über die früheren Schicksale der Sache, oder auf einen Rechts- irrthum. Wenden wir auf diesen letzten Fall dieselbe Be- urtheilung, wie bey den Delicten (Num. XXI.) an, so er- geben sich als unzweifelhaft folgende Sätze. Niemand kann sich darauf berufen, daß er die Rechtsregeln über den un- redlichen Besitz und dessen nachtheilige Folgen nicht gekannt habe. Hat aber der Besitzer über die Regeln des Eigen- thumserwerbs geirrt, und sich deswegen das Eigenthum fälschlich zugeschrieben, so ist er darum nicht weniger ein redlicher Besitzer, denn dieser Zustand ist eine Thatsache, die durch den Rechtsirrthum, woraus sie entstanden seyn mag, nicht ungeschehen gemacht werden kann. Dieser prak-
Beylage VIII.
bey den Delicten nachgewieſen worden. Eine gleichartige Beziehung aber kommt auch bey einigen Rechtsinſtituten vor, worin der Dolus nicht ſelbſt als Delict erſcheint, ſondern nur andere Rechtsverhältniſſe modificirt. Wegen dieſer Gleichartigkeit wird es zweckmäßig ſeyn, davon an dieſer Stelle zu reden.
Bey der hereditatis petitio und bey der rei vindicatio macht es, wenn der Kläger Recht behält, einen großen Unterſchied, ob der Beklagte ein b. f. oder ein m. f. pos- sessor iſt, unter welchen letzten Fall insbeſondere auch der praedo gehört, das heißt der Beſitzer, welcher ſeinen Beſitz nicht einmal durch einen angeblichen Titel zu beſchönigen weiß. Das Bewußtſeyn des redlichen Beſitzers kann ſich nun entweder gründen auf einen factiſchen Irrthum über die früheren Schickſale der Sache, oder auf einen Rechts- irrthum. Wenden wir auf dieſen letzten Fall dieſelbe Be- urtheilung, wie bey den Delicten (Num. XXI.) an, ſo er- geben ſich als unzweifelhaft folgende Sätze. Niemand kann ſich darauf berufen, daß er die Rechtsregeln über den un- redlichen Beſitz und deſſen nachtheilige Folgen nicht gekannt habe. Hat aber der Beſitzer über die Regeln des Eigen- thumserwerbs geirrt, und ſich deswegen das Eigenthum fälſchlich zugeſchrieben, ſo iſt er darum nicht weniger ein redlicher Beſitzer, denn dieſer Zuſtand iſt eine Thatſache, die durch den Rechtsirrthum, woraus ſie entſtanden ſeyn mag, nicht ungeſchehen gemacht werden kann. Dieſer prak-
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Beylage VIII.
bey den Delicten nachgewieſen worden. Eine gleichartige
Beziehung aber kommt auch bey einigen Rechtsinſtituten
vor, worin der Dolus nicht ſelbſt als Delict erſcheint,
ſondern nur andere Rechtsverhältniſſe modificirt. Wegen
dieſer Gleichartigkeit wird es zweckmäßig ſeyn, davon an
dieſer Stelle zu reden.
Bey der hereditatis petitio und bey der rei vindicatio
macht es, wenn der Kläger Recht behält, einen großen
Unterſchied, ob der Beklagte ein b. f. oder ein m. f. pos-
sessor iſt, unter welchen letzten Fall insbeſondere auch der
praedo gehört, das heißt der Beſitzer, welcher ſeinen Beſitz
nicht einmal durch einen angeblichen Titel zu beſchönigen
weiß. Das Bewußtſeyn des redlichen Beſitzers kann ſich
nun entweder gründen auf einen factiſchen Irrthum über
die früheren Schickſale der Sache, oder auf einen Rechts-
irrthum. Wenden wir auf dieſen letzten Fall dieſelbe Be-
urtheilung, wie bey den Delicten (Num. XXI.) an, ſo er-
geben ſich als unzweifelhaft folgende Sätze. Niemand kann
ſich darauf berufen, daß er die Rechtsregeln über den un-
redlichen Beſitz und deſſen nachtheilige Folgen nicht gekannt
habe. Hat aber der Beſitzer über die Regeln des Eigen-
thumserwerbs geirrt, und ſich deswegen das Eigenthum
fälſchlich zugeſchrieben, ſo iſt er darum nicht weniger ein
redlicher Beſitzer, denn dieſer Zuſtand iſt eine Thatſache,
die durch den Rechtsirrthum, woraus ſie entſtanden ſeyn
mag, nicht ungeſchehen gemacht werden kann. Dieſer prak-
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/408>, abgerufen am 22.11.2024.
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