Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite
§. 216. In jus, in factum conceptae formulae.

Es ist möglich, daß auch noch andere Wirkungen mit
jenem Unterschied der Prozeßform verbunden waren, aber
wir kennen solche nicht. Die Wirkungen, die man wohl in
neuerer Zeit anzugeben versucht hat, sind ohne Grund,
wie nunmehr gezeigt werden soll.

Vor Allem ist die Ansicht zu verwerfen, nach welcher
der Gebrauch beider Formeln dadurch bestimmt seyn soll,
ob der Streit auf die Wahrheit von Thatsachen gerichtet
war (in factum), oder auf die rechtliche Beurtheilung
unbestrittener Thatsachen (in jus) (n). Dazu kann höch-
stens der Klang der Worte verleiten (o), bey genaue-
rer Erwägung muß diese Annahme als völlig unhaltbar
erscheinen. Denn die allermeisten Klagen hatten nur Eine
formula, und doch hängt es von den zufälligen Umständen
jedes einzelnen Rechtsfalles ab, ob gerade Thatsachen be-
stritten werden oder nicht, so daß, wenn jene Annahme
richtig wäre, jede Klage ohne Ausnahme mit zwey For-
meln hätte versehen seyn müssen. Und wie hätte es end-
lich in den sehr zahlreichen Prozessen gehalten werden sol-

cher nicht fähig, denn man konnte
z. B. bey der publiciana actio
von ihm nicht sagen, daß unter
Voraussetzung der vollendeten Usu-
capionszeit Er Eigenthümer ge-
worden seyn würde; er konnte es
in keiner Zeit werden, so lange er
filius familias blieb.
(n) Dieses ist die Meynung von
Dupont in Comm. IV. Inst. Gaji,
Leodii 1821. p.
71 -- 76.
(o) Außer dem in den Worten
jus und factum liegenden Schein
täuschte noch der Umstand, daß in
den beyden Formularen bey Gajus
IV.
§ 47 die Worte Si paret nur
für die Formel in factum gebraucht
werden. Allein anderwärts kom-
men dieselben Worte auch bey ei-
ner formula in jus concepta
vor. Gajus IV. § 34. 41. 86. Ci-
cero
pro Roscio Comoedo C.
4.
§. 216. In jus, in factum conceptae formulae.

Es iſt möglich, daß auch noch andere Wirkungen mit
jenem Unterſchied der Prozeßform verbunden waren, aber
wir kennen ſolche nicht. Die Wirkungen, die man wohl in
neuerer Zeit anzugeben verſucht hat, ſind ohne Grund,
wie nunmehr gezeigt werden ſoll.

Vor Allem iſt die Anſicht zu verwerfen, nach welcher
der Gebrauch beider Formeln dadurch beſtimmt ſeyn ſoll,
ob der Streit auf die Wahrheit von Thatſachen gerichtet
war (in factum), oder auf die rechtliche Beurtheilung
unbeſtrittener Thatſachen (in jus) (n). Dazu kann höch-
ſtens der Klang der Worte verleiten (o), bey genaue-
rer Erwägung muß dieſe Annahme als völlig unhaltbar
erſcheinen. Denn die allermeiſten Klagen hatten nur Eine
formula, und doch hängt es von den zufälligen Umſtänden
jedes einzelnen Rechtsfalles ab, ob gerade Thatſachen be-
ſtritten werden oder nicht, ſo daß, wenn jene Annahme
richtig wäre, jede Klage ohne Ausnahme mit zwey For-
meln hätte verſehen ſeyn müſſen. Und wie hätte es end-
lich in den ſehr zahlreichen Prozeſſen gehalten werden ſol-

cher nicht fähig, denn man konnte
z. B. bey der publiciana actio
von ihm nicht ſagen, daß unter
Vorausſetzung der vollendeten Uſu-
capionszeit Er Eigenthümer ge-
worden ſeyn würde; er konnte es
in keiner Zeit werden, ſo lange er
filius familias blieb.
(n) Dieſes iſt die Meynung von
Dupont in Comm. IV. Inst. Gaji,
Leodii 1821. p.
71 — 76.
(o) Außer dem in den Worten
jus und factum liegenden Schein
täuſchte noch der Umſtand, daß in
den beyden Formularen bey Gajus
IV.
§ 47 die Worte Si paret nur
für die Formel in factum gebraucht
werden. Allein anderwärts kom-
men dieſelben Worte auch bey ei-
ner formula in jus concepta
vor. Gajus IV. § 34. 41. 86. Ci-
cero
pro Roscio Comoedo C.
4.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0099" n="85"/>
            <fw place="top" type="header">§. 216. <hi rendition="#aq">In jus, in factum conceptae formulae.</hi></fw><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t möglich, daß auch noch andere Wirkungen mit<lb/>
jenem Unter&#x017F;chied der Prozeßform verbunden waren, aber<lb/>
wir kennen &#x017F;olche nicht. Die Wirkungen, die man wohl in<lb/>
neuerer Zeit anzugeben ver&#x017F;ucht hat, &#x017F;ind ohne Grund,<lb/>
wie nunmehr gezeigt werden &#x017F;oll.</p><lb/>
            <p>Vor Allem i&#x017F;t die An&#x017F;icht zu verwerfen, nach welcher<lb/>
der Gebrauch beider Formeln dadurch be&#x017F;timmt &#x017F;eyn &#x017F;oll,<lb/>
ob der Streit auf die Wahrheit von That&#x017F;achen gerichtet<lb/>
war (<hi rendition="#aq">in factum</hi>), oder auf die rechtliche Beurtheilung<lb/>
unbe&#x017F;trittener That&#x017F;achen (<hi rendition="#aq">in jus</hi>) <note place="foot" n="(n)">Die&#x017F;es i&#x017F;t die Meynung von<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Dupont</hi> in Comm. IV. Inst. Gaji,<lb/>
Leodii 1821. p.</hi> 71 &#x2014; 76.</note>. Dazu kann höch-<lb/>
&#x017F;tens der Klang der Worte verleiten <note place="foot" n="(o)">Außer dem in den Worten<lb/><hi rendition="#aq">jus</hi> und <hi rendition="#aq">factum</hi> liegenden Schein<lb/>
täu&#x017F;chte noch der Um&#x017F;tand, daß in<lb/>
den beyden Formularen bey <hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Gajus</hi><lb/>
IV.</hi> § 47 die Worte <hi rendition="#aq">Si paret</hi> nur<lb/>
für die Formel <hi rendition="#aq">in factum</hi> gebraucht<lb/>
werden. Allein anderwärts kom-<lb/>
men die&#x017F;elben Worte auch bey ei-<lb/>
ner <hi rendition="#aq">formula in jus concepta</hi><lb/>
vor. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Gajus</hi> IV. § 34. 41. 86. <hi rendition="#k">Ci-<lb/>
cero</hi> pro Roscio Comoedo C.</hi> 4.</note>, bey genaue-<lb/>
rer Erwägung muß die&#x017F;e Annahme als völlig unhaltbar<lb/>
er&#x017F;cheinen. Denn die allermei&#x017F;ten Klagen hatten nur Eine<lb/><hi rendition="#aq">formula,</hi> und doch hängt es von den zufälligen Um&#x017F;tänden<lb/>
jedes einzelnen Rechtsfalles ab, ob gerade That&#x017F;achen be-<lb/>
&#x017F;tritten werden oder nicht, &#x017F;o daß, wenn jene Annahme<lb/>
richtig wäre, jede Klage ohne Ausnahme mit zwey For-<lb/>
meln hätte ver&#x017F;ehen &#x017F;eyn mü&#x017F;&#x017F;en. Und wie hätte es end-<lb/>
lich in den &#x017F;ehr zahlreichen Proze&#x017F;&#x017F;en gehalten werden &#x017F;ol-<lb/><note xml:id="seg2pn_13_2" prev="#seg2pn_13_1" place="foot" n="(m)">cher nicht fähig, denn man konnte<lb/>
z. B. bey der <hi rendition="#aq">publiciana actio</hi><lb/>
von ihm nicht &#x017F;agen, daß unter<lb/>
Voraus&#x017F;etzung der vollendeten U&#x017F;u-<lb/>
capionszeit <hi rendition="#g">Er</hi> Eigenthümer ge-<lb/>
worden &#x017F;eyn würde; er konnte es<lb/>
in keiner Zeit werden, &#x017F;o lange er<lb/><hi rendition="#aq">filius familias</hi> blieb.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0099] §. 216. In jus, in factum conceptae formulae. Es iſt möglich, daß auch noch andere Wirkungen mit jenem Unterſchied der Prozeßform verbunden waren, aber wir kennen ſolche nicht. Die Wirkungen, die man wohl in neuerer Zeit anzugeben verſucht hat, ſind ohne Grund, wie nunmehr gezeigt werden ſoll. Vor Allem iſt die Anſicht zu verwerfen, nach welcher der Gebrauch beider Formeln dadurch beſtimmt ſeyn ſoll, ob der Streit auf die Wahrheit von Thatſachen gerichtet war (in factum), oder auf die rechtliche Beurtheilung unbeſtrittener Thatſachen (in jus) (n). Dazu kann höch- ſtens der Klang der Worte verleiten (o), bey genaue- rer Erwägung muß dieſe Annahme als völlig unhaltbar erſcheinen. Denn die allermeiſten Klagen hatten nur Eine formula, und doch hängt es von den zufälligen Umſtänden jedes einzelnen Rechtsfalles ab, ob gerade Thatſachen be- ſtritten werden oder nicht, ſo daß, wenn jene Annahme richtig wäre, jede Klage ohne Ausnahme mit zwey For- meln hätte verſehen ſeyn müſſen. Und wie hätte es end- lich in den ſehr zahlreichen Prozeſſen gehalten werden ſol- (m) (n) Dieſes iſt die Meynung von Dupont in Comm. IV. Inst. Gaji, Leodii 1821. p. 71 — 76. (o) Außer dem in den Worten jus und factum liegenden Schein täuſchte noch der Umſtand, daß in den beyden Formularen bey Gajus IV. § 47 die Worte Si paret nur für die Formel in factum gebraucht werden. Allein anderwärts kom- men dieſelben Worte auch bey ei- ner formula in jus concepta vor. Gajus IV. § 34. 41. 86. Ci- cero pro Roscio Comoedo C. 4. (m) cher nicht fähig, denn man konnte z. B. bey der publiciana actio von ihm nicht ſagen, daß unter Vorausſetzung der vollendeten Uſu- capionszeit Er Eigenthümer ge- worden ſeyn würde; er konnte es in keiner Zeit werden, ſo lange er filius familias blieb.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/99
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/99>, abgerufen am 22.12.2024.