Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. im Lauf der Zeit war jene scharfe Scheidung von zweyer-ley Obligationen mehr in den Hintergrund getreten; Was ehemals ungleichartig erschien, war nun zu einem System gleichartiger Obligationen ausgebildet worden (k). Die durchgreifende Veränderung der Gerichtsverfassung, wo- durch alle Richtergeschäfte ungetheilt in die Hände der Obrigkeit gelegt wurden, entzog jener Einrichtung ihre praktische Kraft, und so ist Das, was wir davon in der Justinianischen Gesetzgebung finden, nur noch ein Schat- ten des ursprünglichen großartig einfachen Rechtsinstituts. Auch dieses Wenige aber, was dort noch übrig blieb, ist bey dem Übergang in das neuere Recht untergegangen, und wir bemühen uns vergeblich, den todten Buchstaben festzuhalten. Wir können also, im gewöhnlichen Sinn des Worts nicht sagen, daß wir Etwas verloren hätten, wel- ches zu beklagen wäre, dessen Herstellung wir versuchen möchten. Unsrer höchsten Aufmerksamkeit werth aber ist hier Dasselbe, was wir auch in anderen Theilen der Rechtsentwicklung zu bewundern haben: der juristische Kunstsinn, womit die Römer dem höchst mannichfaltigen Rechtsstoff, den ihnen das wirkliche Leben darbot, indivi- duellen Character, und eine fast unzerstörliche Dauer zu geben wußten. Daran können wir lernen, wenn wir die (k) Dieser Entwicklungsgang
läßt sich durch einige treffende Ana- logieen anschaulich machen. So ist das in bonis eine zweyte Art von dominium geworden, die bo- norum possessio eine zweyte Art von hereditas; Beides war ur- sprünglich blos neben das alte Rechtsinstitut gestellt, als rein praktische Aushülfe in einzelnen Fällen des Bedürfnisses. Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. im Lauf der Zeit war jene ſcharfe Scheidung von zweyer-ley Obligationen mehr in den Hintergrund getreten; Was ehemals ungleichartig erſchien, war nun zu einem Syſtem gleichartiger Obligationen ausgebildet worden (k). Die durchgreifende Veränderung der Gerichtsverfaſſung, wo- durch alle Richtergeſchäfte ungetheilt in die Hände der Obrigkeit gelegt wurden, entzog jener Einrichtung ihre praktiſche Kraft, und ſo iſt Das, was wir davon in der Juſtinianiſchen Geſetzgebung finden, nur noch ein Schat- ten des urſprünglichen großartig einfachen Rechtsinſtituts. Auch dieſes Wenige aber, was dort noch übrig blieb, iſt bey dem Übergang in das neuere Recht untergegangen, und wir bemühen uns vergeblich, den todten Buchſtaben feſtzuhalten. Wir können alſo, im gewöhnlichen Sinn des Worts nicht ſagen, daß wir Etwas verloren hätten, wel- ches zu beklagen wäre, deſſen Herſtellung wir verſuchen möchten. Unſrer höchſten Aufmerkſamkeit werth aber iſt hier Daſſelbe, was wir auch in anderen Theilen der Rechtsentwicklung zu bewundern haben: der juriſtiſche Kunſtſinn, womit die Römer dem höchſt mannichfaltigen Rechtsſtoff, den ihnen das wirkliche Leben darbot, indivi- duellen Character, und eine faſt unzerſtörliche Dauer zu geben wußten. Daran können wir lernen, wenn wir die (k) Dieſer Entwicklungsgang
läßt ſich durch einige treffende Ana- logieen anſchaulich machen. So iſt das in bonis eine zweyte Art von dominium geworden, die bo- norum possessio eine zweyte Art von hereditas; Beides war ur- ſprünglich blos neben das alte Rechtsinſtitut geſtellt, als rein praktiſche Aushülfe in einzelnen Fällen des Bedürfniſſes. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0158" n="144"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältniſſe. Kap. <hi rendition="#aq">IV.</hi> Verletzung.</fw><lb/> im Lauf der Zeit war jene ſcharfe Scheidung von zweyer-<lb/> ley Obligationen mehr in den Hintergrund getreten; Was<lb/> ehemals ungleichartig erſchien, war nun zu einem Syſtem<lb/> gleichartiger Obligationen ausgebildet worden <note place="foot" n="(k)">Dieſer Entwicklungsgang<lb/> läßt ſich durch einige treffende Ana-<lb/> logieen anſchaulich machen. So<lb/> iſt das <hi rendition="#aq">in bonis</hi> eine zweyte Art<lb/> von <hi rendition="#aq">dominium</hi> geworden, die <hi rendition="#aq">bo-<lb/> norum possessio</hi> eine zweyte Art<lb/> von <hi rendition="#aq">hereditas;</hi> Beides war ur-<lb/> ſprünglich blos neben das alte<lb/> Rechtsinſtitut geſtellt, als rein<lb/> praktiſche Aushülfe in einzelnen<lb/> Fällen des Bedürfniſſes.</note>. Die<lb/> durchgreifende Veränderung der Gerichtsverfaſſung, wo-<lb/> durch alle Richtergeſchäfte ungetheilt in die Hände der<lb/> Obrigkeit gelegt wurden, entzog jener Einrichtung ihre<lb/> praktiſche Kraft, und ſo iſt Das, was wir davon in der<lb/> Juſtinianiſchen Geſetzgebung finden, nur noch ein Schat-<lb/> ten des urſprünglichen großartig einfachen Rechtsinſtituts.<lb/> Auch dieſes Wenige aber, was dort noch übrig blieb, iſt<lb/> bey dem Übergang in das neuere Recht untergegangen,<lb/> und wir bemühen uns vergeblich, den todten Buchſtaben<lb/> feſtzuhalten. Wir können alſo, im gewöhnlichen Sinn des<lb/> Worts nicht ſagen, daß wir Etwas verloren hätten, wel-<lb/> ches zu beklagen wäre, deſſen Herſtellung wir verſuchen<lb/> möchten. Unſrer höchſten Aufmerkſamkeit werth aber iſt<lb/> hier Daſſelbe, was wir auch in anderen Theilen der<lb/> Rechtsentwicklung zu bewundern haben: der juriſtiſche<lb/> Kunſtſinn, womit die Römer dem höchſt mannichfaltigen<lb/> Rechtsſtoff, den ihnen das wirkliche Leben darbot, indivi-<lb/> duellen Character, und eine faſt unzerſtörliche Dauer zu<lb/> geben wußten. Daran können wir lernen, wenn wir die<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [144/0158]
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
im Lauf der Zeit war jene ſcharfe Scheidung von zweyer-
ley Obligationen mehr in den Hintergrund getreten; Was
ehemals ungleichartig erſchien, war nun zu einem Syſtem
gleichartiger Obligationen ausgebildet worden (k). Die
durchgreifende Veränderung der Gerichtsverfaſſung, wo-
durch alle Richtergeſchäfte ungetheilt in die Hände der
Obrigkeit gelegt wurden, entzog jener Einrichtung ihre
praktiſche Kraft, und ſo iſt Das, was wir davon in der
Juſtinianiſchen Geſetzgebung finden, nur noch ein Schat-
ten des urſprünglichen großartig einfachen Rechtsinſtituts.
Auch dieſes Wenige aber, was dort noch übrig blieb, iſt
bey dem Übergang in das neuere Recht untergegangen,
und wir bemühen uns vergeblich, den todten Buchſtaben
feſtzuhalten. Wir können alſo, im gewöhnlichen Sinn des
Worts nicht ſagen, daß wir Etwas verloren hätten, wel-
ches zu beklagen wäre, deſſen Herſtellung wir verſuchen
möchten. Unſrer höchſten Aufmerkſamkeit werth aber iſt
hier Daſſelbe, was wir auch in anderen Theilen der
Rechtsentwicklung zu bewundern haben: der juriſtiſche
Kunſtſinn, womit die Römer dem höchſt mannichfaltigen
Rechtsſtoff, den ihnen das wirkliche Leben darbot, indivi-
duellen Character, und eine faſt unzerſtörliche Dauer zu
geben wußten. Daran können wir lernen, wenn wir die
(k) Dieſer Entwicklungsgang
läßt ſich durch einige treffende Ana-
logieen anſchaulich machen. So
iſt das in bonis eine zweyte Art
von dominium geworden, die bo-
norum possessio eine zweyte Art
von hereditas; Beides war ur-
ſprünglich blos neben das alte
Rechtsinſtitut geſtellt, als rein
praktiſche Aushülfe in einzelnen
Fällen des Bedürfniſſes.
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