Es ist gezeigt worden, daß diese Gesetze, wenigstens in den meisten und wichtigsten Fällen, nur so gemeint seyn können, daß sie in erworbene Rechte eingreifen, indem sie die Rechtsinstitute selbst, also auch die unter denselben ste- henden einzelnen Rechtsverhältnisse (a), entweder vernichten, oder doch wesentlich umbilden, beides ohne Rücksicht auf den Willen des Berechtigten.
Man kann nun diese Behauptung zugeben, aber eben daran die scheinbare Einwendung anknüpfen, daß gerade deshalb die Gesetze dieser Art durchaus als rechtswidrig, verwerflich, unzulässig angesehen werden müßten. Wer diese Einwendung erhebt, geht offenbar aus von der Vor- aussetzung, daß jeder Eingriff in ein erworbenes Recht, ohne Einwilligung des Berechtigten, vom Standpunkt des Rechts aus betrachtet, schlechthin unmöglich sey, und er sieht diese Unmöglichkeit als einen obersten, unbedingten Grundsatz an. Gerade diese Voraussetzung aber kann aus folgenden Gründen nicht zugegeben werden.
Zuerst nicht, weil sie mit der allgemeinen Natur und Entstehung des Rechts unvereinbar ist. Das Recht hat seine Wurzel in dem gemeinsamen Bewußtseyn des Volkes. Dieses ist nun zwar auf der einen Seite durchaus verschie- den von dem leicht und schnell wechselnden, zufälligen und veränderlichen Bewußtseyn des einzelnen Menschen; auf
(a) Vgl. oben B. 1 § 4. 5 über die Begriffe von Rechtsverhält- niß und Rechtsinstitut.
§. 400. B. Daſeyn der Rechte. — Rechtmäßigkeit.
Es iſt gezeigt worden, daß dieſe Geſetze, wenigſtens in den meiſten und wichtigſten Fällen, nur ſo gemeint ſeyn können, daß ſie in erworbene Rechte eingreifen, indem ſie die Rechtsinſtitute ſelbſt, alſo auch die unter denſelben ſte- henden einzelnen Rechtsverhältniſſe (a), entweder vernichten, oder doch weſentlich umbilden, beides ohne Rückſicht auf den Willen des Berechtigten.
Man kann nun dieſe Behauptung zugeben, aber eben daran die ſcheinbare Einwendung anknüpfen, daß gerade deshalb die Geſetze dieſer Art durchaus als rechtswidrig, verwerflich, unzuläſſig angeſehen werden müßten. Wer dieſe Einwendung erhebt, geht offenbar aus von der Vor- ausſetzung, daß jeder Eingriff in ein erworbenes Recht, ohne Einwilligung des Berechtigten, vom Standpunkt des Rechts aus betrachtet, ſchlechthin unmöglich ſey, und er ſieht dieſe Unmöglichkeit als einen oberſten, unbedingten Grundſatz an. Gerade dieſe Vorausſetzung aber kann aus folgenden Gründen nicht zugegeben werden.
Zuerſt nicht, weil ſie mit der allgemeinen Natur und Entſtehung des Rechts unvereinbar iſt. Das Recht hat ſeine Wurzel in dem gemeinſamen Bewußtſeyn des Volkes. Dieſes iſt nun zwar auf der einen Seite durchaus verſchie- den von dem leicht und ſchnell wechſelnden, zufälligen und veränderlichen Bewußtſeyn des einzelnen Menſchen; auf
(a) Vgl. oben B. 1 § 4. 5 über die Begriffe von Rechtsverhält- niß und Rechtsinſtitut.
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§. 400. B. Daſeyn der Rechte. — Rechtmäßigkeit.
Es iſt gezeigt worden, daß dieſe Geſetze, wenigſtens in
den meiſten und wichtigſten Fällen, nur ſo gemeint ſeyn
können, daß ſie in erworbene Rechte eingreifen, indem ſie
die Rechtsinſtitute ſelbſt, alſo auch die unter denſelben ſte-
henden einzelnen Rechtsverhältniſſe (a), entweder vernichten,
oder doch weſentlich umbilden, beides ohne Rückſicht auf den
Willen des Berechtigten.
Man kann nun dieſe Behauptung zugeben, aber eben
daran die ſcheinbare Einwendung anknüpfen, daß gerade
deshalb die Geſetze dieſer Art durchaus als rechtswidrig,
verwerflich, unzuläſſig angeſehen werden müßten. Wer
dieſe Einwendung erhebt, geht offenbar aus von der Vor-
ausſetzung, daß jeder Eingriff in ein erworbenes Recht,
ohne Einwilligung des Berechtigten, vom Standpunkt des
Rechts aus betrachtet, ſchlechthin unmöglich ſey, und er
ſieht dieſe Unmöglichkeit als einen oberſten, unbedingten
Grundſatz an. Gerade dieſe Vorausſetzung aber kann aus
folgenden Gründen nicht zugegeben werden.
Zuerſt nicht, weil ſie mit der allgemeinen Natur und
Entſtehung des Rechts unvereinbar iſt. Das Recht hat
ſeine Wurzel in dem gemeinſamen Bewußtſeyn des Volkes.
Dieſes iſt nun zwar auf der einen Seite durchaus verſchie-
den von dem leicht und ſchnell wechſelnden, zufälligen und
veränderlichen Bewußtſeyn des einzelnen Menſchen; auf
(a) Vgl. oben B. 1 § 4. 5 über die Begriffe von Rechtsverhält-
niß und Rechtsinſtitut.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/555>, abgerufen am 23.11.2024.
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