Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.§. 107. Altersstufen. Infantes. den und Zwecken, Vortheilen und Nachtheilen, noch unbe-kannt seyn mochte. Dabey lag also zum Grunde die sehr natürliche Unterscheidung folgender drey Zustände: I. Ein- sicht in das Geschäft selbst, worüber verhandelt wird, II. Mangel dieser (materiellen) Einsicht, neben (formaler) Verstandesentwicklung, das heißt neben dem Verständniß der bey der Verhandlung auszusprechenden Worte (g), III. Mangel dieses letzten Verständnisses, obgleich vielleicht die Worte vernehmlich, aber gedankenlos nachgesprochen (g) Diese Unterscheidung von
zwey verschiedenen Entwicklungs- stufen, die in den Stellen der Römischen Juristen unverkennbar zum Grunde liegt, würde darin weniger übersehen worden seyn, wenn die Römer dabey einen fe- steren und bestimmteren Sprach- gebrauch durchgeführt hätten. Zu- weilen allerdings finden sich solche Ausdrücke, welche denjenigen, die noch nicht proximi pubertati sind, nur die Einsicht in den Gegen- stand, also die materielle Ge- schäftskenntniß, absprechen (z. B. L. 5 de R. J. "qui fari possunt, quamvis actum rei non intelli- gerent, eben so L. 1 § 13 de O. et A. (Note a) "nondum intel- ligat quid agatur," und L. 9 de adqu. vel om. her. "ut cau- sam adquirendae hereditatis non intelligat"), während sie ih- nen das intelligere überhaupt, d. h. das verständige Bewußtseyn, wohl zusprechen (L. 14 de spons., abgedruckt eben im Text N. 4). Dagegen sind wieder andere Stel- len, welche von jenen Unmündi- gen schlechthin sagen: nullum in- tellectum habent (§ 10 J. de inut. stip. 3. 19., s. o. Note a). -- Übrigens ist die höhere Entwick- lung (das actum rei intelligere) relativ, und zwar nicht blos ab- hängig von den individuellen An- lagen, sondern auch von der Na- tur des Geschäfts selbst. Ein Knabe z. B. wird früher lernen, mit Sachkenntniß ein Kleidungs- stück einzukaufen, als einen ver- wickelten Societätscontract abzu- schließen. -- Der Gedanke ist also eigentlich der: Nach zurückgeleg- ter Kindheit hat der Unmündige hinreichend passiven Verstand, um das Denken und Wollen des aucto- rirenden Tutors in sich aufzu- nehmen und zu dem seinigen zu machen; steht er nahe an der Mündigkeit, so darf ihm auch schon ein selbstthätiger, die Ge- schäfte begreifender und verar- beitender Verstand zugeschrieben werden. §. 107. Altersſtufen. Infantes. den und Zwecken, Vortheilen und Nachtheilen, noch unbe-kannt ſeyn mochte. Dabey lag alſo zum Grunde die ſehr natürliche Unterſcheidung folgender drey Zuſtände: I. Ein- ſicht in das Geſchäft ſelbſt, worüber verhandelt wird, II. Mangel dieſer (materiellen) Einſicht, neben (formaler) Verſtandesentwicklung, das heißt neben dem Verſtändniß der bey der Verhandlung auszuſprechenden Worte (g), III. Mangel dieſes letzten Verſtändniſſes, obgleich vielleicht die Worte vernehmlich, aber gedankenlos nachgeſprochen (g) Dieſe Unterſcheidung von
zwey verſchiedenen Entwicklungs- ſtufen, die in den Stellen der Römiſchen Juriſten unverkennbar zum Grunde liegt, würde darin weniger überſehen worden ſeyn, wenn die Römer dabey einen fe- ſteren und beſtimmteren Sprach- gebrauch durchgeführt hätten. Zu- weilen allerdings finden ſich ſolche Ausdrücke, welche denjenigen, die noch nicht proximi pubertati ſind, nur die Einſicht in den Gegen- ſtand, alſo die materielle Ge- ſchäftskenntniß, abſprechen (z. B. L. 5 de R. J. „qui fari possunt, quamvis actum rei non intelli- gerent, eben ſo L. 1 § 13 de O. et A. (Note a) „nondum intel- ligat quid agatur,” und L. 9 de adqu. vel om. her. „ut cau- sam adquirendae hereditatis non intelligat”), während ſie ih- nen das intelligere überhaupt, d. h. das verſtändige Bewußtſeyn, wohl zuſprechen (L. 14 de spons., abgedruckt eben im Text N. 4). Dagegen ſind wieder andere Stel- len, welche von jenen Unmündi- gen ſchlechthin ſagen: nullum in- tellectum habent (§ 10 J. de inut. stip. 3. 19., ſ. o. Note a). — Übrigens iſt die höhere Entwick- lung (das actum rei intelligere) relativ, und zwar nicht blos ab- hängig von den individuellen An- lagen, ſondern auch von der Na- tur des Geſchäfts ſelbſt. Ein Knabe z. B. wird früher lernen, mit Sachkenntniß ein Kleidungs- ſtück einzukaufen, als einen ver- wickelten Societätscontract abzu- ſchließen. — Der Gedanke iſt alſo eigentlich der: Nach zurückgeleg- ter Kindheit hat der Unmündige hinreichend paſſiven Verſtand, um das Denken und Wollen des aucto- rirenden Tutors in ſich aufzu- nehmen und zu dem ſeinigen zu machen; ſteht er nahe an der Mündigkeit, ſo darf ihm auch ſchon ein ſelbſtthätiger, die Ge- ſchäfte begreifender und verar- beitender Verſtand zugeſchrieben werden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0043" n="31"/><fw place="top" type="header">§. 107. Altersſtufen. <hi rendition="#aq">Infantes.</hi></fw><lb/> den und Zwecken, Vortheilen und Nachtheilen, noch unbe-<lb/> kannt ſeyn mochte. 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§. 107. Altersſtufen. Infantes.
den und Zwecken, Vortheilen und Nachtheilen, noch unbe-
kannt ſeyn mochte. Dabey lag alſo zum Grunde die ſehr
natürliche Unterſcheidung folgender drey Zuſtände: I. Ein-
ſicht in das Geſchäft ſelbſt, worüber verhandelt wird,
II. Mangel dieſer (materiellen) Einſicht, neben (formaler)
Verſtandesentwicklung, das heißt neben dem Verſtändniß
der bey der Verhandlung auszuſprechenden Worte (g),
III. Mangel dieſes letzten Verſtändniſſes, obgleich vielleicht
die Worte vernehmlich, aber gedankenlos nachgeſprochen
(g) Dieſe Unterſcheidung von
zwey verſchiedenen Entwicklungs-
ſtufen, die in den Stellen der
Römiſchen Juriſten unverkennbar
zum Grunde liegt, würde darin
weniger überſehen worden ſeyn,
wenn die Römer dabey einen fe-
ſteren und beſtimmteren Sprach-
gebrauch durchgeführt hätten. Zu-
weilen allerdings finden ſich ſolche
Ausdrücke, welche denjenigen, die
noch nicht proximi pubertati ſind,
nur die Einſicht in den Gegen-
ſtand, alſo die materielle Ge-
ſchäftskenntniß, abſprechen (z. B.
L. 5 de R. J. „qui fari possunt,
quamvis actum rei non intelli-
gerent, eben ſo L. 1 § 13 de O.
et A. (Note a) „nondum intel-
ligat quid agatur,” und L. 9
de adqu. vel om. her. „ut cau-
sam adquirendae hereditatis
non intelligat”), während ſie ih-
nen das intelligere überhaupt,
d. h. das verſtändige Bewußtſeyn,
wohl zuſprechen (L. 14 de spons.,
abgedruckt eben im Text N. 4).
Dagegen ſind wieder andere Stel-
len, welche von jenen Unmündi-
gen ſchlechthin ſagen: nullum in-
tellectum habent (§ 10 J. de
inut. stip. 3. 19., ſ. o. Note a). —
Übrigens iſt die höhere Entwick-
lung (das actum rei intelligere)
relativ, und zwar nicht blos ab-
hängig von den individuellen An-
lagen, ſondern auch von der Na-
tur des Geſchäfts ſelbſt. Ein
Knabe z. B. wird früher lernen,
mit Sachkenntniß ein Kleidungs-
ſtück einzukaufen, als einen ver-
wickelten Societätscontract abzu-
ſchließen. — Der Gedanke iſt alſo
eigentlich der: Nach zurückgeleg-
ter Kindheit hat der Unmündige
hinreichend paſſiven Verſtand, um
das Denken und Wollen des aucto-
rirenden Tutors in ſich aufzu-
nehmen und zu dem ſeinigen zu
machen; ſteht er nahe an der
Mündigkeit, ſo darf ihm auch
ſchon ein ſelbſtthätiger, die Ge-
ſchäfte begreifender und verar-
beitender Verſtand zugeſchrieben
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