Irrthum Raum lassen konnte, als ob diese Exception auch durch ein nicht rechtskräftiges, vielleicht gar von einem höheren Richter abgeändertes Urtheil begründet werden könnte. Dennoch fiel es gewiß Keinem ein, so etwas zu glauben, und die Gefahr war auch schon dadurch praktisch ganz unerheblich, daß in allen Fällen solcher Art ohnehin schon eine exceptio rei in judicium deductae damals wirk- lich begründet war, die ungefähr dieselben Wirkungen her- vor brachte, wie die exceptio rei judicatae (§. 281).
Das canonische Recht änderte den Sprachgebrauch, und führte ganz denjenigen ein, dessen wir seitdem uns allge- mein bedienen (d). Nun heißt res judicata nicht mehr ein Urtheil überhaupt, sondern ein rechtskräftiges Urtheil, d. h. ein solches, dem nicht mehr eine mögliche Abänderung in einer ferneren Instanz bevorsteht.
Wird nun überhaupt ein Instanzenzug und eine den- selben völlig ausschließende Rechtskraft vorausgesetzt, so ist eine Anwendung dieser Verhältnisse auch auf das Innere des Prozeßverfahrens denkbar. Man kann auch bei manchen Aussprüchen des Richters, welche nicht zur Ent- scheidung des Rechtsstreits selbst, sondern nur zur Vorbe- reitung dieser Entscheidung bestimmt sind, z. B. bei pro- zeßleitenden Decreten, oder bei Beweiserkenntnissen, die Unabänderlichkeit, d. h. die Rechtskraft, und zu deren Ab- wendung eine Berufung auf höhere Instanzen annehmen.
Irrthum Raum laſſen konnte, als ob dieſe Exception auch durch ein nicht rechtskräftiges, vielleicht gar von einem höheren Richter abgeändertes Urtheil begründet werden könnte. Dennoch fiel es gewiß Keinem ein, ſo etwas zu glauben, und die Gefahr war auch ſchon dadurch praktiſch ganz unerheblich, daß in allen Fällen ſolcher Art ohnehin ſchon eine exceptio rei in judicium deductae damals wirk- lich begründet war, die ungefähr dieſelben Wirkungen her- vor brachte, wie die exceptio rei judicatae (§. 281).
Das canoniſche Recht änderte den Sprachgebrauch, und führte ganz denjenigen ein, deſſen wir ſeitdem uns allge- mein bedienen (d). Nun heißt res judicata nicht mehr ein Urtheil überhaupt, ſondern ein rechtskräftiges Urtheil, d. h. ein ſolches, dem nicht mehr eine mögliche Abänderung in einer ferneren Inſtanz bevorſteht.
Wird nun überhaupt ein Inſtanzenzug und eine den- ſelben völlig ausſchließende Rechtskraft vorausgeſetzt, ſo iſt eine Anwendung dieſer Verhältniſſe auch auf das Innere des Prozeßverfahrens denkbar. Man kann auch bei manchen Ausſprüchen des Richters, welche nicht zur Ent- ſcheidung des Rechtsſtreits ſelbſt, ſondern nur zur Vorbe- reitung dieſer Entſcheidung beſtimmt ſind, z. B. bei pro- zeßleitenden Decreten, oder bei Beweiserkenntniſſen, die Unabänderlichkeit, d. h. die Rechtskraft, und zu deren Ab- wendung eine Berufung auf höhere Inſtanzen annehmen.
(d)C. 13. 15 X. de sentent. (2. 27).
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§. 285. Rechtskraft. Formelle Bedingungen. (Fortſ.)
Irrthum Raum laſſen konnte, als ob dieſe Exception auch
durch ein nicht rechtskräftiges, vielleicht gar von einem
höheren Richter abgeändertes Urtheil begründet werden
könnte. Dennoch fiel es gewiß Keinem ein, ſo etwas zu
glauben, und die Gefahr war auch ſchon dadurch praktiſch
ganz unerheblich, daß in allen Fällen ſolcher Art ohnehin
ſchon eine exceptio rei in judicium deductae damals wirk-
lich begründet war, die ungefähr dieſelben Wirkungen her-
vor brachte, wie die exceptio rei judicatae (§. 281).
Das canoniſche Recht änderte den Sprachgebrauch, und
führte ganz denjenigen ein, deſſen wir ſeitdem uns allge-
mein bedienen (d). Nun heißt res judicata nicht mehr ein
Urtheil überhaupt, ſondern ein rechtskräftiges Urtheil, d. h.
ein ſolches, dem nicht mehr eine mögliche Abänderung in
einer ferneren Inſtanz bevorſteht.
Wird nun überhaupt ein Inſtanzenzug und eine den-
ſelben völlig ausſchließende Rechtskraft vorausgeſetzt, ſo iſt
eine Anwendung dieſer Verhältniſſe auch auf das Innere
des Prozeßverfahrens denkbar. Man kann auch bei
manchen Ausſprüchen des Richters, welche nicht zur Ent-
ſcheidung des Rechtsſtreits ſelbſt, ſondern nur zur Vorbe-
reitung dieſer Entſcheidung beſtimmt ſind, z. B. bei pro-
zeßleitenden Decreten, oder bei Beweiserkenntniſſen, die
Unabänderlichkeit, d. h. die Rechtskraft, und zu deren Ab-
wendung eine Berufung auf höhere Inſtanzen annehmen.
(d) C. 13. 15 X. de sentent. (2. 27).
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/317>, abgerufen am 24.11.2024.
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