Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
Diesem Grundsatz soll weder seine Wahrheit, noch seine Wichtigkeit bestritten werden. Dennoch kann die herrschende Auffassung und Darstellung desselben als befriedigend nicht anerkannt werden, indem man ihn als allgemein anwendbar zu behandeln pflegt, während er nur für Eine Gattung von Rechtsregeln wahr, für eine andere Gattung aber völlig unwahr ist.
Auf den ersten Blick möchte man geneigt seyn, dem hier angedeuteten Gegensatz der Auffassungen eine größere Wichtigkeit beizulegen, als ihm in der That gebührt, indem man glauben könnte, die hier getadelte Behandlung der Sache müßte dahin führen, die vorkommenden praktischen Rechtsfragen großentheils irrig zu entscheiden. Dem ist aber nicht also. Wo ein so bedenklicher, einschneidender Erfolg zu erwarten wäre, der sich dann durch den Versuch einer strengen Durchführung von selbst als unmöglich dar- stellen würde, pflegt man dadurch abzuhelfen, daß man Ausnahmen des angeblich allgemeinen Grundsatzes behaup- tet. Aber eben diese Aushülfe durch bloße Ausnahmen ist es, die hier völlig verworfen werden muß, welches unten ausführlich dargethan werden wird (§ 398). Und so muß ich bei dem erhobenen Widerspruch gegen die gewöhnlich angenommene Allgemeingültigkeit jenes Grundsatzes beharren, wenngleich diese irrige Annahme eine geringere Gefahr praktischer Folgen mit sich führt, als man glauben möchte.
Um nun das Gebiet, in welchem der angegebene Grund- satz in der That anzuerkennen ist, näher zu begränzen,
Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
Dieſem Grundſatz ſoll weder ſeine Wahrheit, noch ſeine Wichtigkeit beſtritten werden. Dennoch kann die herrſchende Auffaſſung und Darſtellung deſſelben als befriedigend nicht anerkannt werden, indem man ihn als allgemein anwendbar zu behandeln pflegt, während er nur für Eine Gattung von Rechtsregeln wahr, für eine andere Gattung aber völlig unwahr iſt.
Auf den erſten Blick möchte man geneigt ſeyn, dem hier angedeuteten Gegenſatz der Auffaſſungen eine größere Wichtigkeit beizulegen, als ihm in der That gebührt, indem man glauben könnte, die hier getadelte Behandlung der Sache müßte dahin führen, die vorkommenden praktiſchen Rechtsfragen großentheils irrig zu entſcheiden. Dem iſt aber nicht alſo. Wo ein ſo bedenklicher, einſchneidender Erfolg zu erwarten wäre, der ſich dann durch den Verſuch einer ſtrengen Durchführung von ſelbſt als unmöglich dar- ſtellen würde, pflegt man dadurch abzuhelfen, daß man Ausnahmen des angeblich allgemeinen Grundſatzes behaup- tet. Aber eben dieſe Aushülfe durch bloße Ausnahmen iſt es, die hier völlig verworfen werden muß, welches unten ausführlich dargethan werden wird (§ 398). Und ſo muß ich bei dem erhobenen Widerſpruch gegen die gewöhnlich angenommene Allgemeingültigkeit jenes Grundſatzes beharren, wenngleich dieſe irrige Annahme eine geringere Gefahr praktiſcher Folgen mit ſich führt, als man glauben möchte.
Um nun das Gebiet, in welchem der angegebene Grund- ſatz in der That anzuerkennen iſt, näher zu begränzen,
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Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
Dieſem Grundſatz ſoll weder ſeine Wahrheit, noch ſeine
Wichtigkeit beſtritten werden. Dennoch kann die herrſchende
Auffaſſung und Darſtellung deſſelben als befriedigend nicht
anerkannt werden, indem man ihn als allgemein anwendbar
zu behandeln pflegt, während er nur für Eine Gattung von
Rechtsregeln wahr, für eine andere Gattung aber völlig
unwahr iſt.
Auf den erſten Blick möchte man geneigt ſeyn, dem
hier angedeuteten Gegenſatz der Auffaſſungen eine größere
Wichtigkeit beizulegen, als ihm in der That gebührt, indem
man glauben könnte, die hier getadelte Behandlung der
Sache müßte dahin führen, die vorkommenden praktiſchen
Rechtsfragen großentheils irrig zu entſcheiden. Dem iſt
aber nicht alſo. Wo ein ſo bedenklicher, einſchneidender
Erfolg zu erwarten wäre, der ſich dann durch den Verſuch
einer ſtrengen Durchführung von ſelbſt als unmöglich dar-
ſtellen würde, pflegt man dadurch abzuhelfen, daß man
Ausnahmen des angeblich allgemeinen Grundſatzes behaup-
tet. Aber eben dieſe Aushülfe durch bloße Ausnahmen iſt
es, die hier völlig verworfen werden muß, welches unten
ausführlich dargethan werden wird (§ 398). Und ſo muß
ich bei dem erhobenen Widerſpruch gegen die gewöhnlich
angenommene Allgemeingültigkeit jenes Grundſatzes beharren,
wenngleich dieſe irrige Annahme eine geringere Gefahr
praktiſcher Folgen mit ſich führt, als man glauben möchte.
Um nun das Gebiet, in welchem der angegebene Grund-
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/396>, abgerufen am 23.11.2024.
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