Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung.
Hier ist also das Recht selbst vernichtet, welches beiden
Klagen zum Grunde lag, woraus die Vernichtung der
Klagen von selbst folgt (§ 230), so daß es keiner künst-
lichen Anstalt bedarf, um die zweyte Klage abzuwenden,
wenn durch die erste bereits die Erfüllung erzwungen wor-
den ist.

Anders verhält es sich in den zahlreicheren und man-
nichfaltigeren Fällen, worin zwey Klagen nicht auf einer
identischen Obligation beruhen, aber doch der Zweck der
einen durch den Erfolg der andern Klage ganz oder theil-
weise erreicht worden ist. Hierin liegt eine indirecte Be-
friedigung des Berechtigten für die noch nicht gebrauchte
Klage (§ 230). Sollte diese nun dennoch angestellt wer-
den, blos weil die geleistete Erfüllung nicht unmittelbar
auf die dieser Klage zum Grund liegende Obligation be-
zogen war, so würde der Kläger zwar den Buchstaben
des Rechts für sich haben, aber im Widerspruch mit der
aequitas, und diesen Misbrauch zu verhüten dient dasselbe
Rechtsmittel, das auch in allen anderen Fällen zu diesem
Zweck benutzt wird: eine Exception, die bald doli, bald in
factum
genannt wird.

Dieses ist das Princip, welches folgende Stelle des
Gajus allgemein ausspricht (b):
Bona fides non patitur, ut bis idem exigatur.

Mit Unrecht haben Dasselbe Manche als das allge-
meine Princip aller Concurrenz angesehen. Wo die gelei-

(b) L. 57 de R. J. (50. 17.).

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Hier iſt alſo das Recht ſelbſt vernichtet, welches beiden
Klagen zum Grunde lag, woraus die Vernichtung der
Klagen von ſelbſt folgt (§ 230), ſo daß es keiner künſt-
lichen Anſtalt bedarf, um die zweyte Klage abzuwenden,
wenn durch die erſte bereits die Erfüllung erzwungen wor-
den iſt.

Anders verhält es ſich in den zahlreicheren und man-
nichfaltigeren Fällen, worin zwey Klagen nicht auf einer
identiſchen Obligation beruhen, aber doch der Zweck der
einen durch den Erfolg der andern Klage ganz oder theil-
weiſe erreicht worden iſt. Hierin liegt eine indirecte Be-
friedigung des Berechtigten für die noch nicht gebrauchte
Klage (§ 230). Sollte dieſe nun dennoch angeſtellt wer-
den, blos weil die geleiſtete Erfüllung nicht unmittelbar
auf die dieſer Klage zum Grund liegende Obligation be-
zogen war, ſo würde der Kläger zwar den Buchſtaben
des Rechts für ſich haben, aber im Widerſpruch mit der
aequitas, und dieſen Misbrauch zu verhüten dient daſſelbe
Rechtsmittel, das auch in allen anderen Fällen zu dieſem
Zweck benutzt wird: eine Exception, die bald doli, bald in
factum
genannt wird.

Dieſes iſt das Princip, welches folgende Stelle des
Gajus allgemein ausſpricht (b):
Bona fides non patitur, ut bis idem exigatur.

Mit Unrecht haben Daſſelbe Manche als das allge-
meine Princip aller Concurrenz angeſehen. Wo die gelei-

(b) L. 57 de R. J. (50. 17.).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0274" n="260"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;e. Kap. <hi rendition="#aq">IV.</hi> Verletzung.</fw><lb/>
Hier i&#x017F;t al&#x017F;o das Recht &#x017F;elb&#x017F;t vernichtet, welches beiden<lb/>
Klagen zum Grunde lag, woraus die Vernichtung der<lb/>
Klagen von &#x017F;elb&#x017F;t folgt (§ 230), &#x017F;o daß es keiner kün&#x017F;t-<lb/>
lichen An&#x017F;talt bedarf, um die zweyte Klage abzuwenden,<lb/>
wenn durch die er&#x017F;te bereits die Erfüllung erzwungen wor-<lb/>
den i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Anders verhält es &#x017F;ich in den zahlreicheren und man-<lb/>
nichfaltigeren Fällen, worin zwey Klagen nicht auf einer<lb/>
identi&#x017F;chen Obligation beruhen, aber doch der Zweck der<lb/>
einen durch den Erfolg der andern Klage ganz oder theil-<lb/>
wei&#x017F;e erreicht worden i&#x017F;t. Hierin liegt eine indirecte Be-<lb/>
friedigung des Berechtigten für die noch nicht gebrauchte<lb/>
Klage (§ 230). Sollte die&#x017F;e nun dennoch ange&#x017F;tellt wer-<lb/>
den, blos weil die gelei&#x017F;tete Erfüllung nicht unmittelbar<lb/>
auf die die&#x017F;er Klage zum Grund liegende Obligation be-<lb/>
zogen war, &#x017F;o würde der Kläger zwar den Buch&#x017F;taben<lb/>
des Rechts für &#x017F;ich haben, aber im Wider&#x017F;pruch mit der<lb/><hi rendition="#aq">aequitas,</hi> und die&#x017F;en Misbrauch zu verhüten dient da&#x017F;&#x017F;elbe<lb/>
Rechtsmittel, das auch in allen anderen Fällen zu die&#x017F;em<lb/>
Zweck benutzt wird: eine Exception, die bald <hi rendition="#aq">doli,</hi> bald <hi rendition="#aq">in<lb/>
factum</hi> genannt wird.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;es i&#x017F;t das Princip, welches folgende Stelle des<lb/>
Gajus allgemein aus&#x017F;pricht <note place="foot" n="(b)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 57 <hi rendition="#i">de R. J.</hi></hi> (50. 17.).</note>:<lb/><hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">Bona fides non patitur, ut bis idem exigatur.</hi></hi></p><lb/>
            <p>Mit Unrecht haben Da&#x017F;&#x017F;elbe Manche als das allge-<lb/>
meine Princip aller Concurrenz ange&#x017F;ehen. Wo die gelei-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[260/0274] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. Hier iſt alſo das Recht ſelbſt vernichtet, welches beiden Klagen zum Grunde lag, woraus die Vernichtung der Klagen von ſelbſt folgt (§ 230), ſo daß es keiner künſt- lichen Anſtalt bedarf, um die zweyte Klage abzuwenden, wenn durch die erſte bereits die Erfüllung erzwungen wor- den iſt. Anders verhält es ſich in den zahlreicheren und man- nichfaltigeren Fällen, worin zwey Klagen nicht auf einer identiſchen Obligation beruhen, aber doch der Zweck der einen durch den Erfolg der andern Klage ganz oder theil- weiſe erreicht worden iſt. Hierin liegt eine indirecte Be- friedigung des Berechtigten für die noch nicht gebrauchte Klage (§ 230). Sollte dieſe nun dennoch angeſtellt wer- den, blos weil die geleiſtete Erfüllung nicht unmittelbar auf die dieſer Klage zum Grund liegende Obligation be- zogen war, ſo würde der Kläger zwar den Buchſtaben des Rechts für ſich haben, aber im Widerſpruch mit der aequitas, und dieſen Misbrauch zu verhüten dient daſſelbe Rechtsmittel, das auch in allen anderen Fällen zu dieſem Zweck benutzt wird: eine Exception, die bald doli, bald in factum genannt wird. Dieſes iſt das Princip, welches folgende Stelle des Gajus allgemein ausſpricht (b): Bona fides non patitur, ut bis idem exigatur. Mit Unrecht haben Daſſelbe Manche als das allge- meine Princip aller Concurrenz angeſehen. Wo die gelei- (b) L. 57 de R. J. (50. 17.).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/274
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/274>, abgerufen am 23.12.2024.