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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Beylage VIII.
seyn die Klagverjährung aus, nicht nur bey der rei vin-
dicatio
und hereditatis petitio, sondern auch bey der actio
commodati, depositi, locati
auf Rückgabe der anvertrau-
ten Sache, weil auch durch diese der Kläger die Rück-
gabe eines unrechtmäßig vorenthaltenen Besitzes verlangt;
dagegen nicht bey den gewöhnlichen Schuldklagen aus Ver-
trägen oder Delicten, auch nicht bey der actio emti oder
der Klage auf Erfüllung eines Tauschvertrags.

Damit ist der Umfang der neuen Regel bestimmt, und
nun haben wir für dieselbe die Frage zu beantworten, ob
etwa die Redlichkeit des Besitzes, mithin die Klagverjäh-
rung selbst, durch einen Rechtsirrthum des Beklagten aus-
geschlossen werde? Es ist merkwürdig, daß diese von den
älteren Schriftstellern lebhaft verhandelte Streitfrage von
den neueren gar nicht berührt zu werden pflegt.

Nach den oben aufgestellten Grundsätzen wird die Klag-
verjährung durch den Rechtsirrthum nicht verhindert. Denn
die Redlichkeit des Bewußtseyns, die das canonische Recht
allein fordert, ist eine Thatsache, für deren Daseyn der
Entstehungsgrund, auch wenn derselbe in einem Rechtsirr-
thum liegen mag, ganz gleichgültig ist. Die buchstäbliche
Vorschrift des canonischen Rechts hindert also die auf ei-
nem Rechtsirrthum beruhende Klagverjährung nicht. Aber
auch der Grund dieses Gesetzes führt auf ein gleiches Re-
sultat. Denn dieser Grund wird darin gesetzt, daß vor
Allem die Sünde vermieden werden müsse (Quoniam omne,
quod non est ex fide, peccatum est);
Niemand aber wird

Beylage VIII.
ſeyn die Klagverjährung aus, nicht nur bey der rei vin-
dicatio
und hereditatis petitio, ſondern auch bey der actio
commodati, depositi, locati
auf Rückgabe der anvertrau-
ten Sache, weil auch durch dieſe der Kläger die Rück-
gabe eines unrechtmäßig vorenthaltenen Beſitzes verlangt;
dagegen nicht bey den gewöhnlichen Schuldklagen aus Ver-
trägen oder Delicten, auch nicht bey der actio emti oder
der Klage auf Erfüllung eines Tauſchvertrags.

Damit iſt der Umfang der neuen Regel beſtimmt, und
nun haben wir für dieſelbe die Frage zu beantworten, ob
etwa die Redlichkeit des Beſitzes, mithin die Klagverjäh-
rung ſelbſt, durch einen Rechtsirrthum des Beklagten aus-
geſchloſſen werde? Es iſt merkwürdig, daß dieſe von den
älteren Schriftſtellern lebhaft verhandelte Streitfrage von
den neueren gar nicht berührt zu werden pflegt.

Nach den oben aufgeſtellten Grundſätzen wird die Klag-
verjährung durch den Rechtsirrthum nicht verhindert. Denn
die Redlichkeit des Bewußtſeyns, die das canoniſche Recht
allein fordert, iſt eine Thatſache, für deren Daſeyn der
Entſtehungsgrund, auch wenn derſelbe in einem Rechtsirr-
thum liegen mag, ganz gleichgültig iſt. Die buchſtäbliche
Vorſchrift des canoniſchen Rechts hindert alſo die auf ei-
nem Rechtsirrthum beruhende Klagverjährung nicht. Aber
auch der Grund dieſes Geſetzes führt auf ein gleiches Re-
ſultat. Denn dieſer Grund wird darin geſetzt, daß vor
Allem die Sünde vermieden werden müſſe (Quoniam omne,
quod non est ex fide, peccatum est);
Niemand aber wird

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[400/0412] Beylage VIII. ſeyn die Klagverjährung aus, nicht nur bey der rei vin- dicatio und hereditatis petitio, ſondern auch bey der actio commodati, depositi, locati auf Rückgabe der anvertrau- ten Sache, weil auch durch dieſe der Kläger die Rück- gabe eines unrechtmäßig vorenthaltenen Beſitzes verlangt; dagegen nicht bey den gewöhnlichen Schuldklagen aus Ver- trägen oder Delicten, auch nicht bey der actio emti oder der Klage auf Erfüllung eines Tauſchvertrags. Damit iſt der Umfang der neuen Regel beſtimmt, und nun haben wir für dieſelbe die Frage zu beantworten, ob etwa die Redlichkeit des Beſitzes, mithin die Klagverjäh- rung ſelbſt, durch einen Rechtsirrthum des Beklagten aus- geſchloſſen werde? Es iſt merkwürdig, daß dieſe von den älteren Schriftſtellern lebhaft verhandelte Streitfrage von den neueren gar nicht berührt zu werden pflegt. Nach den oben aufgeſtellten Grundſätzen wird die Klag- verjährung durch den Rechtsirrthum nicht verhindert. Denn die Redlichkeit des Bewußtſeyns, die das canoniſche Recht allein fordert, iſt eine Thatſache, für deren Daſeyn der Entſtehungsgrund, auch wenn derſelbe in einem Rechtsirr- thum liegen mag, ganz gleichgültig iſt. Die buchſtäbliche Vorſchrift des canoniſchen Rechts hindert alſo die auf ei- nem Rechtsirrthum beruhende Klagverjährung nicht. Aber auch der Grund dieſes Geſetzes führt auf ein gleiches Re- ſultat. Denn dieſer Grund wird darin geſetzt, daß vor Allem die Sünde vermieden werden müſſe (Quoniam omne, quod non est ex fide, peccatum est); Niemand aber wird

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/412>, abgerufen am 22.11.2024.