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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849.

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Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
den umgekehrten Weg einschlagen, den jetzigen Zeitpunkt,
in welchem der Erbtheil vacant wurde, als Zeitpunkt des
Erbanfalls betrachten, und hiernach die Intestaterbfolge neu
reguliren. Dann wird die successio ordinum oder gra-
duum
voran stehen, das jus accrescendi vielleicht als Aus-
hülfe angewendet werden.

Nach dem oben aufgestellten Grundsatz müssen wir un-
bedenklich die erste Behandlung vorziehen, also die Zeit des
Todes als den bleibenden Zeitpunkt des Erbanfalls behan-
deln, auch wenn eine später eintretende thatsächliche Ver-
änderung eine nachträgliche Vertheilung nöthig machen
sollte. Oder mit anderen Worten: In der Collision des
jus accrescendi mit der Successio graduum muß das jus
accrescendi
den Vorzug erhalten (f).

B. Veränderungen in der Gesetzgebung.

Wir haben hier, so wie bei den Testamenten (§ 393),

(f) Diese Frage bildet den
Gegenstand einer alten, berühm-
ten Controverse. Die hier vor-
getragene Meinung wird ver-
theidigt von Göschen Vorlesun-
gen III. 2 § 929, und Bau-
meister
Anwachsungsrecht unter
Miterben § 5. § 7. -- Ein schein-
barer Zweifel entsteht aus L. 1
§ 10. 11 L. 2 ad Sc. Tert.

(38. 17), worin allerdings die Re-
gulirung nach der späteren Zeit,
in welcher der zunächst Berufene
ausschlägt, anerkannt wird. Allein
nach der deutlichen Erklärung die-
ser Stellen liegt darin nicht die
Anwendung eines allgemeinen
Grundsatzes, sondern eine beson-
dere Vorschrift für das Verhält-
niß des neu erfundenen Civilerb-
rechts zwischen Mutter und Kin-
dern zu dem jus antiquum der
Agnaten. Man wollte verhindern,
daß, durch das Ausschlagen der
Mutter oder des Kindes, die
Agnaten, unter denen keine suc-
cessio graduum
galt, vielleicht
alles Erbrecht verlieren möchten,
ganz gegen die Absicht der Sena-
tusconsulte.

Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
den umgekehrten Weg einſchlagen, den jetzigen Zeitpunkt,
in welchem der Erbtheil vacant wurde, als Zeitpunkt des
Erbanfalls betrachten, und hiernach die Inteſtaterbfolge neu
reguliren. Dann wird die successio ordinum oder gra-
duum
voran ſtehen, das jus accrescendi vielleicht als Aus-
hülfe angewendet werden.

Nach dem oben aufgeſtellten Grundſatz müſſen wir un-
bedenklich die erſte Behandlung vorziehen, alſo die Zeit des
Todes als den bleibenden Zeitpunkt des Erbanfalls behan-
deln, auch wenn eine ſpäter eintretende thatſächliche Ver-
änderung eine nachträgliche Vertheilung nöthig machen
ſollte. Oder mit anderen Worten: In der Colliſion des
jus accrescendi mit der Successio graduum muß das jus
accrescendi
den Vorzug erhalten (f).

B. Veränderungen in der Geſetzgebung.

Wir haben hier, ſo wie bei den Teſtamenten (§ 393),

(f) Dieſe Frage bildet den
Gegenſtand einer alten, berühm-
ten Controverſe. Die hier vor-
getragene Meinung wird ver-
theidigt von Göſchen Vorleſun-
gen III. 2 § 929, und Bau-
meiſter
Anwachſungsrecht unter
Miterben § 5. § 7. — Ein ſchein-
barer Zweifel entſteht aus L. 1
§ 10. 11 L. 2 ad Sc. Tert.

(38. 17), worin allerdings die Re-
gulirung nach der ſpäteren Zeit,
in welcher der zunächſt Berufene
ausſchlägt, anerkannt wird. Allein
nach der deutlichen Erklärung die-
ſer Stellen liegt darin nicht die
Anwendung eines allgemeinen
Grundſatzes, ſondern eine beſon-
dere Vorſchrift für das Verhält-
niß des neu erfundenen Civilerb-
rechts zwiſchen Mutter und Kin-
dern zu dem jus antiquum der
Agnaten. Man wollte verhindern,
daß, durch das Ausſchlagen der
Mutter oder des Kindes, die
Agnaten, unter denen keine suc-
cessio graduum
galt, vielleicht
alles Erbrecht verlieren möchten,
ganz gegen die Abſicht der Sena-
tusconſulte.
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[488/0510] Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. den umgekehrten Weg einſchlagen, den jetzigen Zeitpunkt, in welchem der Erbtheil vacant wurde, als Zeitpunkt des Erbanfalls betrachten, und hiernach die Inteſtaterbfolge neu reguliren. Dann wird die successio ordinum oder gra- duum voran ſtehen, das jus accrescendi vielleicht als Aus- hülfe angewendet werden. Nach dem oben aufgeſtellten Grundſatz müſſen wir un- bedenklich die erſte Behandlung vorziehen, alſo die Zeit des Todes als den bleibenden Zeitpunkt des Erbanfalls behan- deln, auch wenn eine ſpäter eintretende thatſächliche Ver- änderung eine nachträgliche Vertheilung nöthig machen ſollte. Oder mit anderen Worten: In der Colliſion des jus accrescendi mit der Successio graduum muß das jus accrescendi den Vorzug erhalten (f). B. Veränderungen in der Geſetzgebung. Wir haben hier, ſo wie bei den Teſtamenten (§ 393), (f) Dieſe Frage bildet den Gegenſtand einer alten, berühm- ten Controverſe. Die hier vor- getragene Meinung wird ver- theidigt von Göſchen Vorleſun- gen III. 2 § 929, und Bau- meiſter Anwachſungsrecht unter Miterben § 5. § 7. — Ein ſchein- barer Zweifel entſteht aus L. 1 § 10. 11 L. 2 ad Sc. Tert. (38. 17), worin allerdings die Re- gulirung nach der ſpäteren Zeit, in welcher der zunächſt Berufene ausſchlägt, anerkannt wird. Allein nach der deutlichen Erklärung die- ſer Stellen liegt darin nicht die Anwendung eines allgemeinen Grundſatzes, ſondern eine beſon- dere Vorſchrift für das Verhält- niß des neu erfundenen Civilerb- rechts zwiſchen Mutter und Kin- dern zu dem jus antiquum der Agnaten. Man wollte verhindern, daß, durch das Ausſchlagen der Mutter oder des Kindes, die Agnaten, unter denen keine suc- cessio graduum galt, vielleicht alles Erbrecht verlieren möchten, ganz gegen die Abſicht der Sena- tusconſulte.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/510>, abgerufen am 22.11.2024.