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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung.

Wollte man etwa eine Widerlegung dieser Auslegung
des Gesetzes aus dem Umstande hernehmen, daß in der
Praxis die Urtheile anders abgefaßt werden, als es nach
dieser Auslegung des § 36 geschehen müßte, fo könnte ich
diese Widerlegung nicht anerkennen. Ob die Praxis hierin
von dem Gesetz abgewichen ist, ja ob sie vielleicht durch
Gründe der Zweckmäßigkeit zu dieser Abweichung bestimmt
seyn mag, ist für unsere Frage völlig gleichgültig. Es
kommt dabei lediglich auf den wahren Sinn des Gesetzes
selbst an, und aus diesem von mir festgestellten Sinn folgt,
daß unser Prozeßgesetz die Rechtskraft der objectiven
Gründe deutlich gedacht und gewollt hat. Es hat diese
Rechtskraft sogar dadurch zu sichern gesucht, daß es solche
Stücke, die in der That die objectiven Gründe in sich
schließen, in die Urtheilsformel selbst aufzunehmen vorge-
schrieben hat.



Ich will nun in chronologischer Ordnung zusammen-
stellen, welche Äußerungen der, auf dem Boden jener Ge-
setze erwachsenen Praxis zur öffentlichen Kunde gekommen

Präjudicialpunkte vgl. Beth-
mann-Hollweg
Versuche S. 123
bis 137, und A. G. O. I. 5 § 29. --
Ich habe geglaubt, diese Frage
etwas ausführlich behandeln zu
müssen, weil neuerlich eine will-
kührlich einschränkende Erklärung
des § 36 versucht worden ist.
Waldeck im neuen Archiv für
Preußisches Recht, Jahrg. 7 (1841)
S. 469 -- 471. Er selbst giebt
aber zu, daß die legitimatio
ad causam
zu den Präjudicial-
punkten gehört (worüber der § 36
einen Ausspruch verlangt), und
wenn diese ein Gegenstand des
Urtheils, also rechtskräftig wird,
so ist eigentlich schon die ganze
Rechtskraft der Gründe im Prin-
zip anerkannt.
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Wollte man etwa eine Widerlegung dieſer Auslegung
des Geſetzes aus dem Umſtande hernehmen, daß in der
Praxis die Urtheile anders abgefaßt werden, als es nach
dieſer Auslegung des § 36 geſchehen müßte, fo könnte ich
dieſe Widerlegung nicht anerkennen. Ob die Praxis hierin
von dem Geſetz abgewichen iſt, ja ob ſie vielleicht durch
Gründe der Zweckmäßigkeit zu dieſer Abweichung beſtimmt
ſeyn mag, iſt für unſere Frage völlig gleichgültig. Es
kommt dabei lediglich auf den wahren Sinn des Geſetzes
ſelbſt an, und aus dieſem von mir feſtgeſtellten Sinn folgt,
daß unſer Prozeßgeſetz die Rechtskraft der objectiven
Gründe deutlich gedacht und gewollt hat. Es hat dieſe
Rechtskraft ſogar dadurch zu ſichern geſucht, daß es ſolche
Stücke, die in der That die objectiven Gründe in ſich
ſchließen, in die Urtheilsformel ſelbſt aufzunehmen vorge-
ſchrieben hat.



Ich will nun in chronologiſcher Ordnung zuſammen-
ſtellen, welche Äußerungen der, auf dem Boden jener Ge-
ſetze erwachſenen Praxis zur öffentlichen Kunde gekommen

Präjudicialpunkte vgl. Beth-
mann-Hollweg
Verſuche S. 123
bis 137, und A. G. O. I. 5 § 29. —
Ich habe geglaubt, dieſe Frage
etwas ausführlich behandeln zu
müſſen, weil neuerlich eine will-
kührlich einſchränkende Erklärung
des § 36 verſucht worden iſt.
Waldeck im neuen Archiv für
Preußiſches Recht, Jahrg. 7 (1841)
S. 469 — 471. Er ſelbſt giebt
aber zu, daß die legitimatio
ad causam
zu den Präjudicial-
punkten gehört (worüber der § 36
einen Ausſpruch verlangt), und
wenn dieſe ein Gegenſtand des
Urtheils, alſo rechtskräftig wird,
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Rechtskraft der Gründe im Prin-
zip anerkannt.
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[400/0418] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. Wollte man etwa eine Widerlegung dieſer Auslegung des Geſetzes aus dem Umſtande hernehmen, daß in der Praxis die Urtheile anders abgefaßt werden, als es nach dieſer Auslegung des § 36 geſchehen müßte, fo könnte ich dieſe Widerlegung nicht anerkennen. Ob die Praxis hierin von dem Geſetz abgewichen iſt, ja ob ſie vielleicht durch Gründe der Zweckmäßigkeit zu dieſer Abweichung beſtimmt ſeyn mag, iſt für unſere Frage völlig gleichgültig. Es kommt dabei lediglich auf den wahren Sinn des Geſetzes ſelbſt an, und aus dieſem von mir feſtgeſtellten Sinn folgt, daß unſer Prozeßgeſetz die Rechtskraft der objectiven Gründe deutlich gedacht und gewollt hat. Es hat dieſe Rechtskraft ſogar dadurch zu ſichern geſucht, daß es ſolche Stücke, die in der That die objectiven Gründe in ſich ſchließen, in die Urtheilsformel ſelbſt aufzunehmen vorge- ſchrieben hat. Ich will nun in chronologiſcher Ordnung zuſammen- ſtellen, welche Äußerungen der, auf dem Boden jener Ge- ſetze erwachſenen Praxis zur öffentlichen Kunde gekommen (i) (i) Präjudicialpunkte vgl. Beth- mann-Hollweg Verſuche S. 123 bis 137, und A. G. O. I. 5 § 29. — Ich habe geglaubt, dieſe Frage etwas ausführlich behandeln zu müſſen, weil neuerlich eine will- kührlich einſchränkende Erklärung des § 36 verſucht worden iſt. Waldeck im neuen Archiv für Preußiſches Recht, Jahrg. 7 (1841) S. 469 — 471. Er ſelbſt giebt aber zu, daß die legitimatio ad causam zu den Präjudicial- punkten gehört (worüber der § 36 einen Ausſpruch verlangt), und wenn dieſe ein Gegenſtand des Urtheils, alſo rechtskräftig wird, ſo iſt eigentlich ſchon die ganze Rechtskraft der Gründe im Prin- zip anerkannt.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/418>, abgerufen am 22.11.2024.