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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849.

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§. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen.
Fassung eines Vertrags, also aus den Ausdrücken desselben,
entspringen. Das ist eine thatsächliche Frage, eben so wie
bei der Gesetzauslegung; sie ist hier und dort gerichtet auf
die Erkenntniß des wahren Gedankens, den die gebrauchte
mündliche oder schriftliche Rede in sich enthält (c). Bei
dieser Frage nun ist gar nicht die Rede von der Anwen-
dung irgend eines örtlichen Rechts, wohl aber kann der
örtliche Sprachgebrauch oft dazu dienen, den Gedanken
der Person erkennen zu lassen, von welcher die Willens-
erklärung herrührt. Fragen wir nun nach dem Ort, dessen
Sprachgebrauch zu berücksichtigen ist, so können dabei die
Regeln über das anwendbare örtliche Recht nicht maaßge-
bend seyn, und es ist ganz grundlos, wenn Manche auf
den Entstehungsort oder den Erfüllungsort der Obligation
blos deswegen verweisen, weil sich nach diesen Orten das
anwendbare örtliche Recht in vielen Fällen richtet.

So wird bei einem durch Briefwechsel geschlossenen
Vertrag in der Regel der Sprachgebrauch des Ortes zu
beachten seyn, an welchem der Verfasser des ersten Schrei-
bens wohnt, nicht der Ort des Empfanges und der An-
nahme, obgleich an diesem letzten Ort der Vertrag als ab-
geschlossen anzusehen ist (S. 235) (d); denn es ist anzu-

(c) S. o. B. 3 S. 244. --
So drücken sich auch die Römischen
Juristen aus. L. 34 de R. J.
(50. 17) "id sequimur, quod
actum est". L. 114 eod. "In
obscuris inspici solere, quod
verisimilius est,
aut quod ple-
rumque fieri solet
".
(d) Wächter a. a. O., S. 117.
Er erläutert diesen Satz durch
folgenden Rechtsfall. Eine Leip-
ziger Versicherungsgesellschaft hatte

§. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen.
Faſſung eines Vertrags, alſo aus den Ausdrücken deſſelben,
entſpringen. Das iſt eine thatſächliche Frage, eben ſo wie
bei der Geſetzauslegung; ſie iſt hier und dort gerichtet auf
die Erkenntniß des wahren Gedankens, den die gebrauchte
mündliche oder ſchriftliche Rede in ſich enthält (c). Bei
dieſer Frage nun iſt gar nicht die Rede von der Anwen-
dung irgend eines örtlichen Rechts, wohl aber kann der
örtliche Sprachgebrauch oft dazu dienen, den Gedanken
der Perſon erkennen zu laſſen, von welcher die Willens-
erklärung herrührt. Fragen wir nun nach dem Ort, deſſen
Sprachgebrauch zu berückſichtigen iſt, ſo können dabei die
Regeln über das anwendbare örtliche Recht nicht maaßge-
bend ſeyn, und es iſt ganz grundlos, wenn Manche auf
den Entſtehungsort oder den Erfüllungsort der Obligation
blos deswegen verweiſen, weil ſich nach dieſen Orten das
anwendbare örtliche Recht in vielen Fällen richtet.

So wird bei einem durch Briefwechſel geſchloſſenen
Vertrag in der Regel der Sprachgebrauch des Ortes zu
beachten ſeyn, an welchem der Verfaſſer des erſten Schrei-
bens wohnt, nicht der Ort des Empfanges und der An-
nahme, obgleich an dieſem letzten Ort der Vertrag als ab-
geſchloſſen anzuſehen iſt (S. 235) (d); denn es iſt anzu-

(c) S. o. B. 3 S. 244. —
So drücken ſich auch die Römiſchen
Juriſten aus. L. 34 de R. J.
(50. 17) „id sequimur, quod
actum est“. L. 114 eod. „In
obscuris inspici solere, quod
verisimilius est,
aut quod ple-
rumque fieri solet
“.
(d) Wächter a. a. O., S. 117.
Er erläutert dieſen Satz durch
folgenden Rechtsfall. Eine Leip-
ziger Verſicherungsgeſellſchaft hatte
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[265/0287] §. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen. Faſſung eines Vertrags, alſo aus den Ausdrücken deſſelben, entſpringen. Das iſt eine thatſächliche Frage, eben ſo wie bei der Geſetzauslegung; ſie iſt hier und dort gerichtet auf die Erkenntniß des wahren Gedankens, den die gebrauchte mündliche oder ſchriftliche Rede in ſich enthält (c). Bei dieſer Frage nun iſt gar nicht die Rede von der Anwen- dung irgend eines örtlichen Rechts, wohl aber kann der örtliche Sprachgebrauch oft dazu dienen, den Gedanken der Perſon erkennen zu laſſen, von welcher die Willens- erklärung herrührt. Fragen wir nun nach dem Ort, deſſen Sprachgebrauch zu berückſichtigen iſt, ſo können dabei die Regeln über das anwendbare örtliche Recht nicht maaßge- bend ſeyn, und es iſt ganz grundlos, wenn Manche auf den Entſtehungsort oder den Erfüllungsort der Obligation blos deswegen verweiſen, weil ſich nach dieſen Orten das anwendbare örtliche Recht in vielen Fällen richtet. So wird bei einem durch Briefwechſel geſchloſſenen Vertrag in der Regel der Sprachgebrauch des Ortes zu beachten ſeyn, an welchem der Verfaſſer des erſten Schrei- bens wohnt, nicht der Ort des Empfanges und der An- nahme, obgleich an dieſem letzten Ort der Vertrag als ab- geſchloſſen anzuſehen iſt (S. 235) (d); denn es iſt anzu- (c) S. o. B. 3 S. 244. — So drücken ſich auch die Römiſchen Juriſten aus. L. 34 de R. J. (50. 17) „id sequimur, quod actum est“. L. 114 eod. „In obscuris inspici solere, quod verisimilius est, aut quod ple- rumque fieri solet“. (d) Wächter a. a. O., S. 117. Er erläutert dieſen Satz durch folgenden Rechtsfall. Eine Leip- ziger Verſicherungsgeſellſchaft hatte

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/287>, abgerufen am 26.11.2024.